Rezension zu Karl Abraham
The German Quarterly 87.4 (Fall 2014), American Association of Teachers of German
Rezension von Tjark Kunstreich
The German Quarterly 87.4 (Fall 2014), American Association of
Teachers of German
Sanfeliu, Isabel. Karl Abraham. The Birth of Object Relations
Theory. London: Karnac Books, 2014. 368 pp. £29.99 (paperback).
Zienert-Eilts, Karin. Karl Abraham. Eine Biografie im Kontext der
psychoanalytischen Bewegung. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2013. 352
pp. € 39.90 (paperback).
Heutzutage wird an Karl Abraham (1877–1925), den ersten deutschen
Psychoanalytiker und Weggefährten Freuds, erinnert als Ahnherr der
psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie, als eminenter
klinischer Forscher und als Mitbegründer der institutionalisierten
Psychoanalyse. Je nach eigenem Standpunkt werden diese Leistungen
entweder positiv oder negativ bewertet, und wie immer bei
historischen Figuren wird der historische Kontext oftmals der
Vereinnahmung für diese oder jene Sache untergeordnet. Melanie
Klein etwa, die in Berlin bei Abraham in Lehranalyse war, nahm für
sich in Anspruch, ihre Auffassungen hätten sich organisch aus
denen Abrahams ergeben – und umgekehrt steht Abraham unter dem
Verdacht, ein früher Kleinianer gewesen zu sein, dessen Werk unter
diesem Gesichtspunkt kritisiert wird (vgl. Zienert-Eilts, 280 ff.).
Abrahams klinische Schriften galten als stilbildend für die
psychoanalytische Literatur, bis man begann, sie wegen ihrer
Trockenheit und Kälte in einen Gegensatz zum Freudschen Oeuvre der
Kulturkritik zu stellen – wobei die Trennung von Klinik und
Kulturkritik in der Psychoanalyse historisch erst sehr viel später
vollzogen wurde. Die Rolle, die Abraham in Freuds Geheimem Komitee
spielte und so in vielen Auseinandersetzungen um den Übergang von
der Bewegung zur Institution, wird ebenfalls widersprüchlich
bewertet: Den einen gilt er als derjenige, der die Psychoanalyse
nach dem Abfall Jungs in der Psychiatrie hoffähig machte, den
anderen gilt er als Verräter an den revolutionären Idealen der
Psychoanalyse.
Die Bücher der deutschen Psychoanalytikerin Karin Zienert-Eilts
und der spanischen Psychoanalytikerin Isabel Sanfeliu befassen sich
mit Abraham sowohl im biografischen wie im theoretischen Kontext
der Psychoanalyse. Dennoch sind beide Bücher sehr unterschiedlich,
nicht nur was den jeweiligen Kontext der Autorinnen betrifft und
deren theoretische Standorte. Die Unterschiede sind mithin so groß,
dass beide Bücher lesen sollte, wer eine Ahnung davon bekommen
möchte, warum Abraham – trotz seines eher schmalen Nachlasses –
eine solch zentrale Persönlichkeit der Psychoanalyse war und ist.
Während Sanfeliu manchmal die historische Genauigkeit abgeht,
bietet Zienert-Eilts historische Rekonstruktion mit großem
Quellenreichtum, um ein genaues und nicht von Parteiinteressen
gefärbtes Bild Abrahams zu entwerfen. Dabei wiederum gelingt es
Zienert-Eilts nicht immer, die Genese des Abrahamschen Denkens und
seiner intellektuellen Entwicklung so lebendig darzustellen, wie es
Sanfeliu mit ihrer an Lacan geschulten philosophischen Einordnung
tut: Ihre Rückführung des Objekt-Begriffs auf Kant und dessen
Bedeutung im philosophischen Denken der Aufklärung ist eine
einmalige Einordnung des psychoanalytischen Denkens über das
Objekt in den historischen Kontext.
Beide Bücher sind von den Traditionen des Denkens geprägt, denen
sich die Autorinnen verpflichtet fühlen, und so haben sie ihre
jeweiligen blinden Flecken, die zugleich ihre Stärken sind.
Sanfelius Herangehensweise erlaubt ihr ein genaues Lesen von
Abrahams Texten, das an der sorgfältigen Freud-Lektüre der
französischen Psychoanalyse geschult ist und bewusst das
Historische außen vor lässt und den Text bzw. die Sprache ins
Zentrum stellt; so kann sie herausarbeiten, wie in der Arbeit
Abrahams das »innere Objekt«, die Grundlegung der
Objektbeziehungstheorie, immer deutlichere Konturen annimmt. Der
Anspruch von Zienert-Eilts, gerade den historischen Kontext
herzustellen und aus der Lektüre von Abrahams Briefwechseln die
Motive der Protagonisten zu analysieren, lässt die Frage, ob
Abraham als Begründer der Objektbeziehungstheorie gelten kann,
unbeantwortet. Vielmehr beschreibt sie die Linien eines Denkens,
welches sich nicht vollenden konnte. Abrahams früher Tod
hinterließ offene Fragen, die von seinen Schülerinnen und
Schülern sehr unterschiedlich beantwortet wurden. Die beiden
Bücher zeigen, dass sich das bis heute nicht geändert zu haben
scheint. Es ist wohl gerade das Unabgeschlossene im Werk Abrahams,
welches seine Bedeutung begründet: In seiner Differenzierung
theoretischer Darlegungen Freuds für die klinische Arbeit kann
Abraham als derjenige unter Freuds unmittelbaren Schülern gelten,
der den Anspruch der Psychoanalyse, eine Wissenschaft zu sein, am
Nachhaltigsten vertrat, und deswegen auch heute noch für
fruchtbare Diskussionen sorgen kann.
Tjark Kunstreich, Vienna
Tjark Kunstreich is a senior social worker and trainee
psychoanalyst in Vienna.
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