Rezension zu Humanistische Psychotherapie (PDF-E-Book)

Psychotherapeutenjournal 3/2015

Rezension von Dr. Ernst Kern

Auf Schatzsuche

Die Humanistische Psychotherapie (HPT) wird in dem Beschluss des 25. Deutschen Psychotherapeutentages zur Direktausbildung für Psychotherapie als eine von vier psychotherapeutischen Grundorientierungen bestätigt, die in der universitären Ausbildung gleichberechtigt gelehrt werden sollen. Werner Eberwein und Manfred Thielen legen als Herausgeber ein Buch vor, das den aktuellen Stand dieses Therapieansatzes darstellt. Spezifisch für die Humanistische Psychotherapie ist, dass sie sich mehr über eine therapeutische Haltung und über die Art des Inbeziehungseins definiert als über spezifische Interventionen oder explizite störungsspezifische Vorgehensweisen.

Diese therapeutische Haltung und besondere Beziehungsgestaltung wird von den Autoren des Buches überzeugend dargestellt. Schon im Geleitwort weist Dirk Revenstorf auf Reichtum und Tiefe der humanistischen Ansätze hin, zu denen sich eine »Expedition« unbedingt lohne, denn sie bringe Schätze zu Tage wie die Betonung von Lebendigkeit, Verantwortung, Wahlfreiheit, Ganzheit, Körperlichkeit, Verwirklichung, Sinnerfüllung, Wachstum oder Entwicklung des Menschen.

Interessanterweise tauchen m. E. viele dieser Aspekte in wesentlichen Elementen in den neuen, integrativen Ansätzen der Richtlinienverfahren wieder auf (z. B. in der ACT, DBT, CBASP, Schematherapie, Mentalisierungsbasierten Therapie, Compassion Focused Therapy). Die Humanistische Psychotherapie ist eine »existenzbasierte« Therapie, deren Anliegen die Subjekthaftigkeit des Menschen ist (Revenstorf). Überlegungen über das dem therapeutischen Handeln zugrunde liegende Menschenbild werden von Eberwein angestellt.

Im weiteren Verlauf des Buches werden von verschiedenen Autoren zentrale therapeutische Ansätze vorgestellt, die unter dem Dach der Humanistischen Therapie zusammengefasst werden: Die Personzentrierte Psychotherapie, Gestalttherapie, Existenzanalyse, Logotherapie, Psychodrama, Transaktionsanalyse, Körperpsychotherapie. In jedem der Ansätze stecken für Therapie hochrelevante Aspekte. So findet man im Personzentrierten Ansatz die validierende Beziehungsgestaltung, in der Existenzanalyse die Arbeit mit Sinnfragen als zentrales Anliegen, in der Transaktionsanalyse die Idee der inneren Anteile, im Psychodrama eine exzellent ausgearbeitete Praxis szenisch-interaktionellen Arbeitens.

Die Anwendung von humanistischen Therapieansätzen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird an einigen Stellen angesprochen, z. B. bei der Darstellung der klientenzentrierten Spieltherapie. Schon in den 1970er-Jahren entwickelte sich in der Humanistischen Psychotherapie eine intensive Kultur der körperpsychotherapeutischen Ansätze, wie Manfred Thielen überzeugend aufzeigt. Die körperpsychotherapeutische Perspektive eines in seinen Körper und seine Um- und Mitwelt eingebetteten Menschen beinhaltet in besonderem Ausmaß viele Verbindungs- und Anschlussmöglichkeiten an die Modellentwicklung der heutigen klinischen Psychologie. In einem weiteren Abschnitt des Buches werden von Bergmann und Elliott Studien vorgestellt, die die hohe empirische Wirksamkeit der HPT nachweisen. Danach diskutiert Jürgen Kriz kritisch die unreflektierte Anwendung der üblichen Standards der Evidenzbasierung auf die Psychotherapie. In einem früheren Kapitel beschreibt er die Geschichte und die Folgen einer solchen einseitigen Orientierung für die Ausgrenzung der humanistisch basierten Therapieansätze.

Das Buch schließt mit einer Darstellung integrativer Aspekte der HPT in Form einer Personzentrierten Systemtheorie (von Kriz als übergreifendes Modell und nicht als eigenständiger Therapieansatz konzipiert) und einer Darstellung der integrativen Therapie als methodenintegrativer Humantherapie (Petzold, Orth, Sieper). Was hätte ich mir in so einem Buch evtl. noch gewünscht? Ein besonders wichtiger Aspekt für Psychotherapie liegt m. E. in der Fokussierung auf emotionale Prozesse, die z. B. im experienziellen Zweig des Personzentrierten Ansatzes (Gendlin, Greenberg) konsequent weiter entwickelt wird. Hier konvergieren viele interessante neue Therapieansätze. Dieser Aspekt ist in diesem Buch etwas unterrepräsentiert, ebenso wie eine kritische Reflexion der Heterogenität und Unterschiede innerhalb der Humanistischen Ansätze.

Aber das hätte vielleicht den Rahmen eines solchen Buches gesprengt, das v. a. die Grundsätze der HPT in Theorien, Methoden und Wirksamkeit darstellt. Das ist ihm nach meinem Eindruck überzeugend gelungen und ich bin sehr dankbar, auch selbst wieder einige alte Schätze neu gefunden zu haben. In meiner täglichen klinischen Arbeit stehen Fragen der Existenzbasierung oft im Mittelpunkt. Den Patienten dabei zu helfen, sich selbst vertrauter zu werden, mehr Bezug und Selbstfürsorge zu sich zu bekommen, mehr Wahlfreiheit zu bekommen und den Mut, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen, das alles stellen für mich zentrale Therapieziele dar. Bei dieser täglichen Arbeit durch ein Buch so dabei unterstützt und bestätigt zu werden, empfinde ich als großen Gewinn.

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