Rezension zu Cybersex (PDF-E-Book)

Psychologie heute Januar 2015

Rezension von Christine Weber-Herfort

Sex – die ganze Wahrheit!?
Drei Bücher beleuchten das menschliche Sexualleben in all seinen Facetten

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Sex – oder lieber Cybersex? Unter Cybersex versteht man »computervermittelte zwischenmenschliche Interaktionen, bei denen die beteiligten Personen offen sexuelle Erregung und Befriedigung suchen, während sie einander digitale Botschaften übermitteln«, so die Psychologin und Internetforscherin Nicola Döring. Der von Agatha Merk herausgegebene Sammelband »Cybersex« untersucht das Phänomen aus psychoanalytischer Sicht. Internetsexualität sei inzwischen ein sich dynamisch entwickelnder Forschungsgegenstand. Die Beiträge in diesem Band zielen darauf, zu verstehen, welche unbewussten Bedeutungen Aktivitäten im Internet haben können, welche Funktionen sie im psychischen Leben erfüllen und wie das Phänomen in psychoanalytischen Behandlungen bearbeitet werden kann.

Ein Schwerpunkt ist der Konsum und die Wirkung von Internetpornografie. Die Psychoanalytikerin Ilka Quindeau fragt in einem herausragenden Beitrag, was den Reiz von Internetpornografie ausmacht und welche Funktionen sie für sexuelle Lust hat. Sie hat beobachtet, dass immer mehr Patienten – selten Patientinnen – in Analysen über ihre Pornoerfahrungen im Netz berichten. Das sexuelle Begehren, so ihre Deutung, antworte auf frühkindlich angeeignete Szenen des Begehrtwerdens durch die Mutter oder andere primäre Bezugspersonen. Für die notwendige Fort- und Umschreibung dieser Verführungserfahrungen, insbesondere der »zentralen Onanieerfahrung«, biete Pornografie Bilder. »Die pornografischen Angebote im Netz liefern somit nicht einfach nur sexuelle Erregung, sondern tragen zugleich zu deren Verarbeitung bei.« »Pornografiekonsum« sei auch eine Antwort »auf die rätselhaften Botschaften aus frühester Kindheit«.

Alle Beiträge dieses auch für interessierte Laien lesenswerten Bandes sind von einer unvoreingenommenen Betrachtung des Themas geprägt. Unterbelichtet ist weiblicher Cybersex. Die Fragen, weshalb »gute Mädchen« offenbar wenig Pornografie konsumieren oder was die Darstellung von Pornografie mit Frauen macht, werden nicht beantwortet.

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Sex ist eine universelle menschliche Praxis – eine Banalität, könnte man meinen. Doch der Umgang mit und die Bedeutung von Sexualität ist kulturell sehr verschieden – dies veranschaulichen alle drei Bücher.

Christine Weber-Herfort

Ausschnitte aus einer Sammelrezension zu diesen Titeln:
– Pere Estupinya: Sex – Die ganze Wahrheit. Aus dem Spanischen von Marter Inka und Silke Kleemann. Riemann München, 2014, 543 5., €19,99
– Agatha Merk (Hg.): Cybersex. Psychoanalytische Perspektiven Psychosozial, Gießen 2014, 257 5., €29,90
– Faramerz Dabhoiwala: Lust und Freiheit. Die Geschichte der ersten sexuellen Revolution. Aus dem Englischen von Heiner Kober und Esther Kober. Klett-Cotta, Stuttgart 20 536 5., € 29,95


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