Rezension zu Neue Mütter - neue Väter

Zeitschrift für Sexualforschung, Heft 2, 28. Jahrgang, 2015

Rezension von Ulrike Schmauch

In den 1970er Jahren war die Frage der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Frauenbewegung ein heiß diskutiertes Thema – in den Frauengruppen ebenso wie in der feministischen Theorieentwicklung und auf privater Ebene, in den Paarbeziehungen zwischen Frauen und Männern. Die hierarchische, im modernen Kapitalismus entstandene geschlechtliche Arbeitsteilung, die der Frau die unbezahlte Familienarbeit und dem Mann die bezahlte Berufsarbeit zuweist, wurde als eine zentrale Ursache der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern der Reproduktion stereotyper Geschlechterbilder und einer polar ausgerichteten Geschlechtersozialisation erkannt. Daher waren viele Hoffnungen darauf gerichtet, eine neue Praxis zu erproben und Elternschaft, Hausarbeit und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern gerecht zu teilen. Die Teilhabe an beiden Bereichen sollte die Vereinseitigung beider Geschlechter aufheben, die Paarbeziehung egalitärer werden lassen und den Töchtern und Söhnen ermöglichen, sich jenseits traditioneller Weiblichkeits- und Männlichkeitsmuster frei zu entwickeln. Den Versuch, in diesem Sinne »anders zu leben«, haben seither viele heterosexuelle, partnerschaftlich eingestellte Paare mit Kindern gemacht. Weil dieses Lebensmodell überwiegend frei gewählt wurde und die Erwartungen sehr optimistisch waren, ist es besonders interessant, heute zu erforschen, was aus den Anfängen geworden ist – aus den hohen Ansprüchen, dem Alltag, der Paarbeziehung und den Kindern.

Hierzu legt nun Karin Flaake eine sehr beeindruckende Studie vor, die wichtige Erkenntnisse liefert und spannend zu lesen ist. Die Arbeit nimmt Bezug zu verschiedenen theoretischen Kontexten: zur Familiensoziologie, zur Care-Debatte und Sozialstaatsanalyse, zu Ergebnissen der Familien- und Geschlechterforschung und zu psychoanalytischen Konzepten. Das Hauptinteresse der Autorin liegt indessen nicht in erster Linie bei der theoretischen Erörterung, sondern in der Darstellung der empirischen Ergebnisse und ihrer Deutung. Aus den Interviews mit allen Mitgliedern einer jeden von ihr befragten Familie lässt die Autorin umfangreiche lebendige Familienportraits bzw. Familienbiografien entstehen; schon auf dieser Ebene bereitet das Buch großen Lesegenuss. Darüber hinaus entstehen plastische Eindrücke von der enormen Komplexität der sich verwebenden Beziehungen zwischen den jeweiligen Töchtern, Söhnen, Vätern und Müttern. Flaakes Vorgehen wirkt dabei präzise, geduldig und äußerst sorgfältig, ihre Deutungsarbeit empathisch und auf fast paar- und familientherapeutische Weise allparteilich. Die Autorin gelangt zu prägnanten Ergebnissen, die klar beleuchten, wo im Blick auf diese Lebensform für Frauen und Männer als zusammenlebende Eltern jeweils die Möglichkeiten der Erweiterung, aber auch die inneren traditionellen Barrieren liegen, wo äußere, gesellschaftliche Rahmenbedingungen förderlich oder hinderlich sind, und was die Töchter und Söhne aus dieser nichttraditionellen Familienerfahrung für Konsequenzen für ihre eigenen Lebensentwürfe ziehen.

Bevor die einzelnen thematischen Abschnitte erörtert werden, seien die Forschungsfragen und Informationen zur Studie vorgestellt. Das Untersuchungsinteresse richtet sich auf Familien mit »nichttraditioneller geschlechtlicher Arbeitsteilung«, in denen also die Männer ganz oder teilweise die Verantwortung für Haus- und Erziehungsarbeit übernehmen und die Frauen entsprechend voll- oder teilzeiterwerbstätig sind. Es geht der Autorin um die »Auswirkungen einer solchen Verschiebung in den Geschlechterverhältnissen: um Konfliktbereiche und Neuorientierungen in der Paarbeziehung, um die Wirkung traditioneller Geschlechterbilder und deren Umgestaltung und um Sozialisationsprozesse der Töchter und Söhne unter solchen nichttraditionellen familiären Bedingungen« (S. 14). Insbesondere möchte sie erforschen, »ob sich durch eine solche Konstellation Geschlechterbilder bei den Kindern verflüssigen: Welche Bedeutung hat es für Söhne, wenn sie körperliche und emotionale Nähe schon früh auch mit einer Person gleichen Geschlechts erleben? [...] Welche Bedeutung hat die frühe Präsenz des Vaters bei gleichzeitiger kontinuierlicher Berufstätigkeit der Mutter für die Töchter? [...] Relativieren sich Bilder einer »guten Mutter«?« (S. 18).

In die Studie wurden insgesamt zwölf Familien einbezogen, davon neun Familien, in denen beide Eltern ihre Erwerbsarbeitszeit reduziert hatten und gleichermaßen familiale Alltags- und Erziehungsaufgaben übernahmen, weiterhin drei Familien, in denen die Männer die Hauptzuständigen für die Familienarbeiten und die Frauen vollerwerbstätig waren. Um ausreichend lange Zeiträume im Rückblick betrachten und auch Töchter und Söhne selbst zu ihrer Sicht befragen zu können, wurde für die Teilnahme der Kinder ein Mindestalter von 13 Jahren festgelegt; es beteiligten sich Töchter und Söhne zwischen 13 und 27 Jahren. Die Familien »repräsentieren eine heterosexuelle Lebensweise und ein städtisch orientiertes westdeutsches Mittelschichtmilieu mit hohem Ausbildungsniveau« (S. 22). Diese soziale Zusammensetzung findet sich auch in anderen Studien zum Thema; zur Erklärung für den hohen Anteil der AkademikerInnen wird auf ihre spezifische Nähe zu alternativen Lebensformen und ihre finanziellen Ressourcen für deren Finanzierung verwiesen. Die Familienmitglieder wurden anhand »eines flexibel zu handhabenden Interview-Leitfadens« (a. a. 0.) – der leider im Anhang fehlt – getrennt voneinander befragt. Die Auswertung erfolgte »nach einem Verfahren psychoanalytisch orientierter Textinterpretation [...], das es ermöglicht, auch latente, nicht bewusste Inhalte herauszuarbeiten« (a. a. 0.).

Das Buch ist in vier große Teile gegliedert. Bereits das über siebenseitige Inhaltsverzeichnis macht deutlich, wie viele differenzierte Aspekte betrachtet und mit Fallmaterial verknüpft werden, wie vielschichtig das Thema und wie reichhaltig das Gefundene ist. Dennoch hätten eventuell kürzere Kapitelüberschriften und etwas weniger Untergliederung einer größeren Klarheit gedient. Zwar kann man als Leserin zwischen all den Ebenen, Mustern und Personen zwischendurch etwas die Orientierung verlieren, zum Beispiel, wenn man versucht, die hinten mitgeteilten Lebensentwürfe von Töchtern und Söhnen zu den vorn dargestellten Sichtweisen der jeweils zugehörigen Eltern auf ihre Kinder und auf ihre Paardynamik in Verbindung zu setzen. Hier wären im Anhang eine Übersicht über alle Beteiligten mit Kurzinformationen und eine grafische, z. B. genogramm-artige Darstellung jeder Familie sicher hilfreich gewesen. Wenn man sich jedoch ebenso sorgfältig, genau und geduldig wie die Autorin selbst auf die Wahrnehmung der manifesten und latenten Mitteilungen der Befragten einlässt und ihrer schlüssigen Interpretationsarbeit folgt, treten die roten Fäden klar hervor, ebenso in den präzise gebündelten Resümees. Zwei Leitbegriffe durchziehen die Analyse: der Begriff der »Verflüssigung«, bezogen auf Abwehrstrukturen, starre Geschlechterbilder und deren mögliche Umgestaltung, und der Begriff der »Verführung«, bezogen auf krisenhafte emotionale Situationen, die zum Rückgriff auf traditionelle geschlechtsbezogene Bewältigungsmuster einladen.

Im ersten Teil »Geteilte Elternschaft und Dynamiken in Paarbeziehungen« geht es um Motive von Paaren für eine geteilte Elternschaft, Weichenstellungen nach der Geburt und um weitere Entwicklungen in den Beziehungen zu den Kindern. Die brisantesten Themen kommen gleich auf den Tisch: das Stillen und die Hausarbeit. Überzeugend arbeitet die Autorin anhand des Materials die destabilisierende Wirkung des Lebens mit einem Neugeborenen für Erwachsene beiden Geschlechts heraus. Die durch den hilflosen Säugling in den Eltern ausgelösten Gefühle und das Stillen können zur »Verflüssigung von Abwehrstrukturen« (S. 140) und damit in zwei unterschiedliche Richtungen führen: in eine Richtung der emotionalen Öffnung und der Neugestaltung, andererseits in eine Tendenz zu Flucht und Rückzug in traditionelle Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder. Beide Themen enthalten, so Flaake, die »Verführung« zum Rückgriff auf die traditionelle Aufgabenverteilung, entgegen der bewussten Entscheidung der Paare für das gleichberechtigte Alltagsarrangement. Gar nicht hoch genug einzuschätzen ist in diesem Zusammenhang die Wirkung des normativen Bildes der guten Mutter, in den Gefühlen der Frauen wie der Männer. Das gleiche idealisierte Mutterbild sieht die Autorin auch in einigen psychoanalytischen Ansätzen, die sie überzeugend kritisiert. Diese sehr interessante Auseinandersetzung wird hier nur in der Fußnote geführt, verdient aber einen breiteren Raum. Zugegebenermaßen fällt es beim Lesen der Interviewaussagen zum Konfliktfeld Hausarbeit nicht leicht, der Verfasserin auf ihrem paardynamisch ausgewogenen, allparteilichen Weg zu folgen. Die weiterhin überwiegend nicht gleichgewichtige Aufteilung bei den befragten Paaren und die auch hier anzutreffende verbreitete männliche Verweigerungshaltung geben schon zu denken. Die von Flaake geschätzte pragmatische Lösung, die Delegation der Hausarbeit an »eine familienexterne Person« (S. 142), – vulgo »Putzfrau« – hebt den Anspruch und den Konflikt nicht auf. Vielleicht kann ja erst bei Söhnen der übernächsten Generation ein Verhältnis zur Hausarbeit entstehen, das in dieser nichts ehrenrührig Weibliches mehr fürchtet.

Im zweiten Teil »Geteilte Elternschaft, Geschlecht und Sozialisation« wird die familiale Geschlechtersozialisation anhand sehr detaillierter Fallstudien in unterschiedlichen Konstellationen untersucht: Zunächst die Entwicklung von Sohn und Tochter in einer Familie mit Vollerwerbstätigkeit der Mutter und Zuständigkeit des Vaters für Familienarbeiten; anschließend die Entwicklung von Töchtern und von Söhnen in Familien mit geteilter Elternschaft und Teilzeiterwerbsarbeit. Es zeigt sich erneut, wie viele Faktoren im Beziehungsprozess, der zum familialen Sozialisationsprozess wird, zusammen wirken: die Organisation des Familienalltags; die individuellen, biografisch bedingten Möglichkeiten und Grenzen von Vätern und Müttern, sich auf Nähe zu männlichen bzw. weiblichen Kindern einzulassen; die Qualität der elterlichen Paarbeziehung; die jeweiligen Altersstufen der Kinder und darin die Kleinkindzeit und die Adoleszenz als besonders prägende Phasen für die Geschlechtsidentität; das (Nicht-) Vorhandensein von Geschwistern und deren Konstellation, Alter und Geschlecht; relevante Lebensereignisse, die die Entwicklung aller Beteiligten beeinflussen. Als Ergebnis formuliert Flaake: »Auch bezogen auf Beziehungsmuster zwischen Müttern und Vätern und ihren Töchtern und Söhnen zeigt sich ein Nebeneinander von Neugestaltungen der Geschlechterbeziehungen und Beharrungstendenzen. So gibt es in den Familien Prozesse, über die sich traditionelle geschlechtsbezogene Zuweisungen herstellen, aber auch Verflüssigungen von Geschlechtergrenzen« (S. 297).

Im dritten Teil geht es um »Geteilte Elternschaft – Einschätzungen im Rückblick und Bedeutung in Lebensentwürfen der Kinder«. Hier konstatiert die Autorin: »Sowohl die Eltern als auch die Kinder kommen zu einer überaus positiven Einschätzung, wenn es um die in der Paarbeziehung geteilte Zuständigkeit für Familienarbeiten geht« (S. 277). Im Vordergrund stehen für alle die bereichernden Erfahrungen, »auch bei den Paaren, bei denen die Arbeitsteilung konflikthaft und das gewählte Arrangement mit Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten verbunden waren« (ebd.). Die befragten jungen Frauen und Männer bewerten es als wichtig und entwicklungsfördernd, entlastend und ausgleichend, dass beide Elternteile gleichermaßen im Alltag verfügbar waren (bzw. sind). Allerdings halten Söhne und Töchter aus Familien, in denen die Mutter vollzeit- und der Vater nicht erwerbstätig, sondern primär für die Familienarbeit zuständig war, dieses Modell im Blick auf ihre eigene Lebensplanung nicht für attraktiv. Demgegenüber übt das Modell, in dem beide Elternteile erwerbstätig sind und sich die Familienarbeit teilen, eine stärkere Anziehungskraft aus, insbesondere dann, wenn die Eltern mit dieser Lebensform zufrieden waren und die Aufgabenteilung wenig ambivalent und relativ konfliktfrei leben konnten.

Teil vier mit der Überschrift »Geteilte Elternschaft und veränderte Geschlechterbeziehungen – Resümee« fasst die Befunde der empirischen Studie zusammen und gelangt zu verallgemeinernden Aussagen. Während deutlich wurde, dass die Verantwortlichkeit beider Geschlechter für die Familienarbeit die Basis für eine umfassendere Geschlechtergerechtigkeit schaffen kann, bestehen gegen ihre umfassende Verwirklichung äußere und innere Hindernisse. Flaake benennt die äußeren, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, die immer noch ein eher traditionelles Familienmodell fördern, insbesondere durch wohlfahrtsstaatliche Regulierungen und die vorherrschenden Strukturen im Erwerbsbereich. Diese Rahmenbedingungen führen für Paare, die die Elternschaft paritätisch teilen und den Alltag neu organisieren wollen, zu hohem Koordinationsaufwand, insbesondere bezogen auf die Betreuung der Kinder, zu Schwierigkeiten in der Synchronisierung der Erwerbs-, Schul- und Familienzeiten, damit zu häufigem Zeitdruck und zu möglichen Konflikten. Bezogen auf die innerpsychische Ebene stellt die Autorin zutreffend fest, dass die Veränderungsprozesse »bei beiden Geschlechtern Ängste und Widerstände auslösen können« (S. 288). Dies kann die Entscheidung für eine nichttraditionelle Lebensform »konfliktreicher und langwieriger machen« als erhofft (ebd.), weil bei Frauen und Männern unbewusste Bindungen an traditionelle Geschlechterbilder bestehen, deren bewusste Überwindung dann Verunsicherung und Zweifel bewirken. Für Männer, so Flaake, scheinen Hausarbeiten den »Kern einer gesellschaftlich gering geschätzten Weiblichkeit« (S. 289) zu repräsentieren, das männliche Selbstverständnis zu bedrohen und damit eine Abgrenzung vom Weiblichen zu erfordern. Bei Frauen scheint insbesondere die innere Bindung an idealisierende und normative Bilder der guten Mutter und Hausfrau ein Grund für Ängste und Veränderungsresistenz zu sein. Es ist Flaakes Verdienst, diese inneren Bilder zum Sprechen zu bringen, aber ebenso, neben ihnen die realen neuen und befriedigenden Erfahrungen lebendig werden zu lassen, die mit geteilter Eltern- und Erwerbsarbeit verbunden sein können.

Da die Studie in psychodynamischer, sozialisationstheoretischer und geschlechterpolitischer Hinsicht gleichermaßen interessante Themen berührt, regt sie auch zu vielen weiterführenden Fragen an: Wie können Frauen und Männer ein gutes Leben miteinander führen, obwohl aus dem feministischen Kampfruf »Wir wollen alles!« im Lauf der Zeit die Erfahrung »Wir müssen alles schaffen« geworden ist? Wie kann die Teilung der Erwerbsarbeit und Elternschaft von einer oft überfordernden Form, in der gesellschaftliche Widersprüche privatisiert werden, zu einem angenehmen Alltag werden? Was wird aus der Liebe (der Eltern) in solch einem »Projekt der Geschlechtergerechtigkeit«, wie kann sie trotz all des notwendigen Aushandelns und Streitens, trotz der Traditionssehnsucht, (weiter-)bestehen? Welche Erfahrungen machen heterosexuelle Paare in anderen Milieus, wenn sie Familien- und Erwerbsarbeit in nichttraditioneller Weise zwischen sich aufteilen wollen? Wie entwickeln sich Paar- und Familiendynamik, Geschlechterbilder und Sozialisation bei lesbischen Eltern und ihren Söhnen und Töchtern? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten ergeben sich zu heterosexuellen Eltern und ihren Kindern? So zeigt sich, dass auf dem Politik- und Forschungsfeld, das Karin Flaake bearbeitet, noch viel zu tun ist.

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