Rezension zu Kein Ende mit der Wende? (PDF-E-Book)
Neues Deutschland. Beilage zur Leipziger Buchmesse 12. bis 15. März 2015
Rezension von Rosi Blaschke
Statt Aufbruch Abburch
Elmar Brähler und Wolfgang Wagner fragen: Kein Ende mit der
Wende?
Der 25. Jahrestag der Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik
steht bevor. Und wieder wird es Diskussionen über den
untergegangenen Staat, Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen geben.
»Kein Ende mit der Wende?« Dies fragten sich dreißig
Wissenschaftler aus Ost und West. Sie wollen eine »unbefangene und
kontroverse Bilanz der deutschen Wiedervereinigung« präsentieren.
Kontrovers in Form und Sprache – ja. Und das ist gut so.
Unbefangen? Nun ja, nicht von allen Autoren kann man das sagen.
Die Psychologin Annette Simon hadert mit dem Begriff der »Wende«.
Sie spricht lieber von Herbstrevolution oder revolutionären
Aufbruch. Doch die »Aufgebrochenen« kamen nicht zum Zuge, bemerkt
sie zu recht. Da das politische und wirtschaftliche System der
Bundesrepublik sofort der DDR übergestülpt wurde. Friedrich
Dieckmann schreibt: »Dem Berliner Märzparlament wurde von der
westlichen Parteien-Übermacht nicht einmal mehr die
In-Kraft-Setzung einer neuen Verfassung erlaubt.«
Der Mauerfall, heißt es im Vorwort, war ungewollt, ungeplant und
keine revolutionäre Tat. Und was ist an Deindustrialisierung und
Kolonisierung revolutionär? In allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens wurden Spitzenpositionen mit
Westdeutschen besetzt, durchschnittlich zu 40 Prozent (Peter
Brandt). Allein zwischen 1989 und 1992 ging ein Drittel der
Arbeitsplätze in Ostdeutschland verloren. Zwei Dresdner
Forstwissenschaftler schildern aus eigenem Erleben existenzielle
Bedrohung und Bevormundung. Wissenschaftler wurden massenhaft
abgewickelt unter dem Deckmantel der Entideologisierung. Wen
wundert’s, dass ein Drittel der Ostdeutschen sich als Verlierer der
Einheit sehen und 53 Prozent die guten Seiten an der DDR
hervorheben, was vielfach fälschlich als Nostalgie abqualifiziert
wird. Nicht minder dumm die eilfertige Schlussfolgerung, die DDR
sei schuld am heutigen Rechtsextremismus, vor allem der »verordnete
Antifaschismus«.
Albern sind in diesem Band die pauschalen Aussagen, zum »maroden
und bankrotten Gesundheitswesen« der DDR. Soll man die heutige
Zwei-Klassen-Medizin preisen? Geradezu lächerlich, vor allem
angesichts aktueller Diskussionen (Stichwort:. Impfpflicht),
erscheint der Vorwurf, die DDR-Bürger seien von einer »Versorgungs-
oder Fürsorgediktatur« unterdrückt worden.
Kluge und logische Schlussbetrachtungen bietet der
Politikwissenschaftler Rolf Reisig, einst Ko-Autor des gemeinsamen
Grundsatzpapiers der SPD und SED 1987 »Der Streit der Ideologien
und die gemeinsame Sicherheit«: »Die Reformfähigkeit der westlichen
Gesellschaften ist mehr denn je gefragt und muss sich erst noch
beweisen. Eine sozial-ökologische und solidarisch-demokratische
Gesellschafts-Transformation wird nun zur größten gemeinsamen
Herausforderung des 21. Jahrhunderts für Ost und West.« Deren
Bewältigung könne nur gemeinsam gelingen – oder wird misslingen.
Also, die Wende ist noch nicht zu Ende. Wer sich wappnen will,
liest dieses Buch.