Rezension zu Sigmund Freud und Otto Rank
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Rezension von Götz Egloff
Die vielleicht engste Beziehung in der ersten Generation der
Psychoanalyse bestand zwischen deren Begründer Sigmund Freud und
dessen wenig beachtetem Meisterschüler Otto Rank, die immerhin 29
Jahre Altersunterschied voneinander trennte. Umso verbindender ihre
lang währende gemeinsame Arbeit an den Grundfesten der
Psychoanalyse, wenn im Verlauf auch Trennendes in den Vordergrund
rückte, vielleicht rücken musste. Die Autoren E. James Lieberman –
der auch für die großartige Biographie »Otto Rank – Leben und Werk«
(Gießen, 1997) – verantwortlich zeichnet, und Robert Kramer –
langjähriger politischer Berater während der Clinton Administration
– haben den ungewöhnlichen Weg einer Historiographie entlang des
Briefwechsels der Protagonisten gewagt, und das Experiment ist
geglückt.
Die Geburtserfahrung; die Mutterfixierung, die der Urverdrängung
gleichkommt; die verlorene Mutter-Kind-Beziehung, die in der
Mutter-Imago als Phantasma von Angst und Sehnsucht – eins gibt es
nicht ohne das Andere – wieder auftaucht: all dies sind
Grundpfeiler heutigen psychoanalytischen Verstehens, die auf Ranks
Denken zurückgehen. Jene Bilder, die dem Leser dieser Zeilen beim
Gedanken an das, was heute Psychotherapie genannt wird, durch den
Kopf gehen, was aus unzähligen Filmen, Texten, Berichten und
vielleicht aus der eigenen Erfahrung bekannt ist, wäre nicht nur
ohne Freud, sondern auch ohne Rank so nicht möglich gewesen.
Zumindest sähe es anders aus, fühlte sich anders an, hätte sich mit
anderen Akzenten entwickelt. Rank hat entscheidende Impulse an Carl
Rogers gegeben, dessen Gesprächspsychotherapie heute noch in den
USA die weiteste Verbreitung hat und neben der Psychoanalyse im
Liegen auf der Couch über Jahrzehnte hinweg maßgebend war. Erst
postmoderne konstruktivistische Ansätze modifizierten bzw.
definierten Therapie teilweise in neue Richtungen, dies zunächst
mit mitunter ähnlich bahnbrechenden neuen Perspektiven, von denen
viele jedoch mittlerweile wieder relativiert wurden. Wenn man so
will, landete man in den letzten Jahren auf einem gemeinsamen
psychodynamischen Nenner, der in der heute noch in Deutschland am
weitest verbreiteten Therapieform, der sogenannten
tiefenpsychologischen Psychotherapie, die ein- bis zweimal pro
Woche im Sitzen stattfindet, ihren wohlbegründeten Sinn gefunden
hat. Ranks vielleicht bedeutendstes Werk jedoch, das »Trauma der
Geburt und seine Bedeutung für die Psychoanalyse« (1924) führt bis
heute ein Schattendasein, zu problematisch erscheint der Gedanke an
ein Real-Trauma der Geburtserfahrung. Dieser führte letztlich auch
zum Bruch mit Freud.
Die Autoren Lieberman und Kramer, die bereits 1997 auf der
Heidelberger Tagung »Die Wiederentdeckung Otto Ranks für die
Psychoanalyse« eindrucksvoll die Person Rank und ihr Wirken
vorgestellt hatten, verknüpfen 250 Briefe aus der Korrespondenz
Freud-Rank mit den Persönlichkeiten, der Politik und den
Wissenschaften ihrer Zeit. Sie zeichnen dabei die Entwicklung
psychoanalytischen Denkens und das der zwei Protagonisten (und
Antagonisten), die das Denken der westlichen (und auch von nicht
unbedeutenden Teilen der östlichen) Welt maßgeblich geprägt haben,
eindrucksvoll nach. »The Letters of Sigmund Freud and Otto Rank:
Inside Psychoanalysis«, bei der Johns Hopkins University Press 2011
in Baltimore erschienen, wurde von Antje Becker hervorragend ins
Deutsche übersetzt und dankenswerterweise vom Psychosozial-Verlag
in Gießen veröffentlicht. Das Buch gibt einen hochinteressanten,
lebensnahen Einblick in die Psychoanalyse und ihre
Entstehungsgeschichte.
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