Rezension zu Methode und Techniken der Psychoanalyse
Psychotherapeutenjournal 2/2014
Rezension von Gerhard Bliersbach
Buchrezensionen
Hardt, J. (2013). Methode und Techniken der Psychoanalyse. Versuche
zur Praxis.
Eine Patientin hat ihre erste Stunde. »Vorher ruft sie noch schnell
an«, beginnt Jürgen Hardt sein Beispiel einer psychotherapeutischen
Sitzung, »und möchte wissen, wo sie parken kann, weil es so
schwierig sei, einen Parkplatz zu finden. Gehört dieses Telefonat
zur ersten Stunde? Was ist mit der Begrüßung, dem oft schwierigen
Übergang von einer Alltagsbegegnung in das vom Alltagsverstand aus
gesehen fast absonderliche Arrangement?« (5. 9). Das Beispiel
stammt aus dem ersten Kapitel »Methoden und Techniken«; der Titel
dieses Kapitels ist der Titel seines Buches. Jürgen Hardt skizziert
in den nachfolgenden sechzehn unterschiedlich adressierten Texten
(Vorträge auf Tagungen, Beiträge für Publikationen) sein
Grundverständnis von psychoanalytisch orientierter Psychotherapie
als einer systematisch verfremdeten, ihre Subtexte explorierenden
Begegnung. Das Telefonat der Patientin gehört selbstverständlich
zum Kontext der psychotherapeutischen Stunde als Artikulation ihrer
nicht bewussten seelischen Bewegungen beim Aufsuchen einer fremden
Situation.
Mit seinen Texten unternimmt Jürgen Hardt seine Standortbestimmung
als psychoanalytischer Psychotherapeut sowohl in praktischer wie in
wissenschaftstheoretischer Hinsicht. In praktischer Hinsicht
unterscheidet er präzis zwischen der Methode und den Techniken:
Während die Methode die Handlungsseite der Theorie darstellt –
gewissermaßen deren forschende Suchhaltung –, sind die Techniken,
wie er sagt, systemneutrale (S. 86), geregelte Tätigkeitsformen im
jeweiligen Rahmen eines psychotherapeutischen Verfahrens
(beispielsweise: ambulante oder stationäre Psychotherapie;
soziotherapeutische oder Paartherapie). So gehört das Assoziieren
zu den Inhalten eines Traumes, von der theoriegeleiteten
Aufforderung angeregt, sich den Bewegungen psychischer Kontexte im
Dienst ihrer Untersuchung zu überlassen, wie auch die Exploration
der latenten Bedeutungen des Anrufens und Fragens nach einem
Parkplatz kurz vor der Stunde zu der psychoanalytischen
Forschungshaltung der Therapeutin oder des Therapeuten.
In wissenschaftstheoretischer Hinsicht plädiert Jürgen Hardt für
einen eigenen Status. Das psychoanalytische Vorgehen, sagt er,
»entzieht sich der Dichotomie von Geistes- und Naturwissenschaften,
ist mit Hermeneutik, auch Tiefenhermeneutik, nicht zur Gänze
fassbar, sie überschreitet die teilnehmende Beobachtung, weil sich
das Forschungssubjekt in den Prozess einbeziehen lässt« (S. 16).
Dessen wissenschaftliche Zukunft, schreibt er, bestünde nicht »in
der neurobiologischen Bestätigung, sondern darin, dass sie ihren
eigenen Gegenstand, das unbewusste Seelische, konsequent weiter
erforscht« (S. 109). Dagegen habe ich nichts einzuwenden; die
neurobiologische Forschung hat hinsichtlich unserer relevanten
Kontexte bislang die Befunde sozialisationspsychologischer
Forschung verdoppelt. Schwierig ist Jürgen Hardts Begründung des
eigenen wissenschaftstheoretischen Status. Zwei Autoren bietet er
für seine Argumentation auf: Sigmund Freud und Wilhelm Salber,
seinen Kölner Universitätslehrer, der mit seinem Konzept der
Gegenstandsbildung (1) eine auf die der Erfassung und
Systematisierung des seelischen Geschehens – ein Begriff des
Psychischen, den beide Autoren verwenden – zugeschnittene
Wissenschaftstheorie entworfen hat, die die Paradigmata der
Phänomenologie, der Gestaltpsychologie und der Psychoanalyse
eingearbeitet hat. In Sigmund Freuds letzter deutschsprachiger
Arbeit mit dem englischen Titel »Some Elementary Lessons in
Psycho-Analysis« (2) fand Hardt dessen Konzeption der Psychoanalyse
als Wissenschaft von der Natur des Seelischen. Aber beide Autoren
haben eine beschreibende, phänomenologische, selbstexplorative Form
der Erfassung seelischer Bewegungen bevorzugt und sind damit dem
geisteswissenschaftlichen Paradigma verpflichtet geblieben.
Insofern nimmt Jürgen Hardt eine wissenschaftstheoretisch weiter zu
begründende Position ein.
Jürgen Hardt hat eine sehr ambitionierte Publikation vorgelegt. In
einer Zeit forcierter Verdichtung unserer Tätigkeiten hat es die
Langsamkeit der explorativen Nachdenklichkeit schwer.
Psychotherapien sollen möglichst schnell und effektiv zugleich
sein. Aber seelische Prozesse sind natürliche Bewegungen mit
eigenen Rhythmen und eigenem Takt. Ihnen angemessen zu folgen –
dafür plädiert Jürgen Hardt; er favorisiert die psychoanalytisch
orientierte Erforschung im Tempo der Zeitlupe. Wer sich mit den
Komplikationen und dem Reichtum dieses Vorgehens beschäftigen will,
ist mit diesem Buch gut bedient.
Gerhard Bliersboch, Hückelhoven
(1) Salber, W. (1959). Der Psychische Gegenstand. Untersuchungen
zur Frage des psychologischen Erfassens und Klassifizierens. Bonn:
Bouvier.
(2) Freud, S. (1938). Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis.
In S. Freud, Gesammelte Werke (Bd. XVII, S. 139–147) Frankfurt a.
M.: Fischer.
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