Rezension zu »Wir haben Geschichte geschrieben« (PDF-E-Book)

Junge Welt am 16. Mai 2014

Rezension von Michael Zander

Linke ausgeblendet

Gewerkschafterinnen im Kalten Krieg: Sibylle Plogstedt hat eine Studie über aktive Frauen im DGB der alten Bundesrepublik vorgelegt. Antikommunismus war Konsens

Von Michael Zander

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, geschlechterparitätische Besetzung von Gremien, Friedensengagement, Recht auf Schwangerschaftsabbruch – Themen, um die Gewerkschafterinnen seit Jahrzehnten kämpfen. Leider wird in der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung der Anteil der Arbeiterinnen nach wie vor nicht hinreichend gewürdigt. Umso verdienstvoller, daß Sibylle Plogstedt jetzt eine umfangreiche Studie vorgelegt hat, die sich dem Wirken der DGB-Gewerkschafterinnen zwischen 1945 bis 1990 widmet. Gestützt auf Interviews und Archivmaterial schließt sie damit eine Wissenslücke, denn thematisch vergleichbare Publikationen gab es bisher überwiegend nur zu den Einzelgewerkschaften. Eine Ausnahme war 1977 Claudia Pinls Buch »Das Arbeitnehmerpatriarchat: Die Frauenpolitik der Gewerkschaften«.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wehrten sich die »Mütter der Gewerkschaftsbewegung« vor allem gegen einen »Rückfall in familienpolitische Positionen des Nationalsozialismus«. Dies betraf etwa die »Zölibatsklausel« in der Tarifordnung für Angestellte von 1937, die eine »Entlassung der verheirateten Angestellten bei wirtschaftlicher Sicherstellung durch den Ehemann« vorsah und deren Abschaffung erst 1960 gelang. Ebenso fochten DGB-Frauen für die Gleichstellung der Geschlechter im Grundgesetz, die einem ersten Entwurf zufolge nur für die »staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten« hatte gelten sollen. Obwohl die weitergehende Forderung durchgesetzt wurde, sollte es noch bis 1977 dauern, bis in der BRD die Mehrzahl der Berufe für Frauen ohne Zustimmung des Ehemanns zugänglich waren.

In den 1960er und 70er Jahren beeinflußten die außerparlamentarische Opposition und die neue Frauenbewegung auch die innergewerkschaftlichen Diskussionen. Auf einer Konferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes SDS 1968 hatte Sigrid Rüger das Vorstandsmitglied Heinz-Jürgen Krahl mit Tomaten beworfen, um eine Debatte über frauenpolitische Fragen durchzusetzen. Ulrike Meinhof schrieb dazu Sätze, die noch heute aktuell sind: Die Frauen »haben klargestellt, daß die Unvereinbarkeit von Kinderaufzucht und außerhäuslicher Arbeit nicht ihr persönliches Versagen ist, sondern die Sache der Gesellschaft, die diese Unvereinbarkeit gestiftet hat. (…) Als die Männer darauf nicht eingehen konnten, kriegten sie Tomaten an den Kopf. (…) Die Reaktion der Männer (…) zeigte, daß noch erst ganze Güterzüge von Tomaten verfeuert werden müssen, bis da etwas dämmert.«

Die alltägliche Arbeit der Gewerkschafterinnen war weniger spektakulär. Plogstedts Auswertung von Sitzungsprotokollen zeigt zermürbende Auseinandersetzungen mit dem Apparat, allerdings dürfte die sehr detaillierte Darstellung auch das Lesepublikum ermüden. Oft genug waren die DGB-Frauen, mehrheitlich Mitglieder von SPD und CDU, nur »Nachzüglerinnen« oder gar Gegnerinnen der autonomen Frauenbewegung, etwa in der Debatte um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Der Autorin unterläuft hier ein Lapsus, wenn sie in einer Überschrift die kriminologische mit der »eugenischen« Indikation verwechselt, also irrtümlich Schwangerschaftsabbruch nach Vergewaltigung und bei der vermuteten Behinderung des späteren Kindes miteinander vermengt.

Die Autorin war in den 1960er Jahren Mitglied des SDS, wegen Kontakts zur »Bewegung der Revolutionären Jugend« für eineinhalb Jahre in der CSSR inhaftiert und 1976 Mitbegründerin der Frauenzeitschrift Courage. Sie schrieb Bücher mit Titeln wie »Der Kampf des vietnamesischen Volkes und die Globalstrategie des Imperialismus« und promovierte über »Arbeitskämpfe in der sowjetischen Industrie 1917–1933«. Ihre linke Vergangenheit scheint sie allerdings weitgehend abgestreift zu haben. Ihre Darstellung der DGB-Geschichte verbleibt in den engen Grenzen christ- und sozialdemokratischer Sichtweisen. Unkommentiert gibt sie Aussagen einiger ihrer Interviewpartnerinnen wieder. Eine lobt beispielsweise eine IG-Metall-Broschüre zum 8. März, dem Internationalen Frauentag: »Das war eine große Argumentationshilfe. Man konnte endlich die ganze sozialistische Orientierung aus der Diskussion wegblenden.«

Sozialistinnen und Kommunistinnen kommen bei Plogstedt so gut wie nicht vor. Die DGB-Frauenarbeit, resümiert die Autorin, »ist ein Beleg dafür, daß der lange Marsch durch die Institutionen für Frauen Sinn macht, wenn sie Strukturen dauerhaft verändern wollen«. Man kann aus dem Buch auch den ganz anderen Schluß ziehen, daß Gewerkschafterinnen sich über Jahrzehnte hinweg an schwerfälligen Strukturen abarbeiten mußten, daß sie sich, jenseits konkreten Widerstands gegen Mißstände, teilweise in den antisozialistischen Konsens haben einbinden lassen – und daß sie zum Erfolg immer wieder die Impulse der Genossinnen aus der radikalen Frauenbewegung benötigten.

Sibylle Plogstedt: »Wir haben Geschichte geschrieben.« – Zur Arbeit der DGB-Frauen (1945–1990). Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 519 Seiten, 19,90 Euro

www.jungewelt.de

zurück zum Titel