Rezension zu Die Borderlinestörung gesprächs- und erzählanalytisch betrachtet (PDF-E-Book)
Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 4/2015 (April)
Rezension von Jörg Frommer
Lina M. Arboleda, Vania Zschokke: Die Borderlinestörung gesprächs-
und erzählanalytisch betrachtet. Eine linguistisch-empirische
Studie
Für psychogene Erkrankungen gilt heute mehr denn je, dass sich ihre
Diagnostik und Behandlung zentral auf das stützt, was die
Betroffenen im Gespräch mitteilen. Aus diesem Grund hat die
Qualitative Psychotherapieforschung, die das Interaktionsverhalten
von Kranken quasi unters Mikroskop linguistischer und
kommunikationswissenschaftlicher Methoden legt, in den vergangenen
zwei Jahrzehnten international einen Aufschwung erlebt, in den auch
die Studie über die Borderline-Persönlichkeitsstörung von Arboleda
und Zschokke einzuordnen ist. Im ersten Teil des Buches wird die
Pathologie dieser Störung, insbesondere unter bindungstheoretischen
Gesichtspunkten, dargelegt und der Stand der Forschung zu
linguistischen Analysen in diesem Feld referiert. Im zweiten Teil
folgt die Darstellung des Designs des eigenen Forschungsprojekts
bei 31 Patientinnen (alle weiblich), das neben einem strukturierten
Diagnoseinterview (SKID-II) und standardisierten
Fragebogeninstrumenten (SCL-90-R, BDI, STAI, STAXI, BSL-23, IPO)
die qualitative Analyse einer transkribierten Therapiestunde bei
einer Auswahl von 15 Patientinnen der Stichprobe in den Vordergrund
stellte. An qualitativen Auswertungsmethoden wurde die in der
Züricher Arbeitsgruppe von Brigitte Boothe entwickelte
Erzählanalyse JACOB angewendet, ergänzt durch die Methode der
Gesprächsanalyse, wie sie von Arnulf Deppermann am Institut für
Deutsche Sprache in Mannheim aus der Konversationsanalyse
entwickelt wurde. Beide Auswertungsmethoden werden im dritten Teil
der Monographie eingehend dargestellt. Der umfangreichste vierte
Teil des Buches ist der anschaulichen Ergebnisdarstellung gewidmet,
wobei sich die beiden gewählten Methoden insofern gut ergänzen, als
erstere eher den narrativen Sprachinhalt in den Fokus rückt,
während letztere formalen Aspekten der Konversation folgt. Das
abschliessende Kapitel fünf diskutiert die äusserst interessanten
Befunde im Sinne einer sprachbasierten Typologisierung und
versucht, Querverbindungen zu den quantitativen Analysen der
Fragebögen zu ziehen. Als Resultat lässt sich eine Vielzahl von
Einzelbefunden festhalten, die in ihrer Heterogenität dem bunten
klinischen Bild der Borderline-Störung entsprechen und Erwartungen
enttäuschen, dass hier eine klinisch-psychopathologische
Subtypologie der Borderline-Persönlichkeitsstörung resultieren
könnte. Eher zeichnet sich eine Typologie des für diese
Patientinnen charakteristischen Scheiterns von Verständigung ab,
die insofern wertvoll ist, als die jeweilige Art des Scheiterns
hierdurch erkannt und klassifiziert werden kann, was klinisch ein
Gegensteuern ermöglicht. Hierdurch und durch die eindrucksvollen
Fallportraits ergibt sich eine empfehlens- und lohnenswerte
Lektüre.
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