Rezension zu Schnittmuster des Geschlechts
Lambda 5/2006
Rezension von Doris Hauberger
Geschlechtskonstruktionen
Rainer Herrn ist seit 1991 Mitarbeiter der in der Berliner
Magnun-Hirschfeld-Gesellschaft angesiedelten Forschungsstelle zur
Geschichte der Sexualwissenschaft. Anhand von bisher unbekanntem
Archiv- und Bildmaterial stellt er nun dar, wie die Sexuologie,
insbesondere das Hirschfeld-Institut, im ersten Drittel des 20.
Jahrhunderts den Weg vom Transvestitismus hin zur Transsexualität
beschritt. Hirschfeld war eben nicht nur Homosexuellenforscher. Das
Bildmaterial diente zur damaligen Zeit gleichermaßen als Beweis-,
Illustrations- und auch Werbematerial für die breiteren Forschungs-
und Beratungsinteressen den Instituts.
Im Buch werden zudem der Kampf der Transvestiten um Juristische und
gesellschaftliche Anerkennung, um ihre Abgrenzung gegenüber den
Homosexuellen sowie ihre Selbstorganisation dargestellt. Im frühen
20. Jahrhundert begannen einige Transvestiten, die man heute als
»Transsexuelle« bezeichnen würde, ihre körperliche Erscheinung mit
der empfundenen Geschlechtszugehörigkeit in Einklang zu bringen.
Dies geschah sowohl im Selbstversuch als auch mit ärztlicher Hilfe.
Ab 1920 gab es am Institut häufig als Notoperationen etikettierte,
chirurgische Mann-zu-Frau-Umwandlungen und auch
Frau-zu-Mann-Umwandlungen, die zunächst in der »Neutralisation« des
vorhandenen Geschlechtskörpers und erst danach im Aufbau neuer
Geschlechtsorgane bestanden. Hormonelle Eingriffe wurden erst ab
Mitte den 20. Jahrhunderts vorgenommen. Genitale
Frau-zu-Mann-Operationen mit Penisplastik konnten medizintechnisch
erst ab den l970er Jahren durchgeführt werden. Gezeigt wird, dass
»Geschlecht« in der Welt des Machens auch von Medizinern bestimmt
wurde und wird, worauf insbesondere Volkmar Sigusch im Geleitwort
des Buches kritisch hinweist.