Rezension zu »Wir haben Geschichte geschrieben« (PDF-E-Book)
Express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 7–8/2014
Rezension von Peter Nowak
Gegen das Arbeitnehmerpatriarchat
Über eine etwas verkürzte Geschichte der DGB-Frauen von Sibylle
Plogstedt
»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: Der Internationale
Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, hieß es
in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März
2013. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB-Bundesvorstand
verhindern, dass sich gewerkschaftliche Frauen an den Aktionen zum
8. März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und
Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war nach 1919
Mitglied der Kommunistischen Partei, lautete die Begründung.
Nachdem örtliche gewerkschaftliche Initiativen die
Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der BesucherInnen
gewachsen war, beschloss der DGB, eigene Aktionen zum 8. März zu
organisieren. Dabei war man aber bemüht, eine neue Geschichte
dieses Tages zu kreieren. Ein historisches Gutachten machte darauf
aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein
Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Zetkins
Rolle in der Durchsetzung des 8. März’ als Kampftag der
proletarischen Frauenbewegung wurde einfach ausgeblendet. Diese
heute weitgehend vergessenen Querelen um den 8. März im DGB finden
sich dankenswerterweise in dem von Sibylle Plogstedt verfassten
Buch »Wir haben Geschichte geschrieben« wieder. Die Autorin war als
undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv
und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage. Die hatte, anders als
die heute bekanntere Emma, schon früh Kontakte auch zu Frauen in
der Gewerkschaftsbewegung gesucht.
Kein Geld für Geschichte
Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistet Plogstedt
Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980
den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben.
Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat.
Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des
DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie
Plogstedt im Detail nachweist. Sie geht chronologisch vor und
beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der
unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist
tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen sie
nicht mehr unter der Ägide einer CDU-Frau. Die Ära von Maria Weber
war beendet. Dass für mehr als vier Jahrzehnte ein CDU-Mitglied für
dieses Amt zuständig war, ist keineswegs der Wille der DGB-Frauen
gewesen. Vielmehr zeigt Plogstedt, wie die sich anfangs dagegen
wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte zwei
»Minderheiten« auf einem Posten unterbringen: Frauen und
CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer
Einheitsgewerkschaft, wie sie die DGB-Spitze verstand,
berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom
zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. »Frauen durften nur im
Rahmen der allgemeinen Konferenzen des DGB entscheiden, aber die
Bundesfrauenkonferenz selbst war dort nicht antragsberechtigt« (S.
95), beschreibt Plogstedt das Dilemma. Die Erwartungen des
männlichen DGB-Vorstands formulierte Kollege Karl auf der ersten
Frauenkonferenz des DGB: »Ich bitte Sie Ihre Anträge und Wünsche so
zu formulieren und zu adressieren, dass über ihre Konferenz
nachträglich nicht ungünstig beurteilt wird« (S. 95). Folge dieser
bürokratischen Eingriffe: »Beim zweiten DGB-Kongress verstummten
die Frauen« (S. 103). Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit
aktive DGB-Frauen meldeten sich bei den Gewerkschaftskongressen
kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der DGB-Frauengremien
spitzte sich erst Mitte der 60er Jahre wieder zu. Während dort eine
Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es
die Katholikin Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss
nach Außen zu vertreten.
Abqualifizierung linker GewerkschafterInnen
Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB
geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann. Man
entdeckt dort manche lange vergessene Episode der DGB-Geschichte
und stößt auf manche zu Unrecht vergessene Diskussion. So wird an
Claudia Pinls 1977 erschienene Schrift »Das
Arbeitnehmerpatriarchat« erinnert, die präzise die
antifeministischen Strömungen in den männlichen
DGB-Funktionärsetagen beschrieb. Manche Gewerkschafterin bemerkte
schon launig, dass das Ausmaß des gewerkschaftlichen Antifeminismus
größer sei als die Abwehr gegenüber Frauen in bürgerlichen
Organisationen. Es ist Plogstedts Verdienst, in ihrem Buch an diese
Debatten zu erinnern. Allerdings sollten auch die kritischen Punkte
in ihrem Buch nicht vergessen werden.
Mit der Konzentration auf die Organisationsgeschichte kommt die
gewerkschaftliche Basisbewegung, die immer auch von vielen aktiven
Frauen getragen wurde, deutlich zu kurz. So wird beispielswiese
Fasia Jansen, die im Ruhrgebiet jahrzehntelang viele
gewerkschaftliche Kämpfe begleitet hat, darunter die Streiks für
die 35-Stunden-Woche, in dem Buch gar nicht erwähnt. Immerhin wird
in einem kleinen Kapitel auf die Streiks der Heinze- und
Pierburg-Frauen für gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit
hingewiesen.
Könnte die Konzentration auf die gewerkschaftliche
Organisationsgeschichte vielleicht auch damit zu tun haben, dass in
den Streikbewegungen auch KommunistInnen oder LinkssozialistInnen
aktiv waren? Denn die werden im Buch entweder gar nicht oder nur
negativ erwähnt. Das zeigte sich an Plogstedts Darstellung
Kaltstellens der Gewerkschaftssekretärin Karin Roth. Die spätere
SPD-Spitzenfunktionärin Anke Fuchs brachte die Gründe gut auf den
Punkt: »Karin Roth wollte zu meiner Zeit bei mir eingestellt
werden. Die war mir aber zu links. Die habe ich nicht genommen« (S.
376). Plogstedt teilt die Ansicht von Fuchs und anderen
Roth-KritikerInnen: »Roth zählte damals zu den Hoffnungsträgerinnen
der traditionellen Linken in der IG-Metall. Kaum jemand war so
umstritten wie sie« (S. 376). Der Terminus traditionelle Linke war
damals zu einem Kampfbegriff geworden, mit den
GewerkschaftsmitgliederInnen bezeichnet wurden, die für eine
klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik eintraten und dabei auch
zu Bündnisse mit Gruppierungen links von der SPD bereit waren. Dazu
gehörte Karin Roth, die seit 1972 SPD-Mitglied war, in den 80er
Jahren aber noch enge Kontakte auch zu linken Initiativen außerhalb
der SPD hatte. Erst in den 90er Jahren trat auch Karin Roth den
Marsch durch sozialdemokratische Organisationen an, war für einige
Jahre Senatorin in Hamburg und danach Staatssekretärin in der
rot-grünen Bundesregierung.
Plogstedt zeigt in ihrer Geschichte der DGB-Frauen auch, welch
eingeschränktes Verständnis von Einheitsgewerkschaft in der
Funktionärsetage von Anfang an dominierte. Während in der Gestalt
von Maria Weber die christdemokratische und christsoziale
Komponente auf der Führungsebene in einer Person vertreten war,
galten LinksozialistInnen oder gar KommunistInnen als Kräfte von
außen, die die Gewerkschaften vereinnahmen wollten und daher
bekämpft werden müssen. Dass sie genauso Teil der
Einheitsgewerkschaft DGB sein könnten wie Sozial- und
ChristdemokratInnen, kam der DGB-Führung gar nicht in den Sinn und
Plogstedt teilt diese Lesart weitgehend. So hat Plogstedt neben der
Geschichte der DGB-Frauen auch eine Geschichte des DGB-Apparates
geschrieben, die man kritisch lesen sollte.
Peter Nowak
Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der
DGB-Frauen (1945- 1990), Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 519
Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-83792318-6
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