Rezension zu Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus
PW-Portal – Portal für Politikwissenschaft
Rezension von Tom Mannewitz
Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus
Mit diesem Band setzt die Leipziger Forschergruppe um Oliver Decker
und Elmar Brähler ihre »Mitte-Studien« zu rechtsextremen
Einstellungen fort. Er ergänzt die im Netz frei verfügbare Analyse
aus dem Jahr 2014 mit dem Titel »Die stabilisierte Mitte« um
Analysen zu den Ursachen und eine Aufschlüsselung der
Umfrageergebnisse nach Bundesländern sowie um einen Abschnitt zum
Rechtspopulismus und einen weiteren zu zivilgesellschaftlichen
Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, wobei diese letzten beiden
Kapitel mit der Umfragestudie kaum etwas zu tun haben. Die
Erklärungsansätze überzeugen nicht so recht – einerseits, weil sich
dahinter eine mehr politische denn wissenschaftliche
Fundamentalkritik an der Gesellschaft (siehe Rezension zu Buch-Nr.
44300) verbirgt, andererseits, weil die Ansätze nicht erklären,
warum manche Menschen rechtsextreme Einstellungen aufweisen, andere
nicht: Da werden soziale Normen – wie der auf individuelle
Lebensrhythmen keine Rücksicht nehmende morgendliche Schulbeginn –
und »das enge Gehäuse des Leistungsdrucks« zu »gesellschaftliche[r]
Gewalt« (16), die Wirtschaft zu einem »sekundäre[n] Führer« (28),
dem die Massen huldigen und ihre Wünsche gefügig unterordnen.
Dieser »sekundäre Autoritarismus« in Verbindung mit der deutschen
Insellage (stabile Wirtschaft) erklärt nach Ansicht der Autoren,
warum aktuell Einwanderer geringere, Asylsuchende, Sinti und Roma
sowie Muslime hingegen recht große Abwertung erfahren: Sie werden
als Bedrohung des Wohlstands wahrgenommen oder halten als
Sündenbock für die »eigenen abgewehrten Wünsche« (69) her. Das ist
allerdings keine allzu gute Erklärung: Bricht die Wirtschaft ein,
führt das zu Xenophobie, floriert die Wirtschaft, führt das auch zu
Xenophobie. Dass unökonomische Faktoren eine Rolle spielen könnten,
wird ausgeblendet. Zudem: Was sagt es aus, dass so wenige Menschen
wie nie seit Beginn der Studie ein geschlossenes rechtsextremes
Weltbild vertreten, wenn Aussagen wie »Wir sollten endlich wieder
Mut zu einem starken Nationalgefühl haben« als Indikatoren für ein
solches Weltbild gelten und jemand einzelne der 18 Items komplett
ablehnen kann und trotzdem einem solchen Weltbild zugeordnet wird?
Gleichwohl zeugen einige Items von größerer Validität, alle sind
separat ausgewiesen und somit einer gesonderten Analyse
zugänglich.
Tom Mannewitz, Dr., Politikwissenschaftler, Juniorprofessor für
Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden an der TU Chemnitz.
Empfohlene Zitierweise: Tom Mannewitz, Rezension zu: Oliver Decker
/ Johannes Kiess / Elmar Brähler (Hrsg.): Rechtsextremismus der
Mitte und sekundärer Autoritarismus Gießen: 2015, in: Portal für
Politikwissenschaft,
http://pw-portal.de/rezension/38311-rechtsextremismus-der-mitte-und-sekundaerer-autoritarismus_46943,
veröffentlicht am 16.04.2015.
http://pw-portal.de