Rezension zu Unbewusste Erbschaften des Nationalsozialismus (PDF-E-Book)
Gruppenanalyse Heft 2/2014
Rezension von Renate Jorkowski
Jan Lohl und Angela Moré(Hg.): Unbewusste Erbschaften des
Nationalsozialismus
Die zehn Aufsätze in diesem Sammelband, die sich mit der Thematik
des unbewussten Erbes der NS-Herrschaft befassen, werden besonders
die Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder sehr berühren.
Alle Aufsätze erscheinen mir sehr lesenswert, und ich bin
beeindruckt von der Tagungsreihe in der Evangelischen Akademie
Hofgeismar in den Jahren 2004–2012, in der sie zum ü̈berwiegenden
Teil als Vorträge entstanden sind. Heike Radek, Pfarrerin und
systemische Therapeutin, schildert als damals verantwortliche
Referentin dieser Tagungen im ersten Beitrag »Das Erbe des
Nationalsozialismus – eine Tagungsreihe«, wie die Tagungen zustande
kamen und was deren Ziel war. Es war zunä̈chst keine Reihe geplant,
sondern die vier Folgetagungen entstanden durch Reflexionen,
Diskussionen und Anregungen von Referentinnen, Referenten und
Teilnehmenden. Der Aufsatz von Heike Radek legt Zeugnis von einer
fruchtbaren Diskussionsatmosphäre oder vielleicht besser
Erinnerungskultur auf diesen Tagungen mit je 80 bis 100
Teilnehmenden ab und gibt zahlreiche literarische Anregungen über
den Band hinaus. In den Tagungen ging es darum »Verschwiegenes,
Verdrängtes und Tabuiertes« zur Sprache und ins Bewusstsein zu
bringen, denn es gibt inzwischen viele Zeugnisse dafür, »wie massiv
die verschwiegenen Kriegsverbrechen in den Familien weiterwirken
und dem Leben von Kindern und Enkelkindern eine bedrückende Bürde
auferlegen.« (S. 15)
In allen Aufsätzen spielt das Schweigen eine große Rolle, sowohl
das bewusste Verschweigen wie das Nicht-Kommunizieren aus ganz
unterschiedlichen Gründen. Der Stellenwert des Schweigens ist für
die Kommunikation bei den Tätern und den Täterfamilien kaum zu
überschätzen. Grünberg und Markert, zeigen, welche Rolle das
Schweigen auch bei den Opfern und Opferfamilien spielt. Die
Autorinnen Althaus, Waldeck und Horn wählen einen sehr persönlichen
Zugang zum Thema, lassen das eigene Denken, Fühlen und Handeln
nicht außen vor. Rothe und Decker stellen in kompakter Form die
Ergebnisse von bundesweiter Forschung mit Gruppendiskussionen
zusammen. Die Aufsätze von Heer und Benz analysieren das Unbewusste
auf der gesellschaftlichen Ebene und Lohl und More ́stellen
psychoanalytische Theorieansätze und Überlegungen vor.
Die Frankfurter Psychoanalytiker Karl Grünberg und Friedrich
Markert beschäftigen sich in »Emil Behr – Briefzeugenschaft vor /
aus / nach Auschwitz« mit Briefzeugnissen aus Auschwitz und wie
Betroffene und Nachkommen mit dem Erinnern des extremen Traumas
leben. Die beiden Autoren reflektieren mit Hilfe der Methode des
»szenischen Erinnerns der Shoa« (S.197) Briefe von Emil Behr, die
er vor der Deportation und aus Auschwitz an seine Familie
geschrieben hat und versuchen das zu verstehen, was er nicht
geschrieben hat. »Sein Schweigen vermittelt uns nonverbal das, was
er mit seinen geschriebenen Worten nicht zum Ausdruck bringen
kann.« (S. 201) Schon ein paar wenige Zitate aus den
Vernehmungsprotokollen zum Auschwitzprozess vom 21. 3. 1959 bringen
in Erinnerung, warum es so schwer ist, dieses Grauen in Worte zu
fassen.
Ute Althaus entwickelte sich von der Mathematikerin zur
Psychotherapeutin. Sie berichtet in »Lügen – Wünsche –
Wirklichkeiten« sehr mutig von den Lügen ihrer Eltern über ihre
Überzeugungen im Nationalsozialismus. Der Grund für die
Zuchthausstrafe, die ihr Vater nach Kriegsende verbüßte, wurde
ebenso als Familiengeheimnis behandelt wie die
nationalsozialistische Überzeugung beider Eltern, die vollkommen
geleugnet wurde. Der Vater war Kommandant einer kleinen Stadt in
Franken, die er im Mai 1945 nicht an die Amerikaner, die vor der
Stadt lagerten, übergeben wollte. Ein junger Mann wollte die
Kommandozentrale von der Kommunikation abschneiden und zerstörte
eine Telefonleitung. Dafür verurteilte ihn der Vater von Ute
Althaus zum Tode und vollzog die Todesstrafe eigenhändig, wenige
Stunden bevor die Amerikaner die Stadt einnahmen. Ute Althaus
berichtet von ihren langen inneren Kämpfen mit ihrer Loyalität
gegenüber den Eltern, bis sie endlich in der Lage war, die Lügen
als Lügen zu begreifen und in Gerichtsakten nach der Tat ihres
Vaters zu suchen. Das Familiengeheimnis hat sie lange Zeit von der
Außenwelt ausgeschlossen. Bei der Überwindung der Abgeschlossenheit
haben die Tagebuchaufzeichnungen von Ruth-Anders Friedrich eine
große Rolle gespielt. Die fürsorgende Haltung der Protagonisten in
diesen Aufzeichnungen hat ihr ermöglicht wahrzunehmen und
einzuordnen, wie in den Dokumenten der Eltern die Selbstdarstellung
und das Bemühen, sich in ein gutes Licht zu rücken, dominieren.
Auch die Pädagogin und Psychologin Ruth Waldeck wählt in »Spuren
des Grauens« einen sehr persönlichen Zugang zur Erbschaft des
Nationalsozialismus, in dem sie von behutsam forschenden Gesprächen
mit ihrem Vater im Alter erzählt und von der Suche eines Freundes
Hanjo nach Antworten, die dessen Vater nie gegeben hat. In den
Gesprächen mit dem Vater erfährt sie ein Ereignis, das ihr eine
ganz unbewusste Kränkung durch den Vater in der Pubertät erklärt.
Ihr Vater hatte in Lettland einmal einen aus einer Frauenbrust
gefertigten Tabaksbeutel gesehen und in der Hand gehabt. Ruth
Waldeck verknüpft das offenbar unvergessliche Grauen des Vaters mit
mehreren kleinen Ereignissen in ihrer Kindheit. Es sind diese
blitzlichtartigen Einsichten, die deutlich machen, wie gegenwärtig
und aktuell die Vergangenheit der Eltern, hier besonders der Väter,
ist und Einfluss auf das Leben und Erleben der nächsten Generation
genommen hat und weiter nimmt. Diese und andere Beispiele von Ruth
Waldeck zeigen auch, wie wichtig es ist, diese kleinen Hinweise in
ihrer Bedeutung zu erfassen und auch für jüngere Jahrgänge zu
übersetzen.
Sehr beeindruckend beschreibt sie auch das Erlebnis mit einer durch
einen Schuss grauenhaft verstümmelten Katze. Sie sah diese Katze
gemeinsam mit ihrem Freund Hanjo und weder sie noch der Freund
waren in der Lage darüber miteinander zu sprechen, deshalb
entfremdeten sie sich. Waldeck schließt daraus, dass Gewalt
generell entfremdet. Das Schweigen diente der Abwehr des
Erlebnisses und des Grauens, das als unsagbar erlebt wurde. Auch
die Historikerin Goltermann, auf die Waldeck sich bezieht, sieht in
dem Verstummen nach dem Krieg die Manifestation von Fremdheit
zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen, die durch
den Krieg entstanden ist. Und noch einen Aspekt des weit
verbreiteten Schweigens erwähnt Ruth Waldeck und zitiert dabei die
Historikerin Svenja Goltermann: offenbar ging man in der
Psychiatrie noch lange nach dem Krieg davon aus, dass Leid und
Gewalterfahrungen im Krieg gut verarbeitet werden können, dass nur
anlagebedingte Schwäche zu psychischem Leiden führte, nicht die
Erlebnisse selber. Mit dieser Lehrmeinung wurde nicht nur die
»Sozial- und Begutachtungspolitik der Nachkriegszeit« beeinflusst,
sondern sie wirkte sich auch auf »Sagbarkeitsregeln über
Gewalterfahrungen« aus. (S. 238)
Die Psychologen Katharina Rothe und Oliver Decker untersuchen in
ihrem Aufsatz mit dem Titel »Gefü̈hlserbschaften des
Nationalsozialismus und Geschlecht« einige Gruppendiskussionen zu
rechtsextremen Einstellungen in Deutschland 2008. Außerdem werden
noch Gesprächsphasen aus einer Diskussion mit Männern der Jahrgänge
1928–32 herangezogen, die als im Schnitt Elfjährige Zeugen der
Deportation von Jüdinnen und Juden waren, die von ihrer Schule
ausging. Durch die Analyse entsprechender Diskussions-Sequenzen
stellen sie dar, wie abhängig die Behandlung der Erfahrungen von
Krieg und Nationalsozialismus vom Geschlecht ist. Ein Protagonist
stellt in dem Gespräch von Mann zu Mann den Krieg explizit
verherrlichend dar, implizit auch den Nationalsozialismus, und
fordert im Grunde den Interviewer auf, es ihm nachzumachen und als
Held in den Krieg zu ziehen. In der Frauengruppe herrscht dagegen
eine Bagatellisierung und Verharmlosung der Zeit vor. Die
Darstellung regt an, das zu diesen Gruppendiskussionen
veröffentlichte Buch zu lesen.
Von ganz anderen Gruppengesprächen berichtet Elke Horn,
Psychoanalytikerin und Gruppenanalytikerin, in »Was tun mit dem
transgenerationalen Erbe? Von der Abwehr durch Spaltung zum
Dialog«. Ihre Überlegungen sind im Zusammenhang mit
Gesprächserfahrungen eines Arbeitskreises für intergenerationelle
Folgen des Holocaust, ehemals PAKH e.V., entstanden. In ihrem
besonders lesenswerten Aufsatz reflektiert sie »als deutsche
Psychoanalytikerin der zweiten Generation nach dem Zweiten
Weltkrieg« (S.250) über die Identitätskrise der Deutschen der
Kriegs- und Nachkriegsgeneration und sieht das Schamproblem als
Kern dieser Krise an. Sie legt dar, wie Scham- und Schuldgefühle
nach 1945 auch durch gesellschaftliche Spaltungsprozesse abgewehrt
wurden und gleichzeitig dadurch das Aggressive unbewusst
weitergereicht und nicht verarbeitet wird. Deshalb fordert sie dazu
auf, »darüber nachzudenken, wie wir Spaltungsprozesse überwinden
und das Zerstörerische in uns und der Gesellschaft entgiften und
integrieren können« (S.256). Als Beispiele für solche Anstrengungen
analysiert sie Interaktionen in kleinen Gruppen von Nachkommen
jüdischer Überlebender und nicht-jüdischer Deutscher. Elke Horn
stellt die teilweise sehr schwierigen Gesprächssituationen dar, die
in einigen Fällen zunächst zum Abbruch des Gesprächs durch die
nichtjüdische Gruppe infolge ihrer Schamgefühle führte. Durch »die
gemeinsame Wiederherstellung des ›Dritten‹ [fanden die Beteiligten
Möglichkeiten] ihren inneren Raum zu öffnen« (S. 267) und konnten
auf diese Weise das Schweigen überwinden und den Dialog fortsetzen.
Auch das biografische Verständnis kann als ein »Drittes« wirksam
werden.
Die ersten beiden Tagungen konzipierte Heike Radek zusammen mit dem
Historiker Hannes Heer, angeregt durch dessen Radiofeature über
literarische Erinnerungen. Sein Aufsatz »Der Skandal als vorlauter
Bote« nimmt mit über 120 Seiten etwa ein Drittel des Buches
ein.
Hannes Heer, verantwortlicher Leiter der ersten
Wehrmachtsausstellung, definiert zwei unterschiedliche Arten von
Skandalen. Eine Art von Skandal kann man aus seiner Sicht als
Freudsche Fehlleistungen verstehen, als Kompromissergebnisse
zwischen zwei unvereinbaren Strebungen. Heer formuliert mit
Christian Schneider, in diesen Handlungen komme »ein unbewusster
Wunsch zum Ausdruck, der sich im Rahmen der geltenden Normen nicht
artikulieren darf«, diese Fehlleistungen verraten »entweder eine
Unangepasstheit an die herrschende Realität« oder zeigen »ein
Verfehlen der Realität« an. Von diesen sog. kleinen Skandalen zählt
Heer am Anfang seines Aufsatzes eine Reihe auf, die nicht nur durch
ihren Inhalt, sondern auch durch ihre große Zahl erschrecken.
Die Aufmerksamkeit von Heer gilt in diesem Aufsatz aber der zweiten
Art von Skandalen, in denen sich nicht das »Verdrängte« artikuliert
hat, sondern das »Verleugnete, Abgespaltene« (S. 78). Heer sieht in
diesen Skandalen »geplante und bewusste Aktionen, die in der
Absicht erfolgten, gegen ein herrschendes Geschichtsbild und dessen
Sprachregelungen Front zu machen und beides zu verändern oder eine
neue, kritische Aneignung der Geschichte zu verhindern.« (S. 78)
Große Teile der Gesellschaft empfanden diese Aktionen als
Regelverstöße, deshalb wurden sie zum Skandal. Laut Sloterdijk
überprüft die Gesellschaft im Umgang mit ihnen »die Gültigkeit
ihrer moralischen und politischen Normen« (S. 79). Entweder führt
die Überprüfung zur Bestätigung und Festigung der Normen oder zur
»Öffnung zu veränderten Haltungen und entsprechend anderen
Grenzziehungen«. (S. 79) Der letztere Fall war Titelgeber des
Aufsatzes »Der Skandal als vorlauter Bote des Neuen«. In der
Gruppenanalyse sind diese dynamischen Prozesse wohl bekannt.
Grenzverletzungen testen Grenzen aus und je nach der Reaktion
darauf werden die Grenzen gefestigt oder durchlässiger, sozialer
Wandel ist ohne Grenzverletzungen nicht denkbar. Insofern ist die
Untersuchung von Skandalen ein gruppenanalytischer Zugang zu der
Gültigkeit aktueller gesellschaftlicher Werte.
Unter diesem Aspekt betrachtet Heer sehr differenziert und
eindrücklich den Historikerstreit der 80er Jahre, die
Jenninger-Rede von 1988, die Wehrmachtsausstellung, Walsers Rede in
der Paulskirche von 1998 sowie das Interview mit Grass vom 12. 8.
2006, in dem er seine SS-Mitgliedschaft öffentlich machte. Er
schildert nicht nur Inhalt und Ablauf der Skandale, sondern
bewertet sie, stellt sie reflektiert in einen gesellschaftlichen
und politischen Zusammenhang.
Der Historiker Wolfgang Benz verbindet seine Reflexionen über
»Antisemitismus und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik« mit
einer kleinen Skizze der Entwicklung jüdischer Kultur nach 1945 in
Deutschland. Er zeigt deutlich auf, wie weit verbreitet
unterschwelliger Antisemitismus ist. »Die unbewusste Überzeugung,
dass die Juden Fremde seien, ist jedoch weit verbreitet und kann
auf denkbar unschuldige – auch philosemitische – Weise artikuliert
werden.« Benz spielt hier auf einen Vorfall von 1997 an, als Ignatz
Bubis anlässlich der Rede des israelischen Staatsoberhauptes in
Bonn zum Auftreten »seines« Präsidenten gratuliert wurde. Benz
schildert »einen ganzen Katalog von Abwehrreaktionen« (S.163)
gegenüber Schuldgefühlen, die so subtil wie alltäglich und
allgegenwärtig sind, dessen beklemmender Wirkung sich kaum jemand
entziehen können wird. Abschließend stellt er fest, dass man heute
von einer »Judenfeindschaft« sprechen kann, die »offener und
offensiver propagiert« (S. 165) wird als in der Vergangenheit.
Der Sozialwissenschaftler Jan Lohl betitelt seinen Aufsatz
provokativ mit »Morden für das vierte Reich«, einem Zitat aus einem
Artikel der Frankfurter Rundschau 2011, der sich auf die Morde der
Zwickauer Terrorzelle bezieht. Er reflektiert den aktuellen
Neonazismus aus der transgenerationalen Perspektive. Lohl
betrachtet das psychische Geschehen in der deutschen Gesellschaft
seit dem Ende des Nationalsozialismus aus psychoanalytischer Sicht.
Ausgehend von der »Derealisierung der Vergangenheit« (S. 173), die
schon von den Mitscherlichs festgestellt wurde, beschreibt Lohl,
dass damit die Melancholie über den Verlust des
Herrenmenschen-Selbst abgewehrt wurde. Lohl geht von einer
»Kryptisierung des verlorenen Objekts an einem ›abgeschlossenen‹
Ort inmitten des Ichs« (S. 175) aus. Die Kryptisierung erlaube
nicht nur eine »imaginäre Bindung an das Objekt, sondern erhält
auch jene Selbstrepräsentanzen, die sich in der Beziehung zum
Objekt konstituierten« (S.175) Aus dieser theoretischen
Ausgangslage entwickelt Lohl seine Thesen, wie mit Hilfe von
Projektion auf die Kindergeneration und Identifizierung der
Enkelgeneration mit den Großeltern, das Phantom des
Herrenmenschen-Selbst weitergegeben wird. Auch Lohl betont anhand
verschiedener Untersuchungen ausdrücklich, dass rechtsextreme
Einstellungen kein Randproblem, sondern in der Mitte der
Gesellschaft angekommen sind. Im letzten Teil seines Aufsatzes
stellt er dar, wie sich die Zugehörigkeit zu einer neonazistischen
Gruppe entwickeln kann.
Angela Moré, Sozialpsychologin und Gruppenanalytikerin,
beschäftigt sich in ihrem Aufsatz »NS-Täterschaft und die Folgen
verleugneter Schuld bei den Nachkommen« mit dem Thema der
»Tradierung von Täteranteilen zwischen den Generationen« (S. 209).
Sie beschreibt sehr nachvollziehbar, wie sich die Kinder nicht
durch das Schweigen der Eltern, sondern durch das, was diese in
vielfältigen Formen mitteilten, ein manifestes Bild von ihren
Eltern und der Zeit gemacht haben, das oft genug verharmlosenden
oder sogar glorifizierenden Charakter hatte. Daneben aber
ȟbermittelten sich in indirekten Formen vor allem die
Beteiligungen an Verbrechen oder die passive Unterstützung
derselben«. (S.210) Angela More ́verwendet den von Freud 1912
geprägten Begriff der »Gefühls-Erbschaft«, um zu erklären, wie die
Kinder Schuldgefühle oder Gefühle von Scham und Wut, die die Eltern
abgewehrt haben, erleben, ohne dass sie sie aber weder eigenen
Taten noch den Eltern richtig zuordnen können. An mehreren
Beispielen erschütternder Berichte von Täterkindern erläutert More,
welche Folgen die Gefühls-Erbschaften für die inneren Objektbilder
und damit auch die Identität der Täterkinder hatten. »In manchen
Fällen bleibt den Kindern oder Enkeln nichts anderes übrig, als das
Unfassbare, Dunkle der elterlichen Vergangenheit unbewusst
nachvollziehend zu agieren oder aber in psychischen oder
psychosomatischen Störungen zu rekonstruieren.« (S. 221) In ihrem
Aufsatz nimmt Moré häufig Bezug auf andere Aufsätze des Bandes und
liefert damit nicht nur einen integrierenden theoretischen Ansatz,
sondern auch theoretische Einsichten, die im Sinne von Elke Horn
als Drittes zur Klärung von Verstrickungen genutzt werden
können.
Renate Jorkowski
www.mattes.de