Rezension zu Lehrerbildung auf dem Prüfstand (PDF-E-Book)

Engagement, 33. Jahrgang, 3/2015

Rezension von Tillmann F. Kreuzer

Die Herausgeber stellen den umfangreichen Teil der »Grundsatzbeiträge« an den Beginn des dreiteiligen Bandes, führen mit »Aspekte[n] zum Thema« fort und schließen mit »Persönliche[n] Dimensionen, erfahrungsbezogene Beiträge«. Die dem Titel nach formulierte »Lehrerbildung auf dem Prüfstand« wird fast ausschließlich aus sonder- und heilpädagogischer Sicht geführt und enttäuscht somit die Erwartungen anfangs etwas, da eine inklusive Schule nicht unbedingt nur aus dieser Sicht gedacht werden muss; sie ließe gerade die Hoffnung auf ein breiteres Spektrum in der Lehrerbildung zu.

Die Forderungen Feusers, die er im Einführungsartikel »aus dem Grundverständnis des Gedankens der Integration und Inklusion im Feld der Pädagogik heraus entwickelt]« (S. 13), bringt er zielführend zu Beginn des Bandes auf den Punkt. Dies solle durch eine Allgemeine Pädagogik geschehen, die nicht ausgrenze, sondern gemeinsames Lernen kooperativ ermögliche und »auf der Logik der menschlichen Entwicklung« (ebd.) fuße. Diese beinahe banale Tatsache scheint in der gegenwärtigen Lehrerbildung jedoch nicht unbedingt gewährleistet zu sein. So versteht Feuser unter »Integration die Exklusion aller in heil- und sonderpädagogischen Bildungsinstitutionen inkludierten Kinder und Jugendlichen« (ebd.) und unter »Inklusion die Realisierung ihrer Erziehung und Bildung in gleichberechtigter und gleichwertiger Teilhabe an einem gemeinsamen Unterricht« (ebd.), wahrscheinlich an einem gemeinsamen Leben in der Gesellschaft orientiert. Dass dies in der Regel bedauerlicherweise nicht der Fall ist, ist wohl eine der größten Verdrängungsleistungen unserer Gesellschaft, die es immer wieder bewusst zu machen gilt. Feuser greift dies im curricularen sowie im wissenschaftlichen Diskurs auf und bemerkt dazu, dass in der Allgemeinen Pädagogik diese »Gretchenfrage erst gar nicht gestellt wurde« (S. 18). Er benennt es in Form von »Kontrollverlust« (S. 15) oder als »hochgradiges fachwissenschaftliches Versagen« (S. 16). Feuser geht hart mit der Allgemeinen Pädagogik ins Gericht und spitzt seine Kritik mit der Aussage Adornos in dessen »Erziehung nach Auschwitz« (1971, S. 88) zu: »Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die erste der Erziehung« (S. 41). Feuser beschreibt, dass gerade durch Erziehung und Bildung hin zur Mündigkeit dies nur »in ihrer Notwendigkeit für die menschliche Persönlichkeitsentwicklung [und] nicht durch Missachtung [...] und Verachtung von Menschen durch Selektion, Ausgrenzung und Segregation in gesellschaftlich geschaffenen Ghettos« (ebd.) zu realisieren sei. Das Bewusstmachen dieser Tatsache sollte den Leser nachdenklich stimmen und dazu anregen, Lösungsmöglichkeiten zu suchen und – vor allem – zu realisieren. Feuser gibt dem Leser fünf Thesen an die Hand, die sich vom Sonderschulstatus der Hochschulen über die besondere Verantwortung der Lehrerbildungsinstitutionen hin zur inklusiven Lehrerbildung abbilden und in einen grob skizzierten Studienplan für Bachelor- und Masterstudiengänge münden. Die grundlegende Kritik, die er formuliert, mag zutreffen, die Nachdenklichkeit, die er erzeugt, anregen, zeigt aber auch deutlich auf, wie weit solch ein Weg ist und wie beharrlich dieser eingefordert werden muss.

Die »Streitsache Inklusion« von Reinald Eichholz wird von rechtlicher Seite wie von den Problemen und Streitpunkten der aktuellen Inklusionsdebatte mit einer phänomenologischen Begründung der Menschenrechte verbunden. »Menschenwürde entsteht ohne Blick auf Kriterien, Eigenschaften oder Defizite allein durch das Geborenwerden« (S. 79) – aber wo Recht »sich nicht auch gegen Widerstände durchsetzen kann« (S. 82), verfehlt es seinen Sinn.

Die folgenden Beiträge streifen ein breites Spektrum von Themen, von der »Ermöglichung inklusiven Unterrichts« über »Gedanken zum Praxis-Theorie-Verhältnis in der Ausbildung« und der »Reflexion komplexer Unterrichtsprozesse« bis hin zur Mitsprache der Betroffenen und deren Eltern. Die abschließenden erfahrungsbezogenen Beiträge runden den breit angelegten Sammelband ab.

Die vielschichtigen Beiträge lassen erahnen, welch großen Bedarf es in der aktuellen Diskussion um die Lehreraus- und -weiterbildung gibt. Es bleibt anzumerken, dass diese Diskussion nicht bei den Qualifikationen für inklusive Schulen oder den Heil- und Sonderpädagogen geführt werden darf, sondern gerade auf die Kompetenzen, Fähigkeiten und Haltungen der einzelnen Lehrer und Lehrerinnen bezogen sein sollte. Um es mit Janusz Korczak oder Siegfried Bernfeld zu sagen: Der Erzieher, die Erzieherin stehen nicht nur einem äußeren, realen Kind gegenüber, sondern auch ihrem eigenen, inneren Kind, das sie auf dem Weg ihrer Entwicklung begleiten und fördern.

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