Rezension zu Nach dem bewaffneten Kampf

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Rezension von Tom Schimmeck

Die RAF auf der Couch
Deutschland. Wie ehemalige Linksterroristen jahrelang mithilfe von Therapeuten versuchten, sich ihren eigenen Verirrungen zu nähern.

Sie fanden eher zufällig zusammen, Ende 1996, bei einer Veranstaltung von Amnesty International in Hamburg. David Becker, ein bekannter Psychotherapeut, der ehemalige politische Gefangene in Chile therapiert hatte, war ziemlich verblüfft, als neben den erwarteten Experten auch eine ganze Riege ehemaliger Häftlinge der Roten Armee Fraktion (RAF) im Publikum saß. Er fühlte sich »doppelt verunsichert«: weil er nicht geahnt hatte, dass sich diese Kreise für seine Arbeit interessierten. Und weil er fürchtete, dass hier »zweifellos traumatisierte Menschen hofften, durch mich ein Stück Anerkennung zu erfahren«.
Aus der seltsamen Begegnung erwuchs ein ebenso einmaliges wie heikles Experiment. Fast sieben Jahre lang trafen sich Exterroristen und Therapeuten zu Gesprächswochenenden. Eine mühsame, tastende Reise voller Tücken: Das Ziel war nebulös, der Weg umstritten. Die Rollen verschwammen. Die einstigen »Kämpfer« wollten keine Patienten sein, manch Therapeut kein Therapeut. Bald brachten alte Gräben im linksradikalen Diskurs wieder auf, ein Teil der Exkämpfer floh unter Absingen schmutziger Lieder. Auch das Gros der Therapeuten bröckelte weg. »Das erste Treffen glich einem Tigerkäfig«, erinnert sich der 1995 aus der Haft entlassene Knut Folkerts. »Die unbesprochenen Widersprüche aus 20 Jahren waren explodiert und lagen als
Trümmer zwischen uns.«

Schmerz. Und doch, meint Volker Friedrich, ein Psychoanalytiker, der bis zum Ende durchhielt, sei er nun »eigentlich ganz zufrieden«. Trotz Verletzungen und Verratsvorwürfen, trotz all der Wogen von Trauer und Schmerz. Therapeut Friedrich, Exmitstreiter des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), verheimlicht nicht seine anfänglichen Probleme, sich der »mörderischen Verirrung« der RAF zu nähern, nicht sein »innerliches Grauen« in dieser »verfeindet nahen« Gruppe. Schließlich aber, sagt er, hätten die Mühen doch Erkenntnis gebracht und bewirkt, dass »einige wieder zu geistigen und psychischen Kräften gekommen sind«.
Am Ende haben Ex-RAFler, ehemalige Unterstützer und Therapeuten ihre Erfahrungen dabei aufgeschrieben.* Der Sammelband, der durch die Debatte um ein abgelehntes Gnadengesuch
des inhaftierten Exterroristen Christian Klar zusätzliche Aktualität bekommt, verrät viel über die emotionalen Achterbahnfahrten und die schwierigen Wege der Selbsterkenntnis aller Beteiligten. Noch einmal wurde gestritten, ob die Anführer Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe 1977 in Stammheim vom Staat ermordet worden waren. »Eingefrorene Spannungen« (Friedrich) entluden sich in Verratsvorwürfen. Der Leser, schreibt David Becker in seinem Vorwort , »begleitet die Autoren auf einem schweren Weg: vom Tod zur Anerkennung des Todes im Leben, von paranoiden Beziehungsstrukturen hin zu einem kleinen Stück Vertrauen, von
versteinerten Auseinandersetzungen um Ideale, Macht, Ohnmacht und Verrat hin zur Anerkennung von Grenzen«.

Ganz nebenbei werden auch einige Mythen über die RAF abgeräumt. Gute Kumpels waren die bewaffneten Kämpfer nie. »Der Freundesverrat scheint eine Konstante beim ›Dienst an der Sache‹ zu sein«, spottet Karl-Heinz Dellwo, der die Exgenossen in der Runde früh mit der Einsicht schockte, in der RAF habe es keine echte Freundschaft gegeben.
Ella Rollnik aus der Bewegung 2. Juni schreibt dazu: »Diese Feststellung wirkte wie ein Steinwurf im glatten Gewässer unserer Überzeugung, dass Politik und Persönliches eine nahtlose Einheit zu sein hätten.« Keine Nähe ohne absoluten ideologischen Gleichklang? Eine anonym bleibende Teilnehmerin aus der Unterstützerszene erinnert sich: »Selbst uns bekannte Menschen sollten mit der Waffe im Gürtel zu gänzlich neuen aufblühen. Wir, die Legalen, plapperten das brav nach, legten Zeugnis ab von unserer Begrifflosigkeit. Von anderen angesprochen auf unsere unfreien und kalten Strukturen waren wir zumeist unzugänglich, abweisend und arrogant.«

Die Kälte und Unbarmherzigkeit einer Gruppe, die einer rigiden Kämpfer-oder-Schwein-Logik verhaftet war, spiegelt sich in vielen Texten. Die meisten stießen blutjung zum bewaffneten Kampf – mit Anfang, Mitte zwanzig. Ihre Selbstdarstellungen lassen erahnen, wie sehr die Härten des Kollektivs und die Hetze der Untergrundexistenz die sich als Avantgarde fühlende Kämpfertruppe zusammenschweißte. Und wie radikal dabei störende Gemütsbewegungen abgetötet, Kritik und Selbstkritik ausgelöscht wurden.
Schuld. Die Strukturen waren autoritär. »Diejenigen, die nicht zu den Leadern gehörten, sondern sich an ihnen orientierten, wichen nicht mehr ab, dachten nicht mehr selber nach, hatten Angst, durch Infragestellen selber verunsichert zu werden«, schreibt Ella Rollnik.
Und die Schuld? Seit die RAF im Sommer 1970 auf den Plan trat, produzierte sie bis zu ihrer offiziellen »Auflösung« 28 Jahre später eine Fülle von Selbstrechtfertigungspamphleten. Die Brüche sind heute überdeutlich. Es sei, meint die Therapeutin Angelika Holderberg, »nicht ausreichend gelungen, über die Toten zu sprechen, die die ehemals bewaffnet Kämpfenden zu verantworten haben«.
Bei manchen schwingt bis heute ein Hauch von Idealisierung mit, etwa wenn Monika Berberich (verhaftet 1970) von »bewaffneter Politik« spricht. Selbst Karl-Heinz Dellwo scheint davon nicht frei. Im April 1975 war er unter den Besetzern der deutschen Botschaft in Stockholm, um Gefangene freizupressen. Am Ende waren zwei Botschaftsangehörige und zwei Genossen tot. Dellwo saß 21 Jahre im Gefängnis. Er hat seine Mitverantwortung erklärt und akzeptiert, »dass unsere Handlungen verurteilt worden sind und Folgen für uns haben mussten«. Doch am Ende seines fast philosophischen Aufsatzes erklärt er: »Unser Aufbruch war richtig.«

Verklärung? Dellwo verneint dies im Gespräch mit profil. »Der Versuch, etwas aufzubauen, war trotz aller Fehler wertvoll.« Die RAF sei 1977 gescheitert. Bis heute aber spricht er von »uns« und von der »Gegenseite«. Selbst wenn alles falsch war, sagt Dellwo, gebe es »nicht nur die Härten und die ganzen Toten, sondern auch etwas, zu dem man stehen kann«.

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