Rezension zu Die eigene Angst verstehen (PDF-E-Book)
Psychologie Heute, Januar 2016
Rezension von Alexander Kuly
Der Angst begegnen
Drei Bücher kartieren die Gefühlslandschaft Angst – der Evergreen
der Emotionen ist vielleicht aktueller und drängender denn je.
Angst hat Konjunktur: Lebensangst, die Angst, den eigenen
Ansprüchen nicht zu genügen, Angst vor der nächtlichen
Panikattacke, vor dem Sterben, vor einem Herzinfarkt, vor
Menschenansammlungen, vor Schlangen. Angst durchzieht die Moderne
und die Gegenwart, glaubt man der Soziologie. Für Heinz Bude, den
in Kassel und am Hamburger Institut für Sozialforschung tätigen
Professor, ist Angst nicht nur ein psychisches Phänomen, sondern
ein gesellschaftliches Merkmal der Gegenwart. Bude sondiert seit
Jahren mit Gespür für subkutane Krisenstimmungen die
Befindlichkeiten der deutschen Gesellschaft.
Befragungen zufolge seien heute mehr als 60 Prozent der jungen
Eltern zutiefst besorgt, ihr Leben nicht mehr »auf die Reihe zu
kriegen«, zu versagen und zu scheitern, so Bude. Den Grund dafür
verortet er im fundamentalen Umbruch des Sozialen. Die nivellierte
Mittelstandsgesellschaft, die nach dem Zweiten Weltkrieg über
mehrere Jahrzehnte hinweg das weit¬hin geteilte und nicht
hinterfragte Ideal gewesen sei, löse sich auf. Die Angst verdankt
sich demzufolge fragmentierter Individualität. Und Angst ist
zutiefst individuell.
Der Befund des Soziologen deckt sich erstaunlich mit jenem des
Psychologen Willi Butollo, der genau diesen Zusammenhang auf den
ersten zwanzig Seiten seines Buches diskutiert. Er macht dabei auf
den scheinbar paradoxen Charakter seiner Monografie aufmerksam. Er
will Fragen stellen, über die die Leser selbst nachdenken sollen,
um auf diese Weise eigenverantwortlich Antworten zu finden und
autonom Entscheidungen für die eigene Lebensgestaltung zu treffen.
Es handle sich somit um ein »paradoxes Ratgerbuch« – weil Butollo
im Gegensatz zu Selbstoptimierungshandbüchern auf Vorschrift
gebende Anleitungen verzichtet. Einen entscheidenden und
programmatischen Akzent legt er auf Angst als Antreiber«, als
essenziell positive Schubraft.
Butollo, der von 1974 bis 2012 als ordentlicher Professor für
klinische Psychogie und Psychotherapie an der Universität München
lehrte und 1988 das Institut für Traumatherapie in München mit ins
Leben rief, verzichtet so klug wie realistisch bei den von ihm
angeführten Fall-und Patientenbeispielen dezidiert auf eines: auf
ein Happy End in jedem Fall, auf ein optimistisches »Wachsen«.
Nicht selten scheitern bei ihm Therapien: Sie werden abgebrochen,
aus der Schwäche heraus, die alte, aber gewohnte Angst etwas Neuem
inklusive Veränderungen und neuen Ängsten vorzuziehen.
Butollo liebt kompliziert aufgebaute Sätze. Das macht die an sich
lohnende Lektüre etwas anstrengend. Gleich zu Beginn gibt er zu
bedenken, dass Angstreduktion eine grundlegende Voraussetzung
braucht, die, wie er es nennt, »Überprüfung der eigenen
Existenzannahmen«, Ohne Letztere dürften die krisenhaften Emotionen
und die Bedrohungsszenarien her noch eskalieren. In vier Kapiteln
beleuchtet Butollo die Erscheinungsweisen der Angst und
unterschiedliche Ausprägungen von Phobien. Er erklärt das
aufziehende Phänomen Angst unter psychophysiologischen,
medizinischen und genetischen Gesichtspunkten, analysiert dann
Vermeidungs- und Zwangsrituale. Am Ende umreißt er
Bewältigungsstrategien. Dabei kann die Konfrontation mit Angst
produktiv verlaufen, aber auch regressiv, etwa wenn immer wieder
auf scheinbar bewährte Ausweichmuster zurückgegriffen wird. Bei
diesen gilt aber: Sie vertiefen die Angst.
Das Buch der Arbeitsmedizinerin Dunja Voos, die aktuell eine
Ausbildung zur Psychoanalytikerin absolviert, zielt auf ein anderes
Publikum. Das wird bereits durch den entspannten Schreibstil
deutlich. Das Buch ist ein Ratgeber für diejenigen, die sich
erstmals mit der Angstmaterie beschäftigen.
Dunja Voos setzt ein mit einer näheren Bestimmung, was Angst ist
und ab wann dieser Zustand als krankhaft gilt. Darauf folgen knappe
Kapitel über den Zusammenhang von Körper und Psyche, über
Ausprägungen der Angst- und Persönlichkeitsstörungen sowie
spezifischer Phobien, über spezielle Symptome, über die Rolle von
Familie und Verwandten sowie über die Ängste von Kindern. Das Buch
klingt aus mit Therapiemöglichkeiten, einer Debatte über das Für
und Wider alternativer Behandlungsmöglichkeiten, autogenes Training
etwa, Klopftechniken oder Homöopathie, und einer knappen Diskussion
medikamentenbasierter Behandlung. Hinzu kommen in den Text
eingeflochtene Verweise auf Organisationen, Internetplattformen und
Tipps für die Therapeutensuche, sämtlich nochmals am Ende des
Buches aufgelistet, ein Glossar sowie eine Literaturliste, von der
so mancher Aufsatz leicht im Internet zu finden ist. Es gibt am
Ende eines jeden Unterkapitels praktische Ratschläge. Diese dürften
unterschiedlich gut wirken – vor allem im akuten Zustand. Kann etwa
ein duftgetränktes Taschentuch mehr sein als nur eine punktuelle
Ablenkung?
Dunja Voos schreibt durchgehend verständlich und erfüllt Ansprüche,
die an einen Orientierungsband gestellt werden. Dadurch bleibt die
Darstellung allerdings gelegentlich an der Oberfläche. Immerhin
löst es so als Ersteinführung in das komplexe Thema Angst keinerlei
Berührungsängste aus.