Rezension zu Traum(a) Migration

Punktum. Verbandszeitschrift des Schweizer Berufsverbandes für Angewandte Psychologie, Dezember 2014

Rezension von Ursula Knechtli

Für mehr kultursensible Kompetenz
Günter H. Seidler, Robert E. Feldmann (Hg.): Traum(a) Migration

15 Beiträge von 28 Autorinnen zu Patientinnen, die vor, während und/oder nach der Migration traumatisiert wurden, zu Menschen, die noch im Asylverfahren stehen oder schon länger akzeptiert im deutschsprachigen Mitteleuropa leben. Das Buch öffnet einen weiten Fächer von Lebenssituationen, Problemstellungen und Lösungsversuchen.

Diese Fülle wird in drei Teilen zu fassen versucht: im ersten Teil wird der Leser, die Leserin sensibilisiert für die Zusammenhänge zwischen Identitätsgefühl, Fremdsein, Bindung, Migration aus diversen Gründen, verschiedenen Akkulturationsformen im Ankunftsland und Multikulturalität. Dabei fliessen nebst Theorien aus Medizin und Psychologie auch Erkenntnisse aus Soziologie und Philosophie ein. Zugleich wird betont, dass das Thema des Buches nicht ohne gesellschaftspolitischen Hintergrund verstanden und behandelt werden kann. Der zweite Teil des Buches wird vorbereitet, indem Migration als Risikofaktor für die psychische Gesundheit bezeichnet und bei damit konfrontierten Fachleuten eine kultursensible Kompetenz als unabdingbar erachtet werden.

Im grossen Mittelteil des Buches werden spezifische Fragestellungen und Konzepte in Diagnostik und Therapie von traumatisierten Flüchtlingen und Folteropfern dargestellt. Dabei wird ein Grundwissen zum posttraumatischen Belastungssyndrom vorausgesetzt, in den zehn Beiträgen wiederholen sich Aussagen zur Notwendigkeit von Teamarbeit in Institutionen (gegebenenfalls auch mit Sozialarbeitern, Juristen etc.), zur Bedeutung von qualifizierten Dolmetschern, zur Wichtigkeit von Super- oder Intervision für alle Zusammenarbeitenden wegen zum Teil heftiger Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene.

Im Besonderen wird eingegangen auf migrations- und traumaspezifische Anamnesegestaltung, auf delikate Probleme bei der Diagnosestellung, vor allem bei Komorbiditäten oder kulturell und sprachlich anders ausgeformtem Krankheitsverständnis.

Die beschriebenen therapeutischen Konzepte reichen von der Einzel- bis zur Gruppentherapie (beides kann sich auf Patient oder Behandler beziehen) und auf verschiedene theoretische Hintergründe wie psychoanalytische Therapie, Narrative Expositionstherapie, verhaltenstherapeutische Ansätze, EMDR.

Im dritten Teil wird auf die heiklen Aufträge für die amtliche Begutachtung von traumatisierten Flüchtlingen hingewiesen, insbesondere wenn diese noch in einem Asylverfahren stehen. Herausforderungen und Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit Behörden werden ausgeführt.

13 der 15 Buchbeiträge beziehen sich auf Arbeitsorte in Deutschland und damit auch die rechtlichen Gegebenheiten dieses Landes. Im Wesentlichen dürften aber alle Aussagen auf die Schweiz übertragbar und ebenso aktuell sein.

Ursula Knechtli, Fachpsychologin SBAP in Psychotherapie sowie in Kinder- und Jugendpsychologie

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