Rezension zu Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus
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Rezension von Dr. Andreas Siegert
Thema und Aktualität
Gesellschaftspolitische Debatten zeigen, wie wichtig und aktuell
das von den Autoren aufgegriffene Thema ist: Während Alexander
Gauland dankbar für Flüchtlinge ist, um populistische Politik zu
begründen, nimmt Björn Höcke (beide AfD) sie, um eine rassistische
und menschenfeindliche Ideologie zu verbreiten. Hier spielen sich
zwei Protagonisten einer den Verfassungsidealen zuwiderlaufenden
Politik die Bälle zu. Sie setzen dort an, wo etablierte Politiker
(z.B. Horst Seehofer, Markus Söder) den Boden bereitet haben.
Vorgeblich geht es um die Ängste »besorgter Bürger«, tatsächlich um
Alltagsrassismus und verlorenen Anstand der vermuteten politischen
Mitte. Hetzschriften, wie z.B. der ehemaligen Vorstandsmitglieder
des Philologenverbands Sachsen-Anhalt, Jürgen Mannke und Iris
Seltmann-Kuke, verdeutlichen wie weit mittlerweile Verunglimpfung
von Minderheiten, unreflektierte Übernahme von Vorurteilen und
Projektionen gesellschaftlich akzeptiert sind.
Anstand und politische Korrektheit werden von Bevölkerungsgruppen
in Frage gestellt, die bislang für Bildung, Kultur und
»Understatement« standen. Die Leserbriefspalten der ZEIT zeigen die
Auflösung gesellschaftlicher Regeln an. Hinweise, wie im SPIEGEL,
dass die Berichterstattung über Flüchtlinge keine Kommentierungen
mehr gestattet, weil »… so viele unangemessene, beleidigende oder
justiziable Forumsbeiträge [eingehen], dass eine gewissenhafte
Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich
ist« wären vor Kurzem noch undenkbar gewesen.
Diese Entwicklungen zeigen auch, dass Rechtsextremismus ein
aktuelles gesellschaftspolitisches Thema bleibt - wenngleich es
»nur« eine lautstarke gesellschaftspolitische Minderheit betrifft
(vgl. u.a. Holtmann et al. 2015). Denn die sich daraus ergebenden
Fragen berühren die Grundlagen unserer Gesellschaft: Wie gehen wir
miteinander um und wie wollen wir zusammen leben? Welche Ziele und
Werte verbinden unsere Gesellschaft, wenn (vermeintlichen)
Minderheiten kein Respekt entgegengebracht oder ihnen die
Integration verweigert wird? Angesichts der scheinbar nicht
vorhersehbaren lautstarken Artikulation dieser Ängste und des
Infragestellens von bis dato gültigen Umgangsformen bleibt
allerdings zu fragen, worin die Ursache für diese Entwicklungen
liegen könnte?
Die Autoren argumentieren mit der gesellschaftlichen Fixierung auf
Wirtschaftswachstum bei der schon Nullwachstum zum Problem wird (S.
8). Hier, so argumentieren die Autoren, fungiert Wirtschaft als
»narzisstische Plombe«. Wirtschaftliche Stärke dient ihrer Meinung
nach der Stabilisierung des »Selbstwerterlebens der Deutschen«
(a.a.O.).
Herausgeber und Autoren
Die drei Kapitel des Buches wurden von den nachstehenden Autoren
(alphabetische Reihung) in unterschiedlicher Zusammensetzung
erarbeitet.
Johannes Baldauf ist Projektkoordinator der Amadeu Antonio
Stiftung. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Monitoring
verschiedener Phänomene von Hassreden in Sozialen Netzwerken. Er
studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft,
Deutsch als Fremdsprache und Jewish Studies in Berlin, Potsdam und
Jena.
Elmar Brähler studierte Mathematik und Physik in Gießen,
promovierte in Ulm und habilitierte in Medizinischer Psychologie in
Giesen. Er ist seit 2010 Mitglied im Hochschulrat der Universität
Leipzig. Er beschäftigt sich mit Migrantenforschung,
Psychoonkologie, geschlechtsspezifischen Aspekten von Gesundheit
und Krankheit, Altersforschung und Psychodiagnostik.
Oliver Decker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität
Leipzig. Er studierte Psychologie, Soziologie und Philosophie an
der FU Berlin und promovierte an der Universität Kassel. Nach
seiner Habilitation wurde er Privatdozent an der Leibniz
Universität Hannover.
Johannes Kiess studierte Politikwissenschaft, Soziologie und
Philosophie an der Universität Leipzig sowie der Ben-Gurion
Universität des Negev, Beer Sheva (Israel). Er arbeitet als
wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Siegen.
Nils C. Kumkar ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am
DFG-Graduiertenkolleg 1261 »Bruchzonen der Globalisierung« an der
Universität Leipzig. Er studierte Soziologie und
Volkswirtschaftslehre an der Georg-August-Universität Göttingen und
der University of California in Los Angeles.
Natalie Ofori studierte Literatur- und Kulturwissenschaften in
Siegen, Neu Delhi und Konstanz. Sie arbeitet als Koordinatorin im
Projekt »Aktion Schutzschild« der Amadeu Antonio Stiftung.
Britta Schellenberg arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Centrum für angewandte Politikforschung der
Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie studierte Germanistik,
Anglistik und Jüdische Studien in Heidelberg, London und Berlin. An
der TU Berlin promovierte sie.
Malte Switkes vel Wittels studierte Geschichtswissenschaft,
Soziologie und Religionswissenschaft an der FU Berlin und der
Universität Wien. Er ist Doktorand am Friedrich-Meinecke-Institut
der FU Berlin.
Aufbau
Kapitel des Buches sind
»Die Mitte Studie der Universität Leipzig 2014« (Kapitel 1: Die
Ergebnisse der bisherigen Erhebungen; Narzistische Plombe und
sekundärer Autoritarismus; Die Untersuchung 2014 – Starke
Wirtschaft, gefestigte Mitte; Rechtsextreme Einstellung in den
Bundesländern;,
»Rechtspopulismus, Autoritarismus und Europa« (Kapitel 2: Die
Wählerinnen und Wähler von AfD und NPD – Gemeinsamkeiten und
Unterschiede; Deutschland mitten in Europa – Politische
Einstellungen und Europa-Skepsis;
»…als ob man von Bratenduft satt werden könnte.« – der Diskurs der
AfD am Beispiel der Gründungsparteitagsrede von Bernd Lucke)
und
»Zum Stand der Zivilgesellschaft« (Kapitel 3: Autoritarismus,
Rassismus, Rechtsextremismus – Ein Fallbeispiel; Arbeit gegen
Rechtsextremismus in sozialen Netzwerken – Die Praxis des
Modellprojektes No-Nazi.net; Willkommenskultur gestalten –
Rassismus und rechter Hetze gegen geflohene Menschen
entgegentreten).
Ausgewählte Inhalte
Im Folgenden werden drei Abschnitte des Buches näher behandelt:
1. Aus dem Kapitel 1 (»Die Mitte Studie der Universität Leipzig
2014«) die »Ergebnisse der bisherigen Erhebungen (2002-2012)«
(Autoren: Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler),
2. »Narzisstische Plombe und sekundärer Autoritarismus« (Autor:
Oliver Decker)
3. sowie aus dem Kapitel 3 (»Zum Stand der Zivilgesellschaft«) der
Beitrag von Natalie Ofori »Willkommenskultur gestalten – Rassismus
und rechter Hetze gegen geflohene Menschen entgegentreten«.
In den »Ergebnissen bisheriger Erhebungen« erläutern Decker, Kiess
und Brähler die Entwicklung von Extremismus (S. 13) und weisen
darauf hin, dass sich mit dem Aufkommen faschistischer Bewegungen
eine »massive Gefahr« für die Demokratie aus neuen sozialen Milieus
entwickelte. Unter Bezug auf Lipset (1959, S. 451) bezeichnen sie
dies als »Extremismus der Mitte«. Bestätigungen für diesen Befund
sehen die Autoren bei Falter (1981) und Adorno et al. (1950). Sie
argumentieren, dass es sich dabei um keine exklusive ideologische
Position handelt, sondern Ergebnis der gesellschaftlichen Lage von
Milieus ist (S. 14). Ursachen der Radikalisierung sehen sie in der
europäischen Integration, Modernisierungs- und
Transformationsbrüchen (ebd.). Daraus ergibt sich für Teile der
Bevölkerung das Gefühl, »keinen Einfluss auf relevante politische
Entscheidungen zu haben …[und] im Leben auf sich selbst gestellt zu
sein« (S. 15). Diesen Menschen fehlt oft »die Fähigkeit, mit
belastenden Lebensereignissen umgehen zu können“ und ist in der
„Erfahrung eines autoritären und antidemokratischen
Erziehungsstils« begründet (ebd.). Zwar haben sich nach
Einschätzung der Autoren Erziehungsstile verändert, allerdings
gelingt es Eltern häufig nicht, ihre Kinder gegen ständige
gesellschaftliche Überforderungen zu schützen. Damit würde die
patriarchale Autorität durch eine gesellschaftliche ersetzt werden.
»Jedes Kind, das in diese Gesellschaft hineinwächst, und jeder
Erwachsene, der in ihr lebt, muss lernen, auf seine Wünsche und
Erwartungen zu verzichten oder sie mit den Anforderungen in Deckung
zu bringen, die an Gesellschaftsmitglieder gestellt werden… Auch
wenn den meisten keine körperliche Züchtigung mehr droht …[müssen]
Verzicht und Disziplin …weiterhin eingeübt werden« (S. 16). Aus der
Akzeptanz gesellschaftlicher Rationalität leitet sich die
individuelle Erfahrung von Gewalt ab (S. 17). Während patriarchale
Gewalt auch über die in Aussicht gestellte »Teilhabe an der Macht«
(S. 18) ihre Akzeptanz steigert, stellt eine ausbleibende oder
gefährdete Beteiligung an gesellschaftlichem Wohlstand ein
vergleichbares Versprechen in Frage.
Oliver Decker widmet sich im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels
der »Narzisstischen Plombe und dem sekundären Autoritarismus«.
Grundlage seiner Argumentation ist die Erkenntnis Horkheimers
(1936, S. 357), dass autoritäre gesellschaftliche Dynamiken in
familiären Strukturen begründet werden (S. 21). Um die
Wirkungsmächtigkeit gesellschaftlicher Autorität zu verstehen,
bezieht sich Decker auf die Psychoanalyse. Massenbindung, so
Decker, führt zu Intoleranz und Autoritätsgläubigkeit, ist auf
Kraft fixiert, verlangt Stärke und Gewalttätigkeit (S. 22). Die
Ein- und Unterordnung des Individuums unter die Masse hat dabei
entlastende Funktion, was u.a. dazu führt, dass »je stärker die
Bindung an die Autorität [ist], desto schwächer jene an die
Realität«. Die auf Arbeiten von Freud, Simmel und Fromm aufbauende
Argumentation ergänzt der Autor um den Aspekt der
Autoritätslosigkeit bei »gleichzeitiger autoritärer Dynamik« (S.
23). Decker argumentiert hierbei mit den Zusammenhängen von
Deprivation, »erfahrenem oder drohendem sozialen Abstieg« und
rechtsextremen Einstellungen (S. 24). Um die Verbindung
ökonomischer Entwicklungen mit autoritärer Dynamik zu begründen,
greift er auf Habermas zurück. Als zentral identifiziert Decker das
– aufgrund ökonomischer Krisen gefährdete oder nicht erfüllte –
Bedürfnis nach positiver (Gruppen-)Identität, das sich in
Fremdgruppenabwertung und Eigengruppenaufwertung niederschlägt (S.
25). Begünstigend wirkt sich dabei aus, dass das Wirtschaftswunder
des Wiederaufbaus dazu führte, Verbrechen der Nazidiktatur zu
verdrängen: Demokratie wurde akzeptiert, aber weder gelebt noch
vorgelebt (S. 28). Als Ergebnis der »narzisstischen Plombe«
entwickeln sich Aggressionen gegen Schwache oder Gruppen, die sich
»der gewaltvollen Autorität entzogen haben« (S. 30). Dafür, so
Decker, eignen sich Mitglieder stigmatisierter Randgruppen (z.B.
Ausländer, Obdachlose) deren Diskriminierung allerdings
differenziert erfolgt.
Ofori geht in ihrem Abschnitt (»Willkommenskultur gestalten –
Rassismus und rechter Hetze gegen geflohene Menschen
entgegentreten«) der Frage nach, wie den Folgen der oben
beschriebenen Entwicklung begegnet werden kann. Sie nimmt Bezug auf
die steigende Anzahl von Flüchtlingen und der Notwendigkeit,
angemessene zivilgesellschaftliche Strukturen zur Bewältigung der
Herausforderung zu schaffen. Dabei zeichnet sich, so die Autorin,
die Unterbringung von Flüchtlingen in ländlichen Räumen durch
Besonderheiten aus: Ablehnung durch Bevölkerung, unzureichende oder
unangemessener Infra-, Unterstützungs- und Aufnahmestrukturen (z.B.
Übersetzungsleistungen, Gesundheitsversorgung, Schulbesuche,
Sprachunterricht). Allerdings sieht sie auch positive
Entwicklungen, wenn sie darauf verweist, dass anders als »…in den
90er Jahren …heute allerdings die größere Bereitschaft einzelner
Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft, wie auch die
kollektiver Zusammenschlüsse [besteht], sich zum Schutz
geflüchteter Menschen einzubringen« (S. 187). Ofori erläutert die
Ansätze der Amadeu Antonio Stiftung, eine Willkommenskultur für
Geflüchtete in ländlichen Räumen zu etablieren. Mit Hilfe dieser
Initiative soll eine frühzeitige Teilhabe am
gesellschaftspolitischen Leben gefördert werden. Auch die Sicherung
von Standards (z.B. Qualifikation und Eignung von
Sicherheitsdiensten, Betreibern und Personal) in
Flüchtlingsunterkünften. Darüber hinaus wird die Lebenssituation
von Flüchtlingen, so die Autorin, durch Diskriminierungserfahrungen
und Alltagsrassismus geprägt (S. 194). Diese Aussage stützt Ofori
mit statistischen Angaben, schildert die Entwicklung von
Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge und die Bedeutung einer
Willkommenskultur vor Ort. Dafür ist ihrer Ansicht nach eine
strukturierte Kommunikationspolitik mit der ortsansässigen
Bevölkerung wichtig (S. 199 f.).
Diskussion
Der Ansatz des Buches, den lautstark artikulierten Alltagsrassismus
zu verstehen, gesellschaftlich verankerte Gegenstrategien zu
entwickeln und umzusetzen, ist zu begrüßen. Er setzt da an, wo
Politik Defizite offenbart: Führungsaufgaben nicht nach der
Lautstärke einer vermeintlichen Mehrheit auszurichten, sondern an
den Bedürfnissen der in einem Gemeinwesen lebenden Menschen –
unabhängig von ihrem Geburtsort. Dazu gehört z.B. die
Verantwortung, das Verständnis zwischen Ortsansässigen und
Einwanderern zu fördern und nicht die Schwachen einer Gesellschaft
gegeneinander auszuspielen.
Richtig verweisen die Autoren darauf, dass angesichts der Anzahl
einreisender Flüchtlinge eine Ansiedlung in ländlichen Regionen
erforderlich wird. Sie ist auch angeraten, um z.B. sich
entvölkernde Räume zu vitalisieren, Daseinsvorsorge zu erhalten und
regionale Perspektiven zu entwickeln (vgl. Siegert et al. 2015).
Dabei sind die Besonderheiten peripherer Regionen zu
berücksichtigen. Sie zeichnen sich u.a. durch ihre
Überschaubarkeit, größere Transparenz und fehlende Anonymität aus.
Hier werden Fragen gestellt wie: Warum ist Geld für Flüchtlinge da,
wenn bislang unter Verweis auf fehlende Mittel die Straße nicht
erneuert oder die Schule geschlossen wurde? Warum ist die
Arbeitsfähigkeit von Verwaltungen durch die Flüchtlingsaufnahme
eingeschränkt? Wie soll die Integration von Flüchtlingen
gelingen?
In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte werden dabei Defizite
der bisherigen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik
offensichtlich: Fehlende oder unzureichende Integrationsangebote,
populistische und undifferenzierte Vorurteile über Einwanderer zu
verbreiten, transparente Diskussionen über Globalisierungsfragen
(z.B. TTIP) oder gleichberechtigte Formen des Dialogs zwischen
Bürgern und politischen Entscheidern. Hier sei an Gustav Heinemann
erinnert: »Politik muß jedermanns Sache werden. Man darf sie nicht
den Fachleuten überlassen.«
Der von den Autoren verfolgte Erklärungsansatz, dass die
Ökonomie-Gläubigkeit der Gesellschaft als »narzisstische Plombe«
fungiert(e) und einen »Führer-Ersatz« darstellt, erscheint
angesichts der beobachtbaren Komplexität nicht zwingend. Zumal sich
die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands als stabil
erweist.
Entscheidungskompetenzen und Ressourcen aus ländlichen Regionen
abzuziehen, Infrastruktur zu schließen und Daseinsvorsorge nicht
mehr flächendeckend anbieten zu können, verunsichert viele Menschen
und nimmt ihnen die Perspektive. Viele von ihnen sind trotz
wirtschaftlicher Transformation in ihren Region geblieben. Sie
erleben jetzt als Folge politischer Entscheidungen den Verfall von
Immobilienwerten, Verlust an Kaufkraft und Arbeitsplätzen,
schließende Arztpraxen, Wohnungsleerstand und -verfall sowie nicht
einsatzfähige Feuerwehren. Gleichwohl ist Ausländerfeindlichkeit
kein flächendeckendes Phänomen, wie Holtmann et al. (2014)
feststellen konnten.
Es bleibt der Eindruck, dass monokausale Ansätze die momentane
gesellschaftliche Debatte nicht vollständig erklären können und
weitere Forschungen und Differenzierungen erforderlich sind.
Gleichwohl ist der Ansatz von Decker et al. interessant.
Soweit es die von Ofori skizzierten Ansätze einer Willkommenskultur
betrifft, wären konkretere Hinweise zur Ausgestaltung hilfreich.
Wie können sich für Flüchtlinge engagierte Bürger und
Kommunalpolitiker gegen Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt
wehren? Welche Unterstützung wird ihnen durch wen zuteil? Wie
könnten neue Formen gesellschaftlichen Dialogs aussehen? Oder wie
kann eine verbindende regionale Identität entwickelt werden, die
Erfahrungen Ortsansässiger und von Einwanderern gleichermaßen
aufnimmt?
Fazit
Die Voraussetzungen für die Aufnahme und Integration von
Einwanderern in ländlichen Räumen sind günstig: Sie bieten allen
Beteiligten Nutzen und erfüllen gleichzeitig die völkerrechtlichen
und humanitären Verpflichtungen Deutschlands. Gleichwohl bedarf
eine glaubwürdige »Willkommenskultur« einer angemessenen
»Willkommensstruktur« in der Aufnahmegesellschaft, wenn sie nicht
als substanzlose Phrase im Raum stehen bleiben soll.
Adäquate Strukturen der Integration aufzubauen, stellt allerdings
unterschiedliche Anforderungen an urbane und ländliche Räume.
»Angemessene Strukturen« erfordern die Beachtung dieser
Unterschiedlichkeit. Sowohl Ortsansässige als auch Einwanderer zu
befähigen, Verständnis füreinander zu entwickeln, gegenseitige
Ängste zu nehmen und Unsicherheiten abzubauen, verlangt Wissen
übereinander und aktiven Austausch. Weder Austausch noch Wissen
wurden und werden auf landes- und bundespolitischer Ebene
gefördert. Und solange wir z.B. in Sachsen-Anhalt zwar wissen, wie
viele Weißstorchenpaare (2014: 654), Großtrappen (2015: 58) oder
Wölfe (2015: 49) leben, aber wir nicht wissen, wie wir ländliche
Regionen für Einwanderer attraktiv machen und die
Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung stärken können, bleibt der
Eindruck, dass unser Wissen und Nicht-Wissen Ausdruck einer Haltung
ist. Über diese Haltung ist auf der Grundlage differenzierter
Analysen ein gesellschaftlicher Dialog zu führen.
Literatur
Holtmann/ Jaeck/ Völkl (2014): Sachsen-Anhalt Monitor 2014.
Festigung der Demokratie. Halle (Saale)
Siegert/ Ketzmerick/ Ohliger (2015): Menschen gewinnen, Migration
ermöglichen, demografischen Wandel in Sachsen-Anhalt gestalten.
Handbuch. Forschungsberichte aus dem zsh 15-02. Halle (Saale)
Andreas Siegert. Rezension vom 27.01.2016 zu: Oliver Decker,
Johannes Kiess, Elmar Brähler (Hrsg.): Rechtsextremismus der Mitte
und sekundärer Autoritarismus. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2015.
ISBN 978-3-8379-2490-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/18425.php
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