Rezension zu Kindzentrierte psychodynamische Familientherapie (PDF-E-Book)
Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (AKJP) 166, 2/2015
Rezension von Michael Naumann-Lenzen
Anna Ornstein; Eva Rass: Kindzentrierte psychodynamische
Familientherapie
Die in diesem Band versammelten Beiträge bieten dem
deutschsprachigen Fachpublikum meines Wissens erstmals einen
umfassenden Überblick der kindertherapeutischen Arbeiten von Anna
Ornstein. Sie umspannen einen Zeitraum von 1976 bis 2011. Eva Rass
eröffnet das Buch mit einem einleitenden Überblick zu den
Einzelbeiträgen und stellt diese hilfreich in ihren historischen
Kontext der Entwicklung der Kohutianischen und post-Kohutianischen
Selbstpsychologie. Im Anschluss daran stellt sie wesentliche
Konzeptualisierungen der analytischen Selbstpsychologie vor. Man
steigt somit auch als selbstpsychologischer Novize gut gerüstet in
die Lektüre ein.
Die Herausgabe dieses Sammelbandes ist durch mehrere Gründe
gerechtfertigt. Zum einen eröffnet sie einen
historisch-konzeptuellen Kontext, der für die aktuelle Debatte von
großem Interesse sein kann, da er die hochmoderne
Anschlussfähigkeit der Selbstpsychologie verdeutlicht, die
eigentlich erst gegenwärtig wirklich zum Tragen kommt. Dies ist
darin begründet, dass in der Selbstpsychologie (ebenso wie durch
Winnicott) die Rolle der Realität, der realen und triadischen
Erfahrung für die Saluto- ebenso wie für die Pathogenese
herausgearbeitet und neu gewichtet wird – gegenüber der
»traditionellen« Betonung des Beitrags der »inneren«
Fantasieproduktion. So sehr dieser Grundgedanke aus heutiger Sicht
eigentlich selbstverständlich scheint, so muss man sich dennoch
immer wieder vergegenwärtigen, wieviel inneranalytische
Geburtswehen – und leider auch Ausstoßungen (Bowlby!) – nötig
waren, damit diese Selbstverständlichkeit in der Mitte der
analytischen community ankommen konnte. Es erforderte dies von
mehreren Seiten die gleichsam adiuvante Geburtshilfe: in Form der
Rezeption der Bindungs- und Säuglingsforschung, der
Affekttheorien, der neueren Trauma- und Neuroentwicklungstheorien,
schließlich des Regulations- und Interaktionsparadigmas. Diese
argumentativen Linien arbeitet Eva Rass ebenfalls heraus; nicht
zuletzt hat sie auch durch die verdienstvolle Übersetzung einiger
Arbeiten von Allan N. Schore dazu beigetragen, diese Rezeption
hierzulande voranzubringen.
Es geht aber nicht nur um ein retrospektives Ins-Recht-Setzen der
Selbstpsychologie als der einzigen inneranalytischen Strömung, die
sich für die neuen Erkenntnisse als rezeptionsfähig erwies. Es
geht auch darum, die Modernität der Psychoanalyse zu sichern, und
dies bedeutet, psychodynamisches Denken und
psychodynamisch-klinisches Handeln für die kinderanalytische
Arbeit mit Kindern, ihren Eltern und ihrem erweiterten Umfeld zu
plausibilisieren. Diesen Versuch unternimmt dieser Band in der
Überzeugung, dass einzig die o. e. selbst- psychologisch
erweiterte Perspektive hierzu in der Lage ist.
Nach Einleitung und Einblick in das Leben und Schaffen von Anna
Ornstein und einem anschließenden Überblick zu den nachfolgenden
Beiträgen folgen diese in chronologischer Reihenfolge, sodass man
einen guten Einblick in die Entwicklung von Ornsteins Theorie
gewinnt. Neben einer kasuistischen Revision zu Freuds »Kleinem
Hans« (sie kommt zu gegenüber Freud sehr abweichenden
Schlussfolgerungen), einem Beitrag zum Schicksal der
Theresienstadt-Kinder und einem Beitrag zur frühen Adoleszenz ist
jedoch die thematische Klammer, die dem Band auch den Titel gibt,
die Einbeziehung der Bezugspersonen in die klinische Arbeit mit dem
Kind. Dies geschieht aus der Überzeugung, dass letztlich das
therapeutische Projekt mit dem Kind nur auf dem »Mutterboden« einer
förderlichen Umwelt gedeihen und nachhaltig Bestand haben kann.
Ornstein führt sehr einleuchtend aus, wie dieses
»triadisch-interaktionistische Arbeiten« im Einzelnen gestaltet
werden kann.
Fazit: Anna Ornstein war schon seit 1976 bei Einsichten angelangt,
die durch die nachfolgenden Forschungen eindrucksvoll bestätigt
wurden. Bei vielen für uns Nachgeborene so selbstverständlichen
Einsichten muss man sich mitunter kneifen: Hoppla, die wusste das
schon vor fast 40 Jahren! Nun ja, die analytischen Mühlen mahlen
langsam ... Ein unbedingt lesenswertes Buch, dem man die Aufnahme
in den curricularen Kanon der Ausbildungsinstitute unter der Rubrik
»Klassiker der Psychoanalyse« wünscht – ersatzweise für den
»Kleinen Hans« ...
Michael Naumann-Lenzen, Hennef
Weitere Informationen zur Zeitschrift: www.brandes-apsel-verlag.de