Rezension zu Traumarbeit vor Freud

Luzifer-Amor Nr.37 19.Jahrgang 2006

Rezension von G.W. Pigman III

Ergänzend zu seiner wertvollen Abhandlung Via regia zum Unbewußten. Freud und die Traumforschung im 19. Jahrhundert (2003) legt Goldmann einen Wiederabdruck von fünf deutschsprachigen Arbeiten über den Traum aus den 1870er und 1880er Jahren vor: Ludwig Strümpell, Die Natur und Entstehung der Träume (1874), Johannes Volkelt, Die Traum-Phantasie (1875), Friedrich Wilhelm Hildebrandt, Der Traum und seine Verwertung fürs Leben (1875), W. Robert, Der Traum als Naturnothwendigkeit erklärt (1886) sowie den einschlägigen Abschnitt aus der »populär-wissenschaftlichen Darstellung« von Friedrich Scholz, Schlaf und Traum (1887). In seiner Einleitung stützt sich Goldmann großenteils auf sein früheres Buch, wo die Autoren und ihre Werke eingehend diskutiert werden, fügt aber auch einige neue Informationen hinzu, so vor allem über Carl Du Prel und Auguste Ambroise Liebeault. Ein nützliches »Verzeichnis der Lektürespuren Freuds« vermerkt die Randstriche und Unterstreichungen in Freuds Exemplaren von Volkelt, Hildebrandt, Robert und Scholz. Mit der von Goldmann noch geplanten Edition von Karl Albert Scherners Das Leben des Traums (1861) und der Online-Ausgabe von Alfred Maurys Le sommeil et les rêves: Etudes psychologiques sur ces phénomènes et les divers etats qui s y rattachent (3. Aufl. 1865) (http://gallica.bnf.fr) wird die Forschung bald einen leichten Zugriff auf einige der Hauptwerke zur Traumtheorie des 19. Jahrhunderts haben.

Goldmann hat zweifellos sein erklärtes Ziel erreicht, »einige für Freud bedeutsame, z. T. schwer zugängliche Quellenschriften der deutschsprachigen Traumforschung wieder zur Verfügung« zu stellen (S. 8f.), und mit einer Ausnahme kann man seine Textauswahl nur gutheißen. Strürnpells Buch wird von den anderen Autoren in seiner Sammlung mit Respekt genannt, und auch Freud benutzt es als einen »Wegweiser in die Traumprobleme« (S. 49) . Von Volkelt erwähnt Freud vor allem die klarere Darstellung der Traumphantasie Scherners, die dieser in einem »abstoßenden« Stil beschrieben habe, wobei allerdings die Charakterisierung als »Anhänger« Schemers (S. 105) der Unabhängigkeit Volkeits und dem Gehalt seines Werks nicht gerecht wird. Die Broschüre von Hildebrandt zitiert Freud mehrfach und lobt sie als den »formvollendetsten und gedankenreichsten Beitrag zur Erforschung der Traumprobleme« (S. 89). Und obwohl er Roberts Theorie mißverstand, erkannte er ihre Originalität und Bedeutsamkeit an.

Der einzige Text, bei dem man sich fragen kann, ob er den Wiederabdruck verdiente, ist der von Scholz: Freud zitiert ihn zwar dreimal, aber er diskutiert ihn an keiner Stelle, und Scholz hat m. W. auch keinen Einfluß auf spätere Autoren ausgeübt. Eine bessere Wahl wäre die Studie Ueber den Traum. Nach einem 1876 gehaltenen öffentlichen Vortrag (1878) des Pharmakologen und Medizinhistorikers Carl Binz gewesen. Wilhelm Wundt hat diesen Vortrag zustimmend rezensiert, und Carl Max Giessler setzt seine Feststellung: »Radestock, Griesinger und Freud fassen das Wesen des Traumes als Wunscherfüllung«, mit der Aussage fort: »Die zutreffendste Ansicht über die Bedeutung der Träume ist entschieden die von Binz, der den Traum als einen ›in allen Fällen unnötigen, in vielen Fällen krankhaften Vorgang‹ auffaßt«. Freud erwähnt Binz dreimal und macht sich über seine »Ganglienzellenphantastik« lustig (S. 108). Obwohl Binz mit seiner Lehre vom Traum als der Hervorbringung eines funktionsuntüchtigen Gehirns eine extreme Position vertrat, stand er damit zu seiner Zeit keineswegs allein, und heute zeigen die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Neurowissenschaft, daß viele der Kennzeichen des Traums, die den Autoren des 19. Jahrhunderts ein Rätsel aufgaben, durch die Aktivierung und Nicht-Aktivierung verschiedener Hirnareale im Schlaf erklärt werden können.

Einmal mehr hat Goldmann alle Forscher, die sich für die Geschichte des Traums interessieren, zu Dank verpflichtet.



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