Rezension zu Kindheiten im Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen
Psychotherapie im Dialog - PiD 1-2006, 7.Jg.
Das ›Dritte Reich‹ mit all seinen historischen und politischen
Bedeutungen und Folgen bestimmt noch die deutsche Identität, die
Innen- und Außenpolitik und den geschichtlichen und politischen
Stand Deutschlands in der Welt. Die Generation der heute
Erwachsenen im mittleren Alter, die nie einen Krieg miterlebt hat,
ist zum Teil der ewigen Anklage und Aufrechterhaltung der aus
politischer Korrektheit geforderten nationalen Kollektivscham müde
und wendet sich von dem Thema ab. Aber auch die Generation ihrer
Eltern, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder er- und überlebt
haben, hat sich lange abgewendet und geschwiegen, freilich aus ganz
anderen Gründen. Die Kriegskinder von damals sind die heute über
Sechzigjährigen, doch was deren Leben und Entwicklung grundlegend
beeinflusst hat, wird erst heute erforscht und diskutiert.
In der vorliegenden Sammlung von Aufsätzen berichten Ärzte,
Psychologen und andere Fachleute von ihren Erfahrungen mit Menschen
dieser Generation. Der Herausgeber und Autor geht seit 1985 mit 19
psychotherapeutischen PatientInnen unterschiedlichen Fragen nach:
z.B. nach der Bedeutung des fehlenden Vaters, wie reagierten die
damaligen Kinder auf die Erlebnisse, wie verarbeiteten sie sie, wie
entwickelten sie sich, welche »Narben« blieben zurück, wie sind sie
mit den leidvollen Erfahrungen im jüngeren und mittleren
Erwachsenenalter umgegangen, welche Bedeutung haben die Erlebnisse
für sie im höheren Alter usw. Die Aufsätze des Buches geben
Einblick in den Kenntnis- und Forschungsstand und diskutieren
Perspektiven, außerdem werden unterschiedliche
historisch-sozialgeschichtliche, psychologische und medizinische
Aspekte angesprochen und u.a. anhand von Studienergebnissen und
Fallberichten vorgestellt. Die Lektüre empfiehlt sich insbesondere
Therapeuten, die mit dieser Generation arbeiten, aber natürlich
auch allen psychosozialgeschichtlich Interessierten oder selbst
Betroffenen.