Rezension zu Das unheimliche Sehen - das Unheimliche sehen (PDF-E-Book)
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Rezension von Kirsten Oleimeulen
Elke Rövekamp: Das unheimliche Sehen – das Unheimliche sehen
Die Bedeutung des Sehens im Kindesalter
Babys bevorzugen Menschen, die sie anschauen. Der Blickkontakt
ermöglicht eine nonverbale Kommunikation zwischen dem Baby und
einer Bezugsperson, lange bevor es sprechen kann. Wie wir auf
andere wirken wird zu 55% von der Körpersprache, zu 38% von unserer
Stimmführung und lediglich zu 7% vom eigentlichen Sprachinhalt
verursacht. Doch nicht nur im Miteinander und gegenseitigen
Austausch spielt das Sehen eine wesentliche Rolle. Auch die
motorische, die geistige und die sprachliche Entwicklung erhalten
über das Sehen wichtige Anreize. So wachsen mit zunehmender
Sehfähigkeit zum Beispiel auch die Neugier und das Interesse des
Babys für seine Umwelt. Es beginnt nach Dingen zu greifen, schaut
sich an, was es in den Händen hält und lernt seine Hände und
schließlich auch Augen und Hände immer besser zu koordinieren.
Sehen und Wahrnehmung
Die Funktion der Wahrnehmung besteht in der Vermittlung von
Information. Reize aus der Umwelt werden durch die Sinnesorgane dem
Organismus für mindestens zweierlei Vermögen zur Verfügung
gestellt: rationalem Denken, bzw. Urteilen und Handeln. Generell
ist die Wahrnehmungsfähigkeit individuell bedingt. So können z.B.
familiäre Faktoren und genetische Veranlagung ein besonders gutes
oder eingeschränktes Sehvermögen bewirken.
Genauso können auch psychologische Einflüsse (z.B. Stress,
Überlastung, Freude) die Sinnesorgane beeinträchtigen. Unsere
Wahrnehmungsorgane funktionieren also in einem komplexen
Wechselspiel mit den übrigen Funktionen von Körper und Gehirn.
Autorin
Dr. Elke Rövekamp studierte nach einer Ausbildung zur Keramikerin
Psychologie an der Technischen Universität Berlin. Sie war als
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin
und als klinische Psychologin im Maßregelvollzug der »Landesklinik
Teupitz« in Brandenburg tätig. Bis 2009 arbeitetet Sie in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie »Lahnhöhe« in Marburg und war seit
2010 niedergelassen in eigener Praxis in Gießen.
Aufbau
Das Buch »Das unheimliche Sehen – das Unheimliche Sehen« von Elke
Rövekamp setzt sich aus drei Kapiteln zusammen.
Zu 1. Kulturtheorie des Blicks
In diesem Kapitel wird die These diskutiert, dass aktuell eine
visuelle Zeitenwende stattfindet, die Ausdruck eines
Bedeutungszuwachses des Visuellen in der westlichen Kultur ist.
Dazu werden vier Aspekte herangezogen:
1.) die Verbreitung von Photographie und Film,
2.) Überwachung,
3.) die Digitalisierung der Bilder und
4.) die Diskussion über einen pictorial turn in der intellektuellen
Debatte.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Konsequenzen, die mit der
zunehmenden Digitalisierung von Bildern verbunden ist, da diese
neuen Möglichkeiten der Bildproduktion im Zentrum der These einer
Steigerung der Dominanz des Visuellen stehen. Die Ausweitung des
Sichtbaren aufgrund von Fotos und Filmen wurde anhand zweier Bilder
von einem Fötus und der Erde veranschaulicht. Die bedeutendste
Konsequenz eines solchen »technischen« Auges ist in der
Sichtbarmachung des vorher Unsichtbaren zu sehen. Dies könnte im
Betrachter Identifizierungen, objektlibidinöse und destruktive
Phantasien und Kontrollvorstellungen aktivieren.
Zu 2. Psychoanalyse des Blicks
a. Die prägenitale Logik des Blicks. Rövekamp stellt im Folgenden
die These auf, dass von einer prägenitalen Logik des Blicks
gesprochen werden kann. Mit diesem Begriff bezeichnet sie
Vorstellungen, Phantasien und Konflikte bezüglich der Augen und des
Sehens, die auf der oralen und analen Organisation der Libido
beruhen. Ausgehend von Freuds Ableitung des Sehens vom Tasten wird
die Möglichkeit diskutiert, dass das Sehen zum Ersatz der Berührung
werden kann. In der Beziehung zwischen Mutter und Säugling ist der
Blickkontakt mit dem Erleben von wechselseitiger Gratifikation und
Frustration verbunden. Riess vermutet, dass eine frühe Funktion des
Blicks der Mutter darin besteht, dem Kind eine grundsätzliche
Versicherung seiner eigenen und der Existenz der es umgebenden
Realität zu vermitteln. Wenn die Mutter durch ihren
Gesichtsausdruck Ärger und Ablehnung zeigt oder häufig abwesend
ist, das Kind nicht ansieht oder einen abwesenden, leeren
Gesichtsausdruck hat, kann das Kind existentielle Ängste
entwickeln. Weiterhin wird die Bedeutung des Spiegelstadiums zur
Einbindung des Kindes in die Familie und in die menschliche
Gemeinschaft diskutiert. Das Kind identifiziert sich mit dem
idealen Bild, das seine Eltern von ihm entwerfen.
b. Die phallisch-ödipale Logik des Blicks. Die phallisch-ödipale
Logik des Blicks wird in diesem Kapitel näher untersucht. Dies
beinhaltet eine Diskussion der Bedeutung des Blicks in der ödipalen
Beziehungskonstellation und in der Konfrontation mit der
Geschlechterdifferenz. Angesprochen sind damit die infantilen
Phantasien der phallischen Phase – in der bekanntlich die Frage der
Geschlechterdifferenz thematisiert wird, deren Antwort die
Kastrationstheorie ist, die ihrerseits – für den Jungen – zum
Untergang des Ödipuskomplexes führt. Die Kastrationstheorie der
Geschlechterdifferenz und der Ödipuskomplex sind damit untrennbar
miteinander verbunden. Rövekamp untersucht unter verschiedenen
Perspektiven die Theorie Freuds der Geschlechterdifferenz als eine
Geschichte des Blicks. Freuds Auffassung der Geschlechterdifferenz
beruht zum einen auf kulturellen Überzeugungen, die mit der
visuellen Wahrnehmung verbunden sind, zum anderen ermöglicht sie es
jedoch auch, die Voraussetzungen zu benennen, die den Blick des
Jungen und des Mädchens motivieren und ihm seine spezifische
Bedeutung verleihen und die Konsequenzen, die sich aus ihm
ableiten.
Zu 3. Bilanz und Perspektiven
Den Beitrag den die Psychoanalyse zur kulturtheoretischen Debatte
über das Visuelle leisten kann, besteht darin, dass sie einen
Zugang zur Bedeutung des Sehens/des Blicks für das Subjekt
eröffnen, und damit auch die Bedeutung von kulturellen
Umstrukturierungen des Visuellen verständlicher machen kann. Die
Frage, welche Sehweisen und welche Bilder die narzisstische Fiktion
der Fülle nähren, und welche diese Fiktion durchkreuzend, das
Begehren des Subjekts aktivieren und eine Anerkennung des anderen
möglich machen, bedarf dringend weiterer Forschung.
Zielgruppe
Das Buch »Das unheimliche Sehen – das Unheimliche Sehen« richtet
sich an psychoanalytisch interessierte Leser/-innen mit gutem
Vorwissen in diesem Bereich.
Fazit
Die veröffentlichte Dissertation „Das unheimliche Sehen – das
Unheimliche sehen“ von Dr. Elke Rövekamp verdeutlicht, dass die
visuelle Wahrnehmung sich nicht allein als entscheidende Grundlage
des Verhältnisses von Mensch und materieller Außenwelt betrachten
lässt. Sie nimmt auch einen großen Stellenwert in der
zwischenmenschlichen Beziehung ein. Ihre Bedeutung liegt in der
Erfahrung, einen anderen zu sehen und von ihm gesehen zu werden.
Beobachtungen dienen zur Kontrolle des Verhaltens und Aussehens,
verbunden mit den zentralen Affekten im Kontext des Sehens von Neid
und Scham. In diesem Zusammenhang wird Freuds Auffassung der
psychogenen Sehstörung, die prägenitale sowie die phallisch-ödipale
Logik des Blicks diskutiert. Das Sehen wird dem Lesenden durch
Kunstwerke, Geschichten, Mythen und Anamnesen (Medusa, Lady Godiva,
Baubos Entblößung, Schreber und der Blick zur Sonne) näher
gebracht.
Alles in Allem eine theoretisch sehr erschöpfende und umfassende
Arbeit, die dem psychoanalytisch interessierten Lesenden langes
Analysevergnügen bereitet. Aber auch der/die Praktiker/-in findet
in der einen oder anderen Fußnote sehr hilfreiche, aktuell
arbeitsrelevante Hinweise.
Rezensentin
Dr. Kirsten Oleimeulen
Psychologin – Familienberaterin, akkreditierte Psychologin für
Gesundheitspsychologie und Prävention (BDP), systemische
Familientherapeutin und Supervisorin, online-Beraterin für
www.kinderwelten.de
Zitiervorschlag
Kirsten Oleimeulen. Rezension vom 02.06.2014 zu: Elke Rövekamp: Das
unheimliche Sehen - das Unheimliche sehen. Psychosozial-Verlag
(Gießen) 2013. 436 Seiten. ISBN 978-3-8379-2313-1. In: socialnet
Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/16063.php, Datum des Zugriffs
05.06.2014.
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