Rezension zu Starke Mütter - ferne Väter

Deutsches Ärzteblatt

Rezension von Vera Kattermann

FAMILIENGESCHICHTEN
Offene Fragen bleiben

Die gesellschaftliche Diskussion über die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges entwickelt sich in den letzten Jahren differenzierter und diversifizierter: Mehr und mehr wird auch nach Erfahrungen gefragt. wo Deutsche nicht nur als Täter, sondern auch als Erleidende von traumatischen Erfahrungen in Erscheinung treten. Vor diesem Hintergrund liegt die Untersuchung spezifisch weiblicher Kriegs- und Nachkriegserfahrungen und ihre Auswirkungen auf die Lebensentwürfe und das Selbstverständnis von Frauen aus der zweiten Generation (der Töchter der »Kriegsmütter«) nahe.

Ulla Roberts legt mit ihrem Buch eine psychosoziale Untersuchung ausgewählter Fallgeschichten von Frauen der Jahrgänge 1933 bis 1943 vor. Die Autorin zählt selbst zu dieser Gruppe und schreibt entsprechend ein durchaus persönliches Buch, indem sie die eigenen Erfahrungen zu denen der vorgestellten Frauen in Bezug setzt. Dabei trägt sie verschiedene psychische, politische und soziale Faktoren zusammen, die die Lebensgeschichten der während des Krieges geborenen beziehungsweise aufgewachsenen Töchter geprägt haben. So fokussiert sie beispielsweise die sich während des Krieges wandelnde Rolle der Mütter, die oft von einem Zuwachs an Selbstbewusstsein und verantwortlicher Stärke geprägt war, ebenso wie die damit verbundene Leerstelle in Bezug auf den Platz des Vaters, der oft idealisiert oder aber abgelehnt und entwertet wurde und bei vielen Frauen zu einem entfremdeten Vater-Tochter-Verhältnis führte. Die emotionalen Auswirkungen der Kriegserlebnisse werden ebenso diskutiert wie der ideologische und politische Kontext der nationalsozialistischen Familienwirklichkeiten.

Die Autorin zeichnet damit ein recht umfangreiches Bild der Auswirkungen einer Sozialisation und psychischen Entwicklung während der Kriegs- und Nachkriegsjahre; es wirkt in dieser Rundumschau aber auch etwas oberflächlich. Das mag an der Heterogenität der vorgestellten Lebensgeschichten liegen, die eher oberflächliche, denn differenziert herausgearbeitete Verallgemeinerungen zulassen. So ist zum Beispiel infrage zu stellen, ob nicht systematischer in Bezug auf die jeweiligen Geburtsjahre hätte unterschieden werden müssen, denn es ist kaum zu bezweifeln. dass im Rückbezug auf die kindliche Entwicklung jedes Kriegsjahr die Erfahrungen sehr unterschiedlich geprägt haben wird.

Als Leserin, die sich durch dieses Buch Aufschluss über die Kriegskindheit der eigenen Mutter erhofft, erhalte ich zwar eine Einstimmung auf möglich relevante Aspekte, bei den vielen verschiedenen Beispielen kann aber eine spezifische Gestalt unterschiedlicher kriegsbezogener Traumatisierungen nicht klar genug herausgearbeitet werden. So bleibt man nach der Lektüre mit offenen Fragen zurück, die immerhin den intergenerationellen Dialog anzuregen vermögen.

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