Rezension zu Triangulierung (PDF-E-Book)
Analytische Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie Nr. 186, 4/2015
Grieser, Jürgen: Triangulierung. Gießen (Psychosozial), 2015
Dreieckskonstellationen durchziehen unseren gesamten Lebenslauf und
sind auch in der Psychotherapie allgegenwärtig. Die erste hatte
bereits Sigmund Freud mit dem ödipalen Dreieck beschrieben, heute
kennen wir eine Vielzahl von Triaden. Triangulierung – das
Einbeziehen einer dritten Partei – spielt sowohl für das
Verständnis als auch für die Behandlung psychischer
Beeinträchtigungen eine wichtige Rolle. Gerade in den schwierigen
therapeutischen Situationen kann sie zusätzliche Perspektiven
eröffnen.
Jürgen Griesers Buch, welches in der Reihe »Analyse der Psyche und
Psychotherapie« erscheint, stellt ein Grundlagenwerk dar und bietet
nach einem kurzen geschichtlichen Überblick die verschiedenen
Formen von Triangulierungen in der biografischen Entwicklung dar.
Anschließend werden die Grundformen gestörter Triaden und ihre
Psychodynamik beschrieben. Dabei zeigt der Autor auf, wie
Triangulierungen therapeutisch genutzt werden können, und
fokussiert u. a. auf den Therapeuten als Dritten, die
therapeutische Beziehung als »intersubjektives Drittes« sowie auf
Triangulierungen in Mehrpersonensettings auch außerhalb der
Psychotherapie.
War früher für den Psychoanalytiker das ödipale Dreieck ein
Grundverständnis für triadische Situationen in der Therapie, so
wurde das Konzept der Triangulierung in neuerer Zeit ausgeweitet
und beschäftigt sich allgemein mit den Fragen, welche Rolle der,
die oder das Dritte in der psychischen Entwicklung und der
Entstehung von psychischen Störungen und deren Behandlung spielt.
»Triangulierung« stand zunächst nur für eine der ödipalen
Triangulierung zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr
vorausgehende und deshalb »frühe« Triangulierung genannte
Konstellation, in der der Vater in der Mitte des zweiten
Lebensjahres die Mutter-Kind-Dyade zu einer Triade erweitert. Heute
sehen wir Triangulierung als ein psychisches Grundprinzip, das weit
über das reale oder imaginäre Personendreieck der Kleinfamilie
hinaus in unterschiedlichen Lebensphasen in Erscheinung tritt. Die
Grundidee ist, dass die Beziehung zwischen zwei Polen durch einen
dritten ermöglicht und reguliert wird, wobei die Triangulierung
Öffnung und Entwicklung bedeutet, zugleich aber auch Stabilisierung
und Sicherheit. Der oder das triangulierende Dritte reguliert und
relativiert die Beziehung zwischen zwei anderen.
Triangulierungsprozesse beginnen vor der Geburt und enden mit dem
Tod, was die Bedeutung des Ödipuskomplexes, der Ur-Triade der
Psychoanalyse, für den therapeutischen Alltag relativiert.
So ist neben der raumschaffenden Funktion der Triangulierung auch
an die psychosomatische Triangulierung zu denken, bei der der
Körper des Kindes als Drittes die Mutter-Kind-Dyade aufspannt und
die Zuständigkeit über diesen Körper langsam von der Mutter auf das
Kind übergeht, ein konfliktreicher Prozess, wie sich an
Störungsbildern wie der Enuresis und Enkopresis zeigt.
Triangulierung spielt eine Rolle in jeder Familie und jeder Gruppe,
in welcher die Position des Dritten abwechselnd an verschiedenen
Personen festgemacht werden kann. Gut erforscht ist hier natü̈rlich
auch die Triangulierungsfähigkeit des Säuglings, welche bereits
nach wenigen Wochen in Erscheinung tritt, wenn dieser
beispielsweise mit zwei verschiedenen Bezugspersonen
interagiert.
Nach dieser detaillierten Einleitung widmet sich Grieser einem
geschichtlichen Abriss vom Ödipuskomplex hin zu neueren Konzepten
der Triangulierung. So verband Freud mit dem Ödipuskomplex die
unbedingte Notwendigkeit einer triangulären psychischen Struktur,
was er auch mit der Anerkennung des Realitätsprinzips in Verbindung
bringt. Die neueren Ansätze reichen von Melanie Kleins
paranoid-schizoider und depressiver Position, bei welcher der
Säugling die guten und bösen Anteile des Objekts integrieren und in
ihrem Widerspruch aushalten muss, was eine Voraussetzung für jede
Triangulierung darstellt – hin zur Entdeckung des Vaters in der
präö̈dipalen Zeit. Hier ist der Name des Vaters, der »nom-du-père«
von Lacan zu nennen, welcher eine dritte, grenzsetzende symbolhafte
Struktur darstellt, auf welche sich das Kind beziehen kann.
Im folgenden Kapitel widmet sich Grieser den Triangulierungen in
der lebensgeschichtlichen Entwicklung. Er beschreibt die
Entwicklung als ein dialektisches Wechselspiel von Verschmelzung
und Spaltung, von Verbindung und Trennung, von Nähe und Distanz
(S. 25), oder als Abfolge verschiedener triangulä̈rer Verbindungen.
Auch auf diese Weise kann die Lebensgeschichte beschrieben werden,
dergestalt, dass auf einen Schritt von symbiotischer Verschmelzung
und Abschließung im nächsten Schritt eine Öffnung durch ein
triangulierendes Objekt geschieht. Diese Dialektik lässt sich von
der Geburt als Symbiose und erster Trennung bis hin zum Tod
beschreiben. So entsteht eine besondere trianguläre Struktur, wenn
das bis dahin dyadisch aufeinander bezogene Paar ein Kind bekommt,
eine Struktur, die auf der Symbolebene auch erhalten bleibt, wenn
sich das Paar trennt, trotzdem bleiben sie Eltern. Ebenso haben
Geschwisterbeziehungen eine triangulierende Funktion und später die
Peergroup, welche einen dritten Bezugspunkt außerhalb der Familie
darstellt, diese »aufspannt« und somit Entwicklung und
Beweglichkeit ermöglicht. In Bezug auf die Familie kann auch die
Gesellschaft und die Berührung mit diesem Zeichensystem stets die
Funktion eines Dritten einnehmen. So gibt es kulturelle Codes, wie
Gesetze und Verwandtschaftsregeln und natürlich die Sprache, welche
Trennung und Bezugnahme als drittes Objekt ermöglichen.
Im dritten Kapitel widmet sich Grieser schließlich den
Triangulierungsstö̈rungen, wobei er mit Hans Hopf geht und die
Meinung vertritt, dass die gesamte Krankheitslehre der
Psychoanalyse in Bezug auf ein trianguläres Denken überdacht werden
müsste. So beschreibt er zunächst im Rahmen der Diagnostik, wie
sich die Therapeutin von ihrem Patienten eingelullt und
kontrolliert fühlen kann, oder – in einer anderen Situation – dass
es plötzlich möglich wird, sich zu neuen Gedanken hinzubewegen und
den eigenen psychischen Raum wieder zu nutzen. So ist die
Fä̈higkeit essenziell, flexibel zwischen dyadischen und triadischen
Interaktionsmustern wechseln zu können. Das Dritte kann in der
Beziehung zwischen Therapeutin und Patient so auch als ein
»Zwischenraum analytischen Sprechens« (S. 72) verstanden werden.
Weiterhin gibt es in Bezug auf das Störungsmodell in einem
triadischen Sinne verschiedene Figurationen: So beispielsweise die
Eltern-Kind-Dyade, welche gegen Dritte (beispielsweise den Vater)
ausgeschlossen ist, oder die Triade, welche gegen die Außenwelt
abgeschlossen ist, und schließlich auch die unterbrochene Triade,
bei welcher beispielsweise die Eltern nicht mehr miteinander
kommunizieren können. Diese verschiedenen Auffassungen von Triaden
bieten ein erweitertes Verstä̈ndnis fü̈r (familiale)
Konstellationen und können Aufschluss ü̈ber Psychodynamik und
entsprechende therapeutische Implikationen liefern. Dieser
Abschnitt des Buches bietet eine praxisnahe und sehr konkrete Form
des Triangulierungskonzepts.
Im letzten Kapitel geht es schließlich um die verschiedenen Formen
der Triangulierung in der Psychotherapie. Ziel der therapeutischen
Arbeit soll es sein, dass die Patientin neue Möglichkeiten findet,
um besser mit ihren Schwierigkeiten umzugehen, dass sie in einer
besser triangulierten inneren Welt mehr Grade an Freiheit zur
Verfü̈gung hat und Alternativen entwerfen kann, zwischen denen sie
wä̈hlen kann. Die symptomatischen Reaktionen können nicht
verunmöglicht werden, aber möglicherweise kann dem Ich des Kranken
die Freiheit verschafft werden, sich für die eine oder andere
Möglichkeit zu entscheiden (vgl. Freud, 1923).
Die Erweiterung des psychischen Raums kann durch einen Dritten
geschehen, welcher Perspektivenwechsel und Identifikation
ermöglicht. So entsteht eine erste Veränderung oft dadurch, dass
versucht wird, den inneren Vorgängen eine Sprache zu geben und sie
somit symbolisch zu fassen und in die Beziehung zur Therapeutin zu
bringen. Die bis dato möglicherweise fixierten Objektbeziehungen
kommen über die Symbolisierung durch Sprache und den
triangulierenden Blick des Therapeuten in Bewegung und kö̈nnen
einer Erforschung unterzogen werden. So stellt auch der Weg zur
Therapeutin bereits eine triangulierende Erfahrung dar, da somit
ein gradueller Wechsel zwischen Neuem und Alten in Gang gebracht
wird und der therapeutische Raum zu einer neuen und haltgebenden
Erfahrung werden kann, die es erlaubt, alte Bahnen zu überdenken
und sie möglicherweise auch zu verlassen. Die Therapeutin ist
zunächst Projektionsfläche für die Heilungs- und
Verä̈nderungswünsche des Patienten und dies schon bevor dieser den
Therapieraum betritt. Doch impliziert die Therapie auch eine
Grenze, sehr konkret beispielsweise am Ende der Stunde und
innerhalb der Beziehung durch die Abstinenz der Analytikerin, wenn
sie die Wü̈nsche des Patienten nicht erfüllt und ihre eigenen
Bedürfnisse nicht an ihm befriedigt. So wird eine Oszillation
zwischen Regression und Progression ermöglicht und es entsteht eine
Triade aus Analytikerin, Patientin und Material.
Die intersubjektive Psychoanalyse betrachtet den analytischen
Prozess als eine Ko-Konstruktion in einem gemeinsam erschaffenen
Feld und die Psychoanalyse als dialogischen Versuch darüber. Im
mehrheitlich unbewussten Zusammenspiel von Patientin und Therapeut,
von Analysand und Analytikerin werden nicht einfach alte
Beziehungsmuster aktualisiert und verstehbar, sondern es entsteht
immer etwas Neues, eine einzigartige, zuvor nie da gewesene neue
Beziehung. Dies ist das »intersubjektive analytische Dritte«
(Ogden, 2004) und stellt den eigentlichen Gegenstand der Analyse
dar.
Griesers Buch bietet einen kompakten und gelungenen Überblick über
das Thema und lässt kaum etwas aus. Die geschichtliche Einführung
ist detailliert und bietet die Möglichkeit, das Thema zu verorten
und die Wurzeln kennenzulernen. Die folgenden Kapitel, welche sich
mit Triangulierungen in der lebensgeschichtlichen Entwicklung
befassen, bieten einige wichtige Implikationen für die
psychoanalytische Entwicklungspsychologie, wurden allerdings auf
ähnliche Art und Weise schon von Stern (u. a.) dargestellt. Die
meiner Meinung nach für PraktikerInnen wirklich bemerkenswerten
Kapitel sind jene über Triangulierungsstörungen und die
psychotherapeutischen Implikationen. Hier wird das Konzept der
Triangulierung gut fassbar und erweitert den psychischen Denkraum
in Bezug auf die Prozesse in verschiedenen Dreieckskonstellationen.
Ich halte das Buch für gut geeignet für alle PraktikerInnen, die
sich mit einem psychoanalytischen Konzept näher beschäftigen
möchten, welches buchstäblich in aller Munde ist, aber
möglicherweise selten ausführlicher beleuchtet wird. In diesem
Sinne ist das Buch auch sehr gut geeignet für
AusbildungskandidatInnen. Hierzu zahlen auch die anderen Titel der
Reihe.