Rezension zu Die eigene Angst verstehen (PDF-E-Book)

HEP Informationen. Zeitschrift des Bundesverband Heilerziehungspflege in Deutschland e. V., Heft 3/2015

Rezension von Dr. Ulf-Henning Janssen

In den deutschsprachigen Ländern gibt es, grob geschätzt, 17 Millionen Menschen mit Angsterkrankungen. Jeder sechste Bundesbürger ist damit von dieser Störung betroffen. Die Folge ist ein häufig unerträglicher Leidensdruck bei den Betroffenen, gepaart mit quälenden Fragen. Hier stellt das Buch einen hervorragenden Einstieg für Betroffene, aber auch ihre Angehörigen dar, geht es doch zunächst um die Klärung, was Ängste sind und wie die derzeitige Klassifikation aussieht. Hier entsteht schon die erste Gewissheit, nicht alleine zu sein mit diesem Problem und zunächst nur zu ahnen, dass Hilfe möglich ist. Zahlreiche Tipps zum Umgang mit speziellen Ängsten runden diesen Abschnitt des Buches ab. Hierbei geht es nicht um die schnelle Hilfe, wie sie von zahllosen Ratgebern so gerne versprochen wird; gedacht ist vielmehr an erste Schritte, das Problem überhaupt anzugehen.

Die Autorin beschreibt Angststörungen und deren Symptome aus psychoanalytischer Sicht, ist ihr diese ausbildungsbedingt doch am nächsten. Daraus macht die Autorin erfreulicherweise keinen Hehl. Das ist deshalb so besonders wohltuend, weil andere Autoren gerne verschleiern, weshalb sie zu genau diesem Ergebnis kommen. Gerade im medizinischen Bereich sind die Einflüsse zahlreich, die auf jeweiligen Autoren einwirken — nur selten werden diese dann tatsächlich und bewusst offengelegt. Dunja Voos, Fachärztin für Arbeitsmedizin und ausgebildete Psychoanalytikerin, legt als gute Journalistin jedoch genau diese Grundlagen ihrer Arbeit offen – und das tut gut! Genauso erfreulich ist zudem, dass die Autorin ihre Schule nicht zum allein selig machenden Verfahren erhebt. Im Gegenteil, sie betont immer wieder die Wichtigkeit, dass jeder Betroffene seinen eigenen Weg finden müsse. Insofern klammert sie auch die verhaltenstherapeutischen Verfahren ebenso wenig aus wie die Frage nach einer ambulanten oder stationären Therapie sowie dem Setting Einzel- oder Gruppentherapie. Nicht zuletzt geht sie auch sehr differenziert an das heikle Thema Medikation heran. »Folgen Sie Ihrem Gefühl«, mahnt die Autorin die Betroffenen, wenn es um diese heikle Frage geht. Dass Angststörungen und Medikamente sich beißen können, ist ja hinlänglich bekannt; nicht wenige Ärzte neigen dennoch dazu, erst mal zu Chemie zu greifen, versprechen sie sich doch davon häufig eine Besserung der Erkrankung oder Erreichbarkeit in der Therapie. Dennoch: Nicht wenige Angstpatienten haben Angst vor Medikamenten. Und da ist es gut, wenn eine Ärztin rät: Achte auf Dein Gefühl! Nicht ganz verleugnen kann die Autorin ihre Herkunft, wenn es um die Ursachen der Angsterkrankungen geht. Viele Ängste sind danach das Ergebnis tiefgreifender Beziehungsstörungen. Oft nehmen diese ihren Ursprung bereits in der frühen Mutter-Kind-Beziehung. Eine Psychoanalyse oder psychodynamische Therapie ermöglicht es vielen Patientinnen und Patienten, durch positive Therapieerfahrungen angstfreier zu werden. Das allerdings auch andere Verfahren hilfreich sind, vermittelt die Autorin an überzeugenden Beispielen und betont, letztlich könne niemand sagen, ob im umgekehrten Fall eine Lösung erreichbar gewesen wäre.

Es tut gut, zu lesen, dass eine Fachfrau auch einmal über die Grenzen ihrer Disziplin und deren Erkenntnismöglichkeiten spricht. Das Werk gibt einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Ausprägungen der Angst - wie Panikattacken, Sozialphobie, Hypochondrie - und vermittelt so einen Eindruck davon, welche Mechanismen zu scheinbar unerklärlichen Störungen führen können. Betroffene finden wertvolle Tipps zu spezifischen Krankheitsbildern und Antworten auf Fragen wie: Ab wann wird Angst krankhaft? Wo finde ich Hilfe? Welche Therapieformen bieten sich an? Ein umfassendes Kapitel über Ängste von Kindern und deren pädagogischer Vorbeugung rundet das Buch ab. Es ist ein rundum gelungener Ratgeber über Angststörungen - für Betroffene, deren Angehörige, Eltern mit Kindern, aber letztlich auch für jeden, der einmal seine eigene Angst verstehen will.

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