Rezension zu Analytische Sozialpsychologie
Psyche, 69. Jahrgang, Heft 5, Mai 2015
Rezension von Christian Schneider
Lesen Sie hier Auszüge aus der Rezension:
»Der erste Band eröffnet mit Texten von Psychoanalytikern, die
schon früh versuchten, ihre Erkenntnisse sozialpsychologisch und
gesellschaftskritisch zu erweitern. Auszüge aus Freuds
Massenpsychologie und Ich-Analyse und der religionskritischen
Schrift Zukunft einer Illusion zeigen, wie viel dem analytischen
Gründungsvater daran gelegen war, seine Wissenschaft nicht auf die
Klinik zu beschränken.«
»Die im ersten Band versammelten Texte von Freud und der ersten
Generation seiner Schüler (Ferenczi, Federn, Fenichel, Abraham,
Bernfeld) bezeugen in verschiedenen Facettierungen den Anspruch,
die Analyse als Mittel zum Verständnis komplexer
gesellschaftlicher und politischer Phänomene zu etablieren. Heute
imponiert bei der Lektüre die eigenartige Melange von
scharfsinniger Intuition, mutigem theoretischem Ausgriff und
bisweilen erschreckender Naivität, mit der vom Einzelfall auf
Gesellschaftliches extrapoliert wird. Die chronologisch
angeordneten Beiträge aus den Jahren 1913 bis 1932, vom
Herausgeber als Teil 1 und 2 des Bandes gekennzeichnet, enden mit
Texten von Erich Fromm und Max Horkheimer – und zeigen damit einen
Wechsel in der Federführung des Projekts Analytische
Sozialpsychologie an: Beide waren führende Köpfe jenes
legendären Frankfurter Instituts für Sozialforschung, dem
Horkheimer seit 1930 vorstand, und dessen gesellschaftsanalytischem
Ansatz größte Bedeutung für die weitere Entwicklung aller
Syntheseversuche zwischen Psychologie und Sozialwissenschaften
zukam – bis hin zu ihrer späten Wirkung auf die im Umkreis von
»68« entstandenen Theorieentwürfe. «
»Texte von Reich, Fenichel, Simmel, Erikson und Adorno schließen,
als Teil 3, den ersten Band ab: Mit Themen wie ›Der Widerspruch des
Nationalsozialismus‹, ›Die Legende von Hitlers Kindheit‹,
›Antisemitismus und Massenpsychologie‹ oder ›Die Freudsche Theorie
und die Struktur der faschistischen Propaganda‹ zeigen sie die
fundamentale Erschütterung durch den Nationalsozialismus.«
»Der 2. Band, der den gesamten ›Teil 4‹ der Ausgabe umfasst,
dokumentiert die Entwicklung nach 1945. Mit Ausnahme von Talcott
Parsons’ hierzulande wenig rezipiertem Aufsatz ›Freuds Beitrag zur
Integration von Psychologie und Soziologie‹ (1958) stammen die
Texte überwiegend von deutschsprachigen Autoren, wobei die
Analytiker gegenüber den Soziologen nun die Minderheit bilden.
Alexander Mitscherlich, Paul Parin, Alfred Lorenzer und Lutz
Rosenkötter gehörten zum Stammpersonal der wissenschaftlichen
Avantgarde, die in den 60er und 70er Jahren die
zivilgesellschaftlichen Emanzipationsversuche der BRD kritisch
begleiteten: Ihre Arbeiten über Vaterlosigkeit und
Massengesellschaft, den Einfluss von Geschichte und Gesellschaft
auf Biographien und die Kritik an der gesellschaftspolitischen
Abstinenz der Psychoanalytiker zeigen im analytischen Fokus das
Problemspektrum jener Zeit. Judith Kestenbergs Studie über die
Kinder von Überlebenden der Naziverfolgung führt eindringlich die
psychologischen Folgen der politischen Katastrophe vor Augen, die
Fromm und Horkheimer vorhersagten – ohne damals ihr Ausmaß auch nur
ahnen zu können.«
»Im 2. Band der Textsammlung, der, neben den genannten, Autoren wie
Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Peter Brückner und Alfred
Krovoza, Rudolf Heinz, Lambert Bolterauer, Klaus Horn und Silvia
Amati versammelt, wird der Zeitgeist deutlich, der aus dem
methodisch verfeinerten Zusammengehen von Marx und Freud sich die
Lösung der Welträtsel versprach.«
»Das entscheidende Verdienst des Sammelbandes ist ein
wissenschaftshistorisches. Das Gros der Beiträge liest sich wie
die Dokumentation einer gescheiterten Hoffnung.«
Die vollständige Besprechung finden Sie im digitalen
Klett-Cotta-Archiv der Psyche:
www.volltext.psyche.de