Rezension zu Stimme und Suggestion (PDF-E-Book)
Analytische Psychologie. Zeitschrift für Psychotherapie und Psychoanalyse Heft 179, 1/2015
Rezension von Robert C. Ware
Stimme und Suggestion: Die »musikalische Dimension« und ihre
suggestive Kraft im psychotherapeutischen Geschehen
Die Stimme, so der Klappentext, gilt noch immer als »tauber Fleck«
der Psychoanalyse. Gemeint ist die lautliche Gestalt der Stimme,
ihr Vermögen, Töne und Laute mit einer bestimmten Klangfarbe zu
erzeugen. Über die verbalen Bedeutungen hinaus sind stimmliche
Äußerungen Träger und Vermittler emotional bedeutsamer
Botschaften. Der verführenden Wirkung der Stimme, ihrer
Suggestivkraft, kann sich niemand entziehen. Stimmliche Äußerungen
vermögen Menschen unbewusst zu beeinflussen oder gar zu
manipulieren. Auch in der psychoanalytischen Kur finden
wechselseitige suggestive Beeinflussungen statt. Die neutralen,
abstinenten Haltungen des Psychoanalytikers sind idealtypische,
normative Bestrebungen – Geißler nennt sie sogar »idealtypische
Fiktionen« (S. 256). Faktisch können Psychotherapeuten nicht
anders, als ihre PatientInnen durch bewusste und unbewusste
stimmliche Mitteilung ihrer eigenen Überzeugungen,
Wertvorstellungen, impliziten Konzepte und Konfliktneigungen
beeinflussen und überzeugen zu wollen. PatientInnen handeln auch
nicht anders mit ihren TherapeutInnen.
Hinter dem unscheinbaren Titel des vorliegenden Sammelbandes
entdeckt man einen Schatz an theoretischen und praktischen
Anregungen. Er ist ein bedeutsamer Beitrag zur Reflexion und
Umsetzung einer intersubjektiv und intersuggestiv verstandenen
psychoanalytischen Psychotherapie. Die 14 Beiträge dieses Bandes
leiten dazu an, reflektierter mit den bisher wenig genutzten
Ressourcen im stimmlichen Austausch umzugehen. In seinem Vorwort
verweist Wolfgang Mertens auf »die zeitgenössische Psychoanalyse
als ein intensives, gegenseitiges Voneinander-Ergriffenwerden [...]
aus dem keiner der beiden unverändert hervorgeht. [...] So ist er
doch in seinem Kern ein emotional vonstattengehendes Um- und
Neulernen von verinnerlichten Beziehungserfahrungen« (S. 9). Neben
Peter Geißlers ausführlichem Prolog »Stimme und Suggestion aus
evolutionsbiologischer Perspektive« (S. 11–57) und seinem Epilog
»Die laute Stimme und der Schrei – ungenutzte therapeutische
Ressourcen?« (S. 255–275) sind hier Beiträge von Günter
Heisterkamp, Franz Herberth, Wulf Hübner, Sebastian Leikert,
Rudolf Maaser, Tilmann Moser, Konrad Oelmann, Reinhard Plassmann,
Johannes Ranefeld, André Sassenfeld, Jörg Scharff und Thomas
Stephenson enthalten. Das Ganze ist in drei Teile gegliedert: (1)
Der Körper in der relationalen Psychoanalyse; (2) Die Stimme als
Teil des Körper-Selbst: Die »musikalische Dimension« im
psychoanalytischen Geschehen; (3) Die Unvermeidbarkeit der
Suggestion.
Zunehmende Beachtung der emotionalen, »musikalischen Dimension«
stimmkörperlicher Aspekte der therapeutischen Beziehung erweitert
die psychoanalytische Theoriebildung und Praxis in Richtung auf
eine analytische Körperpsychotherapie hin.
Ein Sammelwerk, das auf vielfache Weise zum Nachdenken über die
eigene therapeutische Wahrnehmung, Haltung und Handlung einlädt
sowie zur Erweiterung des theoretischen und praktischen Horizontes
um eine intersubjektive und intersuggestive therapeutische
Perspektive auffordert.