Rezension zu Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung
fachbuchjournal, 7. Jahrgang, Juni 2015
Rezension von Prof. Dr. Dr. Reinhard Joachim Wabnitz
»Kindeswohl« ist nicht nur eine psychologische oder pädagogische,
sondern vor allem eine rechtliche Kategorie – und zugleich ein
unbestimmter Rechtsbegriff, der sich in zahlreichen gesetzlichen
Vorschriften findet, an prominenter Stelle in den § 1666 und 1697
BGB. Zugleich bezeichnet der Begriff ein zentrales Rechtsgut von
Kindern und Jugendlichen, das zu schützen Aufgabe der Eltern oder,
wenn diese versagen, des Staates ist. »Zuständig« als Garanten des
»staatlichen Wächteramtes« sind hier in erster Linie das
Familiengericht sowie das Jugendamt. Diese haben den Auftrag, das
Kind zu schützen, wenn sein Wohl gefährdet ist. Dies soll, wenn es
irgend geht, gemeinsam mit den Eltern geschehen – gegebenenfalls
aber auch gegen deren Willen, wenn es die Situation des Kindes oder
Jugendlichen erforderlich macht.
Fragen des Kinderschutzes spielen seit ca. zehn Jahren wieder eine
überrragende Bedeutung im Aufgabenspektrum der Kinder- und
Jugendhilfe und haben zu zahlreichen gesetzlichen Neuregelungen
geführt, etwa aufgrund des Kinder- und
Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes 2005 mit der Einfügung des
damals neuen § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in
dieses Gesetz, aufgrund des Bundeskinderschutzgesetzes 2012 und
aufgrund von Landeskinderschutzgesetzen in nunmehr allen
Bundesländern. Anliegen des hier anzuzeigenden Buches ist es,
Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung sowohl im Hinblick auf den
genannten § 8a SGB VIII als auch aus psychoanalytisch-pädagogischer
Perspektive zu reflektieren (Vorwort, S. 15). Im ersten Beitrag
beschäftigt sich Wolfgang Feuerhelm mit rechtlichen Aspekten des
Kinderschutzes, auch über die bereits genannten Vorschriften
hinaus. David Zimmermann setzt sich sodann mit
Kindeswohlgefährdungen auseinander, die auf Traumatisierungen
zurückgehen. Traumatisierungen spielen auch im Beitrag von Marianne
Leuzinger Bohleber, Lorena Hartmann, Verena Neubert und Tamara
Fischmann eine wichtige Rolle: sie gehen insbesondere der Frage
nach, ob Kindeswohlgefährdung zu professionellen Grenzerfahrungen
führen kann. Das »Wohl des Kindes in der Erziehungsberatung« ist
das Thema, dem sich Urte Finger-Trescher widmet: anhand
unterschiedlicher Kategorien der Kindeswohlgefährdung, vom
offenkundigen Faktum bis hin zu einer potentiellen Gefährdung, wird
analysiert, was unter Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung aus
psychoanalytisch pädagogischer Sicht zu verstehen ist und welche
Rolle und Funktion eine Er bzw. Beziehungsberatung einnimmt, die
ihre Arbeit psychoanalytisch fundiert.
Magdalena Stemmer Lück beschreibt in ihren Ausführungen u. a. die
Aufgaben des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) im Rahmen eines
komplexen Kommunikations und lnteraktionssystems und erläutert
psychoanalytisch pädagogische Verstehenszugänge anhand von
Fallberichten zu Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem
Missbrauch. Judit Barth Richtarz berichtet über die Österreichische
Evaluationsstudie zum Kindschaftsrechts Änderungsgesetz 2001.
Margret Dörr geht der Frage nach, welchen Beitrag stationäre
Einrichtungen zur (Wieder )Herstellung des Wohlergehens von Kindern
und Jugendlichen leisten können. Margrit Brückner und Annelinde
Eggert Schmid Noerr setzen sich mit »Häuslicher Gewalt und
Kindeswohlgefährdung« auseinander. Hans Weiß und Bernd Ahrbeck
gehen auf institutionelle Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten von
Frühförderung ein. Und Ursula Pforr nimmt sich unter der
Überschrift »Drohende oder vermutete Kindeswohlgefährdung?«
schließlich der Elternschaft von Menschen mit geistiger Behinderung
an. Abgerundet wird das Werk durch eine Literaturumschau von
Barbara Neudecker zu aktuellen Publikationen, die sich mit der
Entwicklung und Geschichte der psychoanalytischen Pädagogik
beschäftigen.
Das Werk ist allen zu empfehlen, die sich aus psychoanalytischer
und/oder pädagogischer Perspektive mit dem schwierigen Themenfeld
von Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung befassen oder in der
Praxis, insbesondere in den Allgemeinen Sozialen Diensten,
unmittelbar »vor Ort« zuständig sind. Das Werk ist aber auch von
Interesse für Juristinnen und Juristen, die mit dem Thema
wissenschaftlich oder berufspraktisch befasst sind, denn auch für
sie können psychoanalytisch pädagogische Perspektiven von großem
Nutzen und für ein umfassendes Verständnis geradezu unverzichtbar
sein. (rjw)