Rezension zu Sigmund Freuds erstes Land

Punktum. Verbandszeitschrift des Schweizer Berufsverbandes für Angewandte Psychologie, Dezember 2014

Rezension von Helena Glatt

Psychotherapie in der Schweiz
Anton M. Fischer: Sigmund Freuds erstes Land

Die Vorgeschichte, die der Autor als Ausgangslage seiner Kulturgeschichte der Psychotherapie beschreibt, ist bunt und schockierend. Die fantasievollen, absurden und brutalen Methoden, mit denen man Geisteskranke im 19. Jahrhundert in den psychiatrischen Kliniken behandelte, zeugen von völligem Unverständnis psychisch Kranker und der Angst, die diese Unglücklichen in ihren Behandlern hervorriefen.

Einen rationaleren Zugang zum Verständnis psychischer Krankheiten ermöglichte erst die Psychoanalyse. Diese erregte zwar bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit, doch in psychiatrischen Kreisen fand sie kaum Aufnahme.

Mit einer Ausnahme: Eugen Bleuler, Direktor der Klinik Burghölzli in Zürich, war fasziniert von dem »ganz neuen Einblick in den psychischen Mechanismus« (»Münchner Medicinische Wochenschrift« 1896: 525) und verhalf der ersten Psychotherapie-Methode zu klinischer Anwendung.

Von diesen Anfängen bis zum Inkrafttreten des PsyG im März 2013 erfahren wir auf rund 700 Seiten viel Interessantes über die Weiterentwicklung der Psychotherapie, Sachliches und Persönliches über wichtige Akteure und deren Querelen, über Institutionen und deren zum Teil problematische Positionen, über Hintergründe, Konflikte, Machenschaften u.v.m.. Dabei finden auch Themen wie »Psychoanalyse vs. Psychotherapie« oder »Psychotherapie als Leistung der Grundversicherung« Platz.

Der Autor ist für dieses Vorhaben wie berufen, studierte er doch neben Psychologie und Philosophie auch Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichte sowie Kunstgeschichte und arbeitet als Psychoanalytiker in Zürich.

Das Buch ist leicht verständlich geschrieben, das Geschilderte ist sorgfältig recherchiert. Teils ist diese Kulturgeschichte spannend und aufschlussreich, teils gerät sie in die Nähe von Klatsch oder ist etwas langweilig. Die Gewichtung der Geschichte erfolgte subjektiv, sowohl bezogen auf den zeitlichen Verlauf als auch auf die verschiedenen Psychotherapierichtungen. Der Fokus liegt vor allem auf Freud, Jung und der Daseinsanalyse; epochenmässig nehmen der Beginn des 20. Jahrhunderts und dann die Zeit des Zweiten Weltkriegs viel Raum ein.

Den Gewinn der Lektüre sehe ich weniger in der Aneignung von Wissen als darin, was das Buch mit einem macht: Die Leserlnnen werden freier in ihrem Verhältnis zur Psychoanalyse.

Helena Glatt

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