Rezension zu »Wir haben Geschichte geschrieben«

GEW EuWiS. Zeitung ›Erziehung und Wissenschaft im Saarland‹ des Landesverbandes der GEW im DGB 06/2014

Rezension von Margarete Benzing

»Wir haben Geschichte geschrieben«

Die Geschichte der Frauen innerhalb der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung von 1945 bis 1990 und das Engagement ihrer Funktionärinnen für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zählen zu den bisher wenig erforschten und dokumentierten Bereichen innerhalb der Sozialgeschichte. Deshalb verdient das vor kurzem im Psychosozial-Verlag erschienene Buch von Sibylle Plogstedt besondere Aufmerksamkeit. Es ist in seiner thematischen Vielfalt und Zeitschau einmalig. Die Autorin hat dafür im Vorfeld die bisher unveröffentlichten Protokolle des DGB-Frauenausschusses und weitere Gewerkschaftsdokumente wissenschaftlich ausgewertet und mit führenden Gewerkschaftsfrauen jener Zeit ausführliche Gespräche geführt. Herausgekommen ist nicht nur eine gut lesbare, sondern zugleich spannend und kurzweilig geschriebene Sozialgeschichte abhängig beschäftigter Frauen in der Bundesrepublik, die weit über ein personelles »who is who« der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung hinausgeht. Im Rückblick wird erst richtig deutlich, wie zäh – aber letztlich auch erfolgreich – der Kampf der Großmütter und Mütter der heute jungen Frauen um soziale Anerkennung und Gleichstellung in Westdeutschland gewesen ist. Viele erinnern sich vielleicht zum Beispiel daran, dass erst nach 1977 verheiratete Frauen in der Bundesrepublik, die arbeiten gehen wollten, nicht mehr auf die Erlaubnis ihres Ehemanns angewiesen waren. Wer aber weiß schon – um nur ein weiteres Beispiel herauszugreifen – dass erst 1953 das sogenannte »Lehrerinnenzölibat« abgeschafft wurde? Bis dahin war Beamtinnen die Ehelosigkeit verordnet. Angestellten Lehrerinnen ging es, wenn sie verheiratet waren, kaum besser. Wenn sich in der Nachkriegszeit ihr Mann ebenfalls zum Schuldienst meldete, bedeutete dies das berufliche Aus für die Ehefrau. »Da ihr Ehemann entnazifiziert wurde, werden sie zum 1. Oktober aus dem Schuldienst entlassen.«

Sibylle Plogstedt verschafft uns einen sehr persönlichen Zugang zu den unterschiedlichen Lebensgeschichten der Vorstandsfrauen der Gewerkschaften und verknüpft diese Biographien mit den Positionen und Errungenschaften im Kampf um Gleichstellung der jeweiligen Zeit. Dabei wird auch die Stellung der Frauen innerhalb des DGB und in den Einzelgewerkschaften nicht ausgespart. Die Berührungspunkte mit der 68er Bewegung werden ebenso herausgestellt wie die Kontakte zwischen der neuen Frauenbewegung und den Gewerkschaftsfrauen.

Das Buch ist recht umfangreich, aber man muss es nicht von vorne bis hinten durchlesen. Es lässt sich wie ein Nachschlagewerk an beliebiger oder aber mit Hilfe des ausführlichen Inhaltsverzeichnisses auch an gezielt ausgewählter Stelle aufschlagen – und schon kann man eintauchen. Ein empfehlenswertes Buch, das am Beispiel der Gewerkschafterinnen allen interessierten Frauen und Männern ein Gefühl dafür vermittelt, welche Strecke abhängig beschäftigte Frauen in Westdeutschland in ihrem Ringen um Emanzipation bisher zurückgelegt haben. Sibylle Plogstedts Buch macht allen Frauen (und Männern) Mut, die immer und immer wieder neu um die Gleichstellung in unserer Gesellschaft kämpfen, die sich aktuell in die Auseinandersetzung um das Betreuungsgeld einmischen, die weiterhin die Forderung nach einer Quote hartnäckig zu ihrem Thema machen und die dafür eintreten, dass das in vielen Branchen immer noch nicht eingelöste Recht nach gleichem Lohn für gleich(wertige) Arbeit endlich Realität wird.

Margarete Benzing

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