Rezension zu David Cronenberg
Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 34, 2015
Rezension von Peter Scheinpflug
Gerhard Schneider/Peter Bär: David Cronenberg
Es verwundert wenig, dass David Cronenberg inzwischen ohne
Vorbehalte als auteur gehandelt wird, obwohl viele seiner am
meisten diskutierten Filme sich dem Genre body horror zurechnen
lassen, das aufgrund seiner expliziten Darstellungen von
körperlicher Deformation, Transformation und Destruktion in vielen
Kreisen keinen allzu guten Ruf genießt. Mit ihren dicht verwobenen
philosophischen, psychoanalytischen, medien- und kulturkritischen
Reflexionen bieten sich die Filme von David Cronenberg für eine
Vielzahl medien- und kulturwissenschaftlicher Fragestellungen an.
Man würde jedoch einem Trugschluss unterliegen, wenn man daher
annähme, David Cronenberg sei ein leichtes Thema. Die Filme des
kanadischen auteurs sind so komplex und reflexiv angelegt, dass es
bereits eine Herausforderung darstellt, ihrer Komplexität gerecht
zu werden, und es sich noch schwerer gestaltet, ihnen eine
kontra-intuitive Lesart abzuringen, um nicht nur den
offensichtlichen Lektüre-Anweisungen der Filme zu folgen.
Gerhard Schneider und Peter Bär haben sich also einer großen
Herausforderung gestellt, als sie anlässlich des siebzigsten
Geburtstags von David Cronenberg im März 2013 zum elften
Mannheimer Filmseminar einluden, das dem auteur gewidmet war. Dass
es sich bei den zehn Aufsätzen, die im hier besprochenen
Sammelband veröffentlicht wurden, um ehemalige Vorträge handelt,
merkt man diesen teilweise noch deutlich an: Die Argumentationen
sind nicht mit der reichhaltigen Forschungsliteratur zu David
Cronenberg aufgeblasen, sondern die meisten Autoren beschränken
sich zumeist auf einige wenige psychoanalytische Studien als Basis
ihrer Ausführungen. Das sehr schlanke Theorie-Design der meisten
Aufsätze lässt genügend Raum für eine Erläuterung der für das
Verständnis der jeweiligen Argumentation notwendigen Begriffe und
Modelle, so dass auch Leser ohne profunde psychoanalytische
Vorkenntnisse leicht folgen können. Die teils sehr ausgiebigen
Darstellungen der Handlung der Filme ermöglichen wiederum einen
sehr klaren Eindruck von den Filmen, ohne dass der Leser diese
bereits gesehen haben muss. Gerade mit Blick auf die Komplexität
der meisten Filme von David Cronenberg und auf ihre vielfältigen
Anschlussfähigkeiten für alternative Fragestellungen ist es
beachtlich, dass die Autoren aller Beiträge sehr klare
Lektüre-Ansätze formulieren, denen sie stringent folgen. Dabei
gelingt es den meisten Verfassern zudem, dem Leser sehr viel
Freiraum zu lassen, um sich eigene Gedanken über die Filme und die
vorgestellten psychoanalytischen Deutungen zu machen.
Als Auftakt des Sammelbandes bietet Marcus Stiglegger einen sehr
pointierten Überblick über das Œuvre von David Cronenberg und
eine eingehende Diskussion einiger zentraler Motive und Themen des
auteurs, wie sie bereits in dessen frühen Filmen auftreten. Damit
fungiert Stigleggers Aufsatz vorzüglich zugleich als thematische
Klammer wie auch als Vorbereitung der weiteren Beiträge, die
ihrerseits wiederholt darauf verweisen werden. Manfred Riepe liest
im Anschluss daran Cronenbergs The Brood (1979), der vor allem für
das Bildmotiv der externalisierten Gebärmutter bekannt ist, als
eine Kritik an Therapieformen, die Freuds Deutung von Symptomen
durch die Produktion von Symptomen, damit die Auseinandersetzungen
mit Symptomen durch deren Externalisierung ersetzen. Christiane
Mathes greift die Ausführungen von Gilles Deleuze und Félix
Guattari zu Wunschmaschinen auf, die als Kritiker der Freud’schen
Psychoanalyse selten in vergleichbaren Publikationen von
praktizierenden Psychoanalytikern/innen berücksichtigt werden. Vor
dieser Folie treten die alternativen Körper-, Identitäts- und
Realitätskonzepte, vor allem aber auch die alternativen
Lustpotenziale deutlich hervor, wie sie vor allem in Videodrome
(1983) und eXistenZ (1999) durchgespielt werden. Ebenfalls mit
eXistenZ befasst sich Helmut Däuker und konzentriert sich dabei
auf die Verhandlung von Realität und Virtualität. Auf Grundlage
von Freuds Ausführungen über die körperliche Verfasstheit des
Ichs sowie zum Todestrieb diskutiert Däuker, welche Effekte ein
entkörperlichtes Ich auf Realitätsprinzip und Lustprinzip haben
kann.
Ralf Zwiebel zeichnet in seinem Beitrag die in Fachkreisen
hegemoniale Lesart des Films M. Butterfly (1993) nach, in dem sich
der Protagonist in einen Mann verliebt, der die Rolle der Madame
Butterfly auf der Opernbühne darstellt. Zwiebel entfaltet in sehr
detaillierten Beschreibungen die geradezu ›klassische‹
gendertheoretische Denkfigur, dass nur ein Mann die Traumfrau des
Mannes darstellen kann, da diese immer schon eine männliche
Phantasie ist. Worin Zwiebel sich von vergleich- baren Lektüren
des Films abhebt, ist die besondere Bedeutung, die er der Musik
zuspricht, die als Katalysator der Butterfly-Phantasie des
Protagonisten fungiert, da sie ihn zu emotionalen Intensitäten
anrege, wie er sie bisher nicht erlebt habe. Joachim F. Dankwardt
deutet Crash (1996) als ›Szenen einer Ehe‹, die konventionelle
Beziehungskonzepte hinter sich gelassen hat und stattdessen von
Auto-Destruktion bestimmt ist. Dankwardt lotet so das
gesellschaftskritische Potenzial von Cronenbergs Film aus. Angelika
Zitzelsberger-Schlez legt eine eingehende Analyse von Spider (2002)
vor, in der sie vor der Folie des Ödipus-Komplexes erläutert, wie
es zum Mord an der Mutter gekommen ist. Dabei beweist die Autorin
ein Gespür für wichtige Details wie etwa den Gaskessel als
Bildmotiv für Spiders psychische Verfassung oder auch die
Verwerfungen in den Rückblenden, die diese als unzuverlässige
Bilder markieren, da die Erinnerungen mit den Phantasien des
Protagonisten über- blendet sind. Entgegen gängiger
traumatheoretisch informierter Lesarten des Films betont
Zitzelsberger-Schlez zuletzt die Liebesannäherung von Spider an
die Ersatzmutter, die der Protagonist in der Leiterin des Wohnheims
findet.
Signe Mähler widmet sich in ihrem Beitrag der Darstellung von
Sabina Spielrein in Cronenbergs A Dangerous Method (2011). Auf
Basis ihrer eigenen Recherchen für einen Dokumentarfilm über die
Psychoanalytikerin der allererster Stunde diskutiert Mähler
eingehend die Besetzung der Rolle in Cronenbergs Film mit Keira
Knightley und arbeitet deutlich die Unterschiede zur historischen
Person heraus. Christoph E. Walker erhellt hingegen die Darstellung
von Carl Gustav Jung in demselben Film. Anhand eingehender Analysen
von zentralen Szenen entfaltet Walker das Bild eines
Psychoanalytikers, der vor allem in seiner Beziehung zu Sabina
Spielrein sich als unfähig erweist, Grenzziehungen zu ermöglichen
und dadurch Orientierung zu stiften. Im Anschluss an grundlegende
Ausführungen zur Funktion von Grenzziehungen und zu Entgrenzungen
entfaltet der Autor anhand von sechs einschlägigen Szenen eine
Analyse von Carl Gustav Jung, wie er im Film als eine Figur
dargestellt wird, die durch ›orale Gier‹ und eine stetig wachsende
Selbstbezogenheit bestimmt ist. Im letzten Beitrag des Bandes
bespricht Stefan Hinz dann David Cronenbergs zuletzt im Kino
aufgeführten Film Cosmopolis (2012). In seinem sehr persönlichen
Bericht über sein eigenes Ringen mit dem Film zeigt Hinz sehr
eindrücklich auf, wie der Film das Publikum mit seiner exzessiven
Behandlung einer sinnentleerten Existenz herausfordert und zur
Reflexion anregen kann. Im Hauptteil seiner Auseinandersetzung mit
dem Film widmet der Autor sich dann der Hauptfigur Eric Packer und
erzählt den Film in einer Weise nach, dass er als Fallgeschichte
einer letztlich fatalen narzisstischen Störung lesbar wird.
Mit diesem Sammelband haben die Herausgeber eine leicht zu lesende
Publikation für alle diejenigen vorgelegt, die das Œuvre von David
Cronenberg bisher kaum erkundet haben und die sich sowohl einen
ersten Eindruck machen wollen von dessen Potenzial für
psychoanalytische Zugänge als auch anregen lassen wollen, die
Filme in ihrer Reichhaltigkeit selbst zu erforschen.
Peter Scheinpflug