Rezension zu (Queer-)Feministische Psychologien

Zeitschrift für Sexualforschung Heft 2 27. Jahrgang Juni 2014

Rezension von Catharina Schneider

Anna Sieben, Julia Scholz. (Queer-)Feministische Psychologien. Eine Einführung

Die vorliegende Einführung in (queer-)feministische Psychologien gibt einen Überblick über die historische Entwicklung und die aktuelle Forschung an der Schnittstelle zwischen feministischen, queeren und psychologischen Anliegen. Die Autorinnen verbinden die akademischen Disziplinen der Psychologie und der Gender Studies, wobei sie queerfeministische Psychologien im Spannungsfeld zwischen »Kritik mithilfe der Psychologie« und »Kritik an der Psychologie« konzipieren (S.7).

Die Autorinnen betrachten queer-feministische Psychologien als einen Sammelbegriff, unter dem unterschiedliche, bisweilen inkompatible Forschungsansätze zusammengefasst werden (S. 7). Diese verpflichten sich dem politischen Anliegen des Feminismus und des Queer-Aktivismus und richten sich somit gegen Ungleichheit und Unterdrückung anhand der Kategorien Geschlecht und Sexualität. Die Autorinnen listen eine Reihe von Merkmalen queer-feministischer Psychologien auf. Hierzu zählt u. a. die Auseinandersetzung mit den Phänomenen Sexualität und Geschlecht bezogen auf Normativität und Macht. Auch sollen Essentialisierungen vermieden und Dekonstruktion sowie Selbstreflexion der eigenen Forschung angestrebt werden. Zu guter Letzt sollte die Verwobenheit mit anderen sozialen Kategorien wie Klasse, »Rasse« und Alter berücksichtigt werden (S.1 7f). Die Autorinnen räumen ein, dass keine der von ihnen vorgestellten Psychologien allen diesen Idealen gerecht werden kann, sie bieten jedoch verschiedene Anknüpfungspunkte für Forscher_innen unterschiedlicher Richtungen.

Das Buch ist nachvollziehbar in zwei Teile gegliedert. Die Anordnung der Kapitel erscheint anhand der historischen Entwicklung schlüssig, angefangen bei den Psychology-of-Women-Vorhaben, die in den 1970erJahren entstanden sind, bis hin zu aktuellen dekonstruktivistischen und queeren Ansätzen. Oft werden die Kapitel mit einer kritischen Einschätzung der Autorinnen abgeschlossen, was die Vielfalt der vorgestellten Forschungsrichtungen unterstreicht, sowie ihre Vor- und Nachteile beleuchtet.

In Teil I wird der begriffliche, wissenschaftstheoretische und institutionelle Rahmen erläutert, in den queer-feministische Psychologien eingebettet sind. Dazu werden zunächst die Begriffe queer, feministisch und Psychologie diskutiert und in Zusammenhang gebracht. Im zweiten Kapitel wird die Vereinbarkeit von Psychologie und queer-feministischen Politiken untersucht, bevor auf die institutionelle Situation im anglo-amenkanischen und deutschen Raum eingegangen wird. Hier werden Dachverbände und Zeitschriften vorgestellt, wie u. a. Psychology of Women Quaterly, Psychology’s Feminist Voices, und Psychology and Sexuality, wobei wieder deutlich wird, dass der anglo-amenkanische Raum eine Vorreiter-Stellung in diesem Feld einnimmt. Es wird kurz gesondert auf queere und LGBTI (lesbian, gay, bi-, trans-, intersexual) Psychologien sowie Bezüge zu nicht-westlichen Ländern und zur Psychoanalyse eingegangen. In Teil II führen die Autorinnen in die einzelnen Forschungsrichtungen queer-feministischer Psychologien ein. Dazu gehören Psychology of Women (Kapitel 4), Forschungsarbeiten zu Geschlechterunterschieden und -gemeinsamkeiten (Kapitel 5), sozialpsychologische Kognitionsforschung (Kapitel 6), diskursanalytische, sozialkonstruktionistische und dekonstruktivistische Ansätze (Kapitel 7), sowie queere Perspektiven (Kapitel 8).

Das vorliegende Buch ist durch ein persönliches Herantasten an eine mögliche Schnittstelle zwischen Psychologie und queer-feministischen Anliegen gekennzeichnet. Anna Sieben und Julia Scholz haben zunächst in Deutschland Psychologie studiert. Ihr persönliches politisches Engagement in queerfeministischen und gesellschaftskritischen Anliegen ließ sie nach einer Möglichkeit suchen, diese beiden Bereiche miteinander zu verbinden (S.8). Dabei sind sie vor allem durch Auslandsaufenthalte im anglo-amenkanischen Raum auf ein institutionell etabliertes Feld von queer-feministischen Psychologien gestoßen, welches daher auch den größten Teil des Buches einnimmt. Auch wenn hierzulande ebenfalls zu entsprechenden Themen geforscht wird, so scheint das Feld bislang noch nicht institutionalisiert und ausreichend erschlossen, weshalb sich diese Einführung laut Autorinnen explizit an Psycholog_innen und andere Interessierte aus den mit Geschlechtlichkeit und Sexualität befassten Sozial- und Kulturwissenschaften richtet (S. 9).

Psycholog_innen, die Geschlecht als unabhängige Variable standardmäßig in ihre Untersuchungsdesigns aufnehmen, finden in Kapitel 6 und 7 Anregungen, wie sie mithilfe quantitativer Forschungslogiken (queer-)feministisch inspirierte Forschung betreiben können. In Abschnitt 7.5 »Dekonstruktion als Kritik« werden Möglichkeiten zu Selbst- und Fach-Reflexion aufgezeigt und ein kleiner Einblick in die Möglichkeiten anderer (qualitativer) Forschungslogiken geboten.

Für die Mainstream-Psychologie wird als dominantes Wissenschaftsverständnis empirischer Falsifikationismus (Poppers Falsifikationsprinzip und Positivismus) und naiver Empirismus postuliert, an dem mittels queer-feministischer Perspektiven Kritik geübt werden kann (aber nicht muss). Scholz und Sieben unterscheiden dabei zwischen feministischen Psychologien mit und ohne explizit kritische Wissenschaftstheorie. Beispielsweise kritisieren die vorgestellten Forschungen zu Psychology of Women, Geschlechterunterschieden und -gemeinsamkeiten sowie sozialpsychologischen Fragestellungen zwar Androzentrismen in der Mainstream-Psychologie. Dabei wird die Wissenschaftstheorie als solche aber nicht infrage gestellt, sondern vielmehr an ihre eigenen Ideale der Werturteilsfreiheit appelliert (S.35). Die Autorinnen diskutieren aber auch Max Webers Werturteilspostulat in Zusammenhang mit feministischen Anliegen in der Psychologie und stellen Forschungsvorhaben mit explizit feministischen Wissenschaftstheorien vor. Zu diesen zählen Ansätze, die dem (feministischen) Empirismus, den Standpunkttheorien oder dem Postmodernismus zuzuordnen sind. Sie alle haben die Forderungen nach Verantwortlichkeit (für die eigene Wissensproduktion), die Einsicht in Perspektivengebundenheit von Wissen, die Aufforderung an Feminist_innen (natur-/wissenschaftliche) Forschung zu betreiben und Kritik an androzentristisch verzerrter und als objektiv ausgegebener Forschung, gemeinsam (S. 50). Dabei ist Kernanliegen der Autorinnen, dass es vielfältige Möglichkeiten zur Verbindung von psychologischen Forschungsinteressen und feministischen Anliegen gibt, und es nicht zwingend nötig sei, die eigene Forschungstradition radikal in Frage zu stellen und sein Wissenschaftsverständnis grundlegend zu verändern.

Wie an der Struktur des Buches zu erkennen ist, wird besonderer Wert auf die Vorstellung einzelner queer-feministischer Vorhaben innerhalb der Psychologie (oder psychologischer Methoden in queer-feministischen Forschungen) gelegt, wobei ein breites Spektrum an Disziplinen und Autor innen herausgezogen wird, auf denen Leser_innen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Forschungsinteressen zum Weiterlesen angeregt werden. Psycholog_innen werden dabei am direktesten angesprochen. Sozial- oder kulturwissenschaftliche Genderforscher_innen werden vielleicht weniger Neues zu Gender-Theorien und Gesellschaftskritik finden, so sie aber interessiert sind an möglichen Beiträgen der psychologischen Forschung zu Geschlechtergerechtigkeit und anderen queer-feministischen Anliegen, kann das Buch auch sie durch eine ausführliche und konkrete Zusammenstellung von Beiträgen zum Weiterlesen anregen. Dies ist einer der wenigen Kritikpunkte: Das Buch weckt Interesse, ist dabei aber mit seinen 163 Seiten so kurz, dass es die vorgestellten Themen oft nur anreißen kann.

Das Besondere an dem Buch ist, vor allem im Bereich der Psychologie, der persönliche Schreibstil. Diese den eigenen Standpunkt transparent machende Perspektive ist eher in den Gender Studies oder generell den Sozial- und Kulturwissenschaften anzutreffen, als in der Psychologie.

Ob Psycholog_innen feministische oder queere Anliegen in ihrer Forschung verfolgen wollen oder nicht, die in dieser Einführung vorgestellten (vor allem sozialkonstruktionistischen und dekonstruktivistischen) Ansätze rufen zu einem verantwortungsvollen und selbstreflexiven Umgang mit allen Forschungsvorhaben auf, in dem sie den aktivkonstruierenden Charakter allen (auch psychologischen) Wissens vergegenwärtigen.

Catharina Schneider (Wien)

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