Rezension zu Verbrecher, Bürger und das Unbewusste
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Rezension von Dr. Andrea Gensel
Peter Möhring: Verbrecher, Bürger und das Unbewusste
Autor und Thema
Der habilitierte Facharzt für psychotherapeutische Medizin Peter
Möhring hat mit dem 2014 im Psychosozial-Verlag (Gießen)
erschienenem Buch »Verbrecher, Bürger und das Unbewusste –
Kriminologie mit psychoanalytischem Blick« eine Arbeit vorgelegt,
die die moderne Psychoanalyse mit der Soziologie, Kriminologie,
Philosophie, Medienkritik und Kulturtheorie verknüpft.
Für sein Buch formuliert der Autor den Anspruch, die Psychoanalyse
und die sozialwissenschaftliche Kriminologie zusammenzuführen,
indem er einen Überblick über die bisher geleisteten Arbeiten
liefert und neue Schnittstellen der Disziplinen aufzeigt. Damit
soll die erste umfassende Symbiose zwischen
sozialwissenschaftlicher Kriminologie und Psychoanalyse gelingen.
So spricht das Buch natürlich zwangsläufig nicht nur Psychologen
an, sondern ebenso Soziologen und Kriminalisten und wurde daher für
ein erweitertes Fachpublikum verfasst.
Aufbau und Inhalt
Diesem hochgesteckten Ziel nähert Peter Möhring sich in 14
Kapiteln, die dem Leser einen tiefen Einblick in die
Forschungsgeschichte, Theorien und Methoden der Psychoanalyse in
der Kriminologie und der sozialwissenschaftlichen Kriminologie
bieten. Dabei flechtet er immer wieder eigene Ansichten und Ansätze
ein, verweist in jedem der behandelten Themenkomplexe auf Lücken,
die durch interdisziplinäre Verknüpfungen gefüllt werden könnten
und stellt auch ebenso deutlich heraus, wo sich die Disziplinen –
oder ihre Vertreter – widersprechen. »Die psychologischen
Bedingungen können nicht unabhängig von den sozialen sein,«
konstatiert Möhring (S.51) und erläutert die konkreten
Zusammenhänge zwischen den Faktoren für Themenkomplexe wie Gewalt,
Familie und Recht im Detail. Kritisch beleuchtet er dabei die Lust
der Massen an fiktionalen Krimi-Serien und Berichten über reale
Verbrechen bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Distanzierung von
der Delinquenz. Möhring nennt das »kriminalitätspornographisches
Befriedigungserlebnis« (S.11).
Zum Einstieg erläutert der Autor im Kapitel »Kriminologie und
Psychoanalyse – Berührungspunkte und Überschneidungen« zunächst
selbige und zeigt auf, dass sich bereits der Vater der
Psychoanalyse -Sigmund Freud- mit kriminologischen Fragestellungen
befasst hat.
Im nächsten Kapitel bringt Möhring den Leser ausführlich auf den
aktuellen Forschungsstand der Psychoanalyse in der Kriminalistik.
Er geht dabei sowohl auf theoretische Konzepte und Definitionen zum
Thema Straffälligkeit ein als auch auf entwicklungspsychologische
Grundlagen der Diskussion um die Ursachen von Delinquenz und den
Umfang der Schuldfähigkeit. Auch die der Entstehung von
Kriminalität innewohnenden Dynamik widmet Möhring einen eigenen
Abschnitt.
Unter anderem mit Hilfe von Konzepten aus der Bindungstheorie führt
er anschließend aus, weshalb die Soziologie ein noch fehlendes
Puzzleteil in den bestehenden Konzepten von Psychologie und
Kriminologie sein könnte.
Komplexen Themen wie der Ethnopsychoanalyse, dem soziologischen
Monismus oder den kognitionspsychologischen Ansätzen widmet das
Buch jeweils eigene Kapitel um den anspruchsvollen Inhalten und
ihren Bezügen zur Kriminologie gerecht zu werden.
Dieses starke theoretische Fundament untermauert der Autor
zusätzlich in einem eigenen Kapitel mit Fallbeispielen, die
anschaulich zeigen, dass Soziologie und Psychoanalyse verknüpft
werden sollten um zu einem tiefergehendem Verständnis der Ursachen
von Kriminalität zu gelangen.
Zum Schluss wendet sich der Autor der Frage zu, inwieweit die von
ihm vorgestellten Ansätze zur soziologisch-psychoanalytischen
Untersuchung in der Praxis anwendbar sind, denn: »Die beste
psychosoziale Theorie ist nichts wert, wenn sie nicht hilft,
konkrete Situationen besser zu verstehen, und gegebenenfalls zu
Ideen führt, wie etwas zum Besseren zu wenden sei« (S.21).
Abschließend liefert er einen kurzen, gesellschaftspolitisch
ausgerichteten Ausblick indem er sich gegen den häufig geäußerten
Vorwurf stellt, psychologisch-soziologische Erklärungsansätze,
würde die Straftäter quasi von ihrer Schuld freisprechen:
»Verstehen heißt nicht verzeihen« (S.200).
Diskussion
Peter Möhrings Darstellung der Forschungsgeschichte und der
aktuellen Theorien und Methoden ist umfangreich und gründlich
recherchiert. Seine Ausführung belegt er durch zahlreiche wörtliche
Zitate und er stellt dem Leser die Originalquellen im
Literaturverzeichnis zur Verfügung.
Das Buch bewegt sich sprachlich auf einem hohen Niveau, rutscht
dabei jedoch niemals zu sehr in die Fachterminologie ab und
ermöglicht so auch interessierten Nicht-Fachleuten die Lektüre.
Insbesondere für ein wissenschaftliches Buch, das Vertreter
unterschiedlicher Disziplinen ansprechen möchte, ist eben diese
Verständlichkeit ein entscheidender Balanceakt, den Peter Möhring
mit Bravour absolviert. Selbst die Kür – die Lektüre spannend und
unterhaltsam zu gestalten – gelingt ihm in seinem Buch.
Inhaltlich ist »Verbrecher, Bürger und das Unbewusste –
Kriminologie mit psychoanalytischem Blick« dabei sehr anspruchsvoll
und ballt auf gerade mal 201 Seiten zahlreiche Themenkomplexe
zusammen, die für sich selbst genommen bereits jeweils eigene
Fachbücher füllen könnten. Dabei streift er zusätzlich auch noch
Themen wie die Neurobiologie und die Genetik. Das zeugt vom
umfassenden Wissen des Autors, aber nicht alle aufgenommenen
Stränge werden in das große Ganze eingefügt, so dass einige der
gelieferten Informationen für die Zielsetzung des Buches irrelevant
und für den Leser eher verwirrend sind.
Fazit
Zusammenfassend liefert das Buch einen hervorragenden Einstieg in
die Thematik und könnte den Anstoß zu einer fachlichen
Weiterentwicklung und zu einem wissenschaftlichen Diskurs über die
Notwendigkeit der Integration soziologischer Erkenntnisse in die
psychoanalytische Kriminalistik geben. Auch für Nicht-Fachleute
bietet das Buch interessante Denkanstöße über die eigene und die
gesellschaftliche Wahrnehmung von Kriminalität. »Verbrecher, Bürger
und das Unbewusste – Kriminologie mit psychoanalytischem Blick« ist
ein Pionierwerk auf dem Gebiet der soziologisch ausgerichteten
Psychoanalyse in der Kriminologie und ein Plädoyer des Autors für
eine systematische Verknüpfung dieser drei Disziplinen. Es gelingt
Peter Möhring seine Kernthese, dass eben diese Verknüpfung dringend
erforderlich sei, um die Ursachen von Kriminalität zu ergründen und
ihre Entstehung nachhaltig zu verhindern, mit diesem Buch
stichhaltig zu belegen.
Rezensentin
Andrea Gensel
Zitiervorschlag
Andrea Gensel. Rezension vom 23.03.2015 zu: Peter Möhring:
Verbrecher, Bürger und das Unbewusste. Psychosozial-Verlag (Gießen)
2014. 209 Seiten. ISBN 978-3-8379-2356-8. In: socialnet
Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/18475.php.
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