Rezension zu Warum Singen glücklich macht

CHOR aktuell Nr. 147, März 2015

Rezension von Gustav Danzinger

Liebe Leserinnen und Leser,

im Zentrum meiner Rezensionen und Empfehlungen von neuen CDs mit Chormusik, neuen Noten und Büchern steht diesmal ein Buch, das für uns alle sehr wichtig ist. »Warum Singen glücklich macht« von Gunter Kreutz ist eine streng wissenschaftliche Darstellung und Zusammenfassung aller positiven Aspekte und Wirkungen des Singens. Das Chorsingen wird ja mitunter als ein dem Zeitgeist gegenüber anachronistisches Hobby betrachtet. Mit den Aussagen dieses Buches könnte sich eine Trendumkehr ankündigen, denn in jedem Lebensstadium vom Kleinkind bis zum Greis zeitigt aktives Singen eine verblüffende Vielzahl erfreulicher Auswirkungen auf Körper, Geist und Seele! Helfen Sie bitte auch mit, diese Erkenntnisse und Aussagen in der Öffentlichkeit zu verbreiten!

Singen, so beginnt Gunter Kreuz seine Gedankengänge, ist ein archaisches Mittel, um Gefühle herauszulassen und zu teilen. Es lässt kaum eine menschliche Empfindung aus, ob es eine zarte Regung oder ein starkes Gefühl betrifft. Dass Chöre in fast gleicher Besetzung oft über Jahrzehnte bestehen, zeigt, dass sich die Wirkungen des Singens nicht in kurzen Momenten des Glücks oder Wohlbefindens erschöpfen.

Dennoch gibt es sehr viele Menschen, die außer an Geburtstagen oder zu Weihnachten nie singen, die sich im Zeitalter von Casting-Shows und Opern-Liveübertragungen im Fernsehen nicht getrauen, gesungene Töne von sich zu geben, obwohl sie die Ausdruckskraft des Singens deutlich spüren.

»Während die einen die Stimmen und den Gesang als eine Art Spiegel der Seele empfinden, die in besonderer Weise emotional und spirituell zu wirken vermag, sehen andere im Singen lediglich eine weitere Form der Unterhaltung, die gerade gut genug ist, Pausen zu füllen und Langeweile zu vertreiben.«

Was hat Singen überhaupt mit Wohlfühlen zu tun? Was spielt sich dabei und danach in Gehirn, im Körper, in der Seele ab? Und: kann man diese und noch viele andere Fragen über die Funktion und die Wirkungen des Singens auf einer gesicherten Ebene beantworten? Gunter Kreuz hat in seinem Buch eine große Anzahl wissenschaftlicher Studien und Publikationen aus der ganzen Welt ausgewertet und verglichen, und stellt Ergebnisse vor, die zwar erst die Spitze des Eisberges darstellen können, aber bereits erstaunlich sind.

Denken wir an weit hinter uns liegende Zeiten, so fällt auf, dass der prähistorische Mensch zweifellos Sprache und Gesang parallel entwickelt haben muss. Und dass die Musik für die Evolution entbehrlich erscheint, ist kein Beweis ihrer Nutzlosigkeit, warum ist denn das Singen in allen Kulturen verbreitet, warum hat es der Mensch bis in die Gegenwart nicht aufgegeben? Singen und der in ihm enthaltene Rhythmus prägen schon die Ungeborenen, Singen und Bewegung geben allen beteiligten Individuen eine Vorstellung, was in einem vorgeht. Das synchrone zwischenmenschliche Tun beseitigt eine Barriere, die uns für gewöhnlich voneinander trennt.

Was beim Singen oder durch das Singen im menschlichen Gehirn passiert, ist noch sehr wenig erforscht. Studien zeigen, dass das Hirn Sprache und Musik beim Singen auf unterschiedliche Weise verarbeitet; Text und Melodie sind also auf verschiedene Areale im Gehirn verteilt. Bei Kleinkindern geht das Singen eindeutig dem Sprechen voraus; in der präverbalen Phase dienen musikalische Elemente der Stimme zur Kommunikation. Die von den Eltern der Sprösslinge instinktiv verwendete „Ammensprache“ ist ein melodiöser Singsang in hohem Register, der zunächst ausschließlich durch die musikalischen Bestandteile zum Bedeutungsträger wird. Am Ende des Lebens hingegen können Lieder bei degenerativen Gehirnerkrankungen noch bedeutungsvoll präsent sein, wenn die Sprachproduktion bereits komplett versagt.

Untersuchungen bei Kindern im Vorschulalter zeigten ein erstaunliches Gedächtnis für Lieder und Melodien, die oft nach einmaligem Anhören reproduziert werden können. Neben der für die gesamte Lebenszeit bedeutenden Kräftigung des Kehlkopfapparates und der Lunge zeigt sich auch, dass Kinder, die mit gemeinsamem Singen aufwachsen, sowohl emotionale Bindungen als auch soziale Kompetenz verstärkt entwickeln.

»Zusammenfassend kann man feststellen: Das gemeinsame Singen in der Familie, im Kindergarten und in der Grundschule birgt vielfältige Potentiale, etwa in Bereichen wie Stimm- und Sprachentwicklung. Emotionsregulation bis hin zur Förderung sozialer Bindungen zwischen den Generationen. Selbstverständlich ist Singen auch eine Grundlage der musikalischen Entwicklung. Diese Potenziale nachhaltig und vor allem flächendeckend zu nutzen, bleibt eine außerordentliche gesellschaftliche Herausforderung.«

Für die erwachsenen Menschen lässt eine Reihe von medizinischen Studien ebenfalls markante Vorteile evident werden. Singen macht nicht nur den Kehlkopf leistungsfähiger, sondern stärkt die Widerstandskraft des gesamten Atemapparates, selbst bei schweren Lungenerkrankungen konnten durch therapeutisches Singen bedeutende Erfolge erzielt werden. Zusätzlich verhilft Singen tendenziell zu verbesserter Körperhaltung, fördert Entspannung und Muskelkontrolle und belastet den Körper positiv. Namentlich für ältere Personen birgt das Singen eine wesentliche Verbesserung der psychosozialen Lebensqualität und mindert das Auftreten von Depressionen.

Zusammenfassungen weltweiter Forschungsergebnisse brachten als erstes Fazit ein ungeahnt breites Spektrum an potenziellen Wirkungen gemeinsamen Singens zutage, wie auch die dringende Notwendigkeit, mit weiteren Studien diese Potenziale wissenschaftlich zu untermauern.

Das Herzstück des Buches von Gunter Kreutz ist eine Zusammenfassung in sieben Hypothesen:

Warum Singen glücklich macht und gesund hält:
1) Singen verbessert die Stimmung und steigert das allgemeine Wohlbefinden
Dafür gibt es unzählige subjektive Wahrnehmungen und viele Erklärungsansätze Wichtig ist:
Es geht hier nicht um momentane Euphorie, sondern um nachhaltig positiv verändertes Bewusstsein.

2) Singen entspannt und mindert körperlichen und psychischen Stress
Studien weisen eine Verringerung des Stresshormons Cortisol wie auch beruhigende Wirkung gemeinsamen Singens auf die Herztätigkeit aus.

3) Singen fördert kognitive Leistungen
Das gilt im Kindesalter besonders für die Sprachkompetenz, gilt aber ebenso für die Rückgewinnung des Denkvermögens bei neurologischen Erkrankungen.

4) Singen fördert die psychische und körperliche Gesundheit
Psychische Probleme werden durch Singen namentlich in einer Gemeinschaft besser verkraftet. Die Wirkungen auf den gesamten Atemapparat wie auf das Herzkreislaufsystem lassen auf eine geringere Anfälligkeit für entsprechende Krankheiten schließen

5) Singen fördert Spiritualität und sorgt für tiefe seelische Erfahrungen
In allen großen Religionen hat das Singen eine bedeutende Rolle. Forscher vermuten, dass religiöse Gesänge ähnlich auf das Gehirn wirken, wie psychoaktive Substanzen.

6) Singen fördert ein positives Selbstbild und wirkt gegen psychosoziale Probleme
Hier gab es etwa eine große Studie mit einem Chorprojekt für Obdachlose, in der die Teilnehmer verlorene psychische Stabilität und Selbstsicherheit zurückeroberten.

7) Singen fördert Gefühle sozialer Verbundenheit
Hier haben mehrere Forscher mit unterschiedlichen Methoden das Hormon Oxytocin gemessen, das für soziale Bindungen eine wichtige Rolle spielt. Die Konzentration nahm bei Teilnehmern von Chorproben im Laufe derselben signifikant zu.

Und am Ende des Buches stehen noch ein paar praktische Tipps für den Alltag:

Gebrauchen Sie Ihre eigene Singstimme wenigstens einmal täglich für ein paar Minuten, egal bei welchen Tätigkeiten und ohne Gedanken an Noten, Texte oder richtige Töne.

Ermutigen Sie andere Menschen zum Singen und reagieren Sie mit Toleranz und Humor auf falsche Töne.

Sie kennen einen Menschen in Ihrer Nähe, dem es geistig, seelisch oder körperlich schlecht geht? Singen Sie mit diesem Menschen und hören Sie nicht auf, bis sich ein Lächeln oder ein Lachen Ihnen und Ihrem Gegenüber bemächtigt hat.

Vertrauen Sie Ihrer Singstimme und machen Sie sich und andere glücklich! Ohne Risiken und mit höchst wahrscheinlich positiven Nebenwirkungen

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