Rezension zu Affekte (PDF-E-Book)
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Rezension von Jochen Schmerfeld
Hans-Dieter König: Affekte
Thema
Die Affekte sind für die psychoanalytische Theorie und Praxis in
den verschiedenen Feldern ein zentrales Thema. Trotzdem findet sich
bislang eine nur wenig befriedigende theoretische Beschäftigung mit
diesem Thema in der psychoanalytischen Literatur. Daher erscheint
es sinnvoll und notwendig den Versuch zu unternehmen, den
Praktikern Konzepte anzubieten, »aufgrund derer sie die im
therapeutischen Prozess zutage tretenden Affekte theoretisch
einzuschätzen und einzuordnen vermögen … « (8).
Autor
Prof. Dr. phil. habil. Hans-Dieter König, Magister der Philosophie,
Psychologischer Psychotherapeut, arbeitet als Psychoanalytiker,
Lehranalytiker und Supervisor in eigener Praxis in Dortmund und
lehrt Soziologie und Sozialpsychologie an der Johann Wolfgang
Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist als Band 10 der Reihe »Analyse der Psyche und
Psychotherapie« erschienen, die grundlegende Konzepte und Begriffe
der Psychoanalyse in ihrer historischen Entwicklung und dem
aktuellen Diskussionsstand behandelt.
Aufbau
Diesem Anspruch entsprechend wird zunächst die Geschichte der
Affekttheorie beginnend bei Freud über die neuere
Säuglingsforschung, Kernbergs Versuch der Vermittlung von
Ergebnissen dieser Forschung mit der Freud’schen Theorie bis zur
Mentalisierungstheorie von Fonagy u.a. beschrieben und diskutiert.
Abschließend werden Möglichkeiten des Verstehens von Affekten in
der psychoanalytischen Arbeit an Fallbeispielen dargestellt.
Inhalt
Zur Geschichte der Triebtheorie: Sigmund Freuds klinisch
entwickelte Affekttheorie. König beschreibt Freuds als Triebtheorie
entwickelte Theorie der Affekte anhand von zwei von Freud selbst
ausführlich dargestellten Krankengeschichten: der von Elisabeth von
R. und der des sogenannten Rattenmannes. Sowohl die Hysterie der
Elisabeth von R. als auch die Zwangsneurose des Rattenmannes würden
von Freud auf affektive Konflikte zurückgeführt und mit der Annahme
eines Lebens- und eines Todestriebs in Zusammenhang gebracht, was
vom Autor als eine philosophische Spekulation bezeichnet wird:
»Folgt man diesem theoretischen Begreifen Freuds, dann stellt sich
die Frage, ob man nicht auf die philosophischen und biologischen
Spekulationen zur Annahme eines Lebens- und Todestriebs verzichten
und sie durch eine Triebtheorie ersetzen kann, welche die neuen
Einsichten der klinischen Praxis in ein nachvollziehbareres und
plausibleres theoretisches Konstrukt übersetzt.« (46) Dieses genau
leiste die Reformulierung der Freud’schen Triebtheorie durch
Hartmann, Kris und Loewenstein, die von Spitz und Winnicott
weiterentwickelt worden sei mit dem Ergebnis: »das Konzept von
Libido und Aggression stellt sich daher als das Endprodukt einer im
Verlauf von mehreren Jahrzehnten aus der klinisch-empirischen
Praxis entwickelten psychoanalytischen Affekttheorie dar, welche
die vom Einzelnen empfundenen Affekte als Erlebnisweisen des Ichs
betrachtet, die sich auf die in der Körperlichkeit des Menschen
wurzelnden Triebe zurückführen lassen.« (54)
Von Affekten und Trieben – die Affekttheorie und die neuere
Säuglingsforschung. Mit Bezug auf Dornes referiert König die These,
die Ergebnisse der neueren Säuglingsforschung hätten die
Brauchbarkeit der Triebtheorie als grundlegende Motivationstheorie
der frühen Kindheit infrage gestellt, um sogleich aber diese These
in Zweifel zu ziehen und sich Kernberg zuzuwenden, der den Versuch
einer Vermittlung von Triebtheorie und Einsichten der
Säuglingsforschung gemacht habe. Dieser Versuch wird von König als
gescheitert betrachtet: »Obwohl Kernberg sich zu Recht darum
bemüht, Affekte und Triebe miteinander zu verknüpfen, ist sein
Vermittlungsversuch zum Scheitern verurteilt. Er setzt sich zwar
mit den Einsichten der empirischen Säuglingsforschung auseinander,
durchdenkt jedoch ihre Konsequenzen für die psychoanalytische
Theoriebildung nicht systematisch und integriert deren Erträge nur
oberflächlich durch eine freundliche Übernahme begrifflicher
Konstruktionen.« (65f)
Triebe und Affekte als Ausdruck des Gelingens von Individuations-
und Sozialisationsprozessen. Im nächsten Schritt beschäftigt sich
der Autor mit der von Fonagy u.a. entwickelten
Mentalisierungstheorie, die den Versuch einer Verbindung
psychoanalytischer Affekttheorie aus der Klein-Schule mit
kognitionspsychologischen Konzepten wie dem ›Theory of Mind‹
Konzept unternimmt. Weiter bezieht sich König auf Alfred Lorenzer
psychoanalytischer Sozialisationstheorie, die ebenso wie die
Mentalisierungstheorie Interaktionsprozesse betrachtet und die
Entstehung des Psychischen aus diesen Prozessen abzuleiten
versucht. König kommt ausgehend von diesen Theorien zu folgender
Beschreibung der Affektregulation: »Das Individuum lässt sich von
seinem intellektuellen Denken leiten. Es vermag Triebregungen in
sprachsymbolischen Interaktionsformen auszudrücken, sofern die zum
Bewusstsein drängenden Affekte im Einklang stehen mit der Moral,
die das Über-Ich und das symbolische Interagieren reguliert.« (90)
Dieses Kapitel abschließend versucht König die revidierte
Triebtheorie in interaktionstheoretischer Interpretation auf die
eingangs referierten Krankengeschichten der Elisabeth von R. und
des Rattenmannes zu beziehen und damit zu einer differenzierteren
Analyse zu kommen.
Das Verstehen von Affekten in der therapeutischen Arbeit. Das bis
dahin entwickelte theoretische Konzept der Affekte wird in diesem
Kapitel bezogen auf die Arbeit des Analytikers, also technisch
angewandt. Er entwickelt das Konzept von drei Modi oder Ebenen des
Verstehens: »Wenn der Analytiker den Sinn des Gesprochenen zu
verstehen sucht, dann tut er das als Erwachsener, der seine
begriffliche Intelligenz einsetzt, um die Logik der Mitteilung zu
verstehen. Wenn er sich auf das Nacherleben der vom Analysanden zum
Ausdruck gebrachten Affekte einlässt, dann greift er auf eine
Fähigkeit zur Empathie zurück, die das Kleinkind entwickelt,
welches die Bedeutung der Worte daran misst, mit welchem Affekt sie
zum Ausdruck gebracht werden. Und wenn der Analytiker szenisch
versteht, dann regrediert er auf die Erlebnisebene des Säuglings,
der sich mit der Mutter eins fühlt und das sensomotorische
Interagieren mit ihr aufgrund seines ›Bauchgefühls‹ versteht, durch
das er sich von ihrer Mimik und ihren Gesten anstecken lässt.«
(107) Diese Auffassung wird abschließend an zwei Fallbeispielen
illustriert.
Diskussion
So theoretisch plausibel König sein Konzept ableitet, es bleibt
dennoch oder gerade deswegen ein Eindruck von Künstlichkeit, rein
theoretischer Plausibilität. Insbesondere das letzte Kapitel, in
dem es um das Verstehen von Affekten in der psychotherapeutischen
Arbeit geht, wirkt doch wie ein mehr oder weniger gelungener
Versuch, das Chaos, mit dem wir in dieser Arbeit tatsächlich
konfrontiert sind und in dem wir uns zurecht finden müssen, in eine
theoretisch ansprechende, aber gleichwohl künstliche und leicht
zwanghaft wirkende Ordnung zu bringen. Nimmt man Bions Aussage,
dass es darum gehe, ›im emotionalen Sturm nicht unterzugehen‹, dann
wirken die Ausführungen von König einerseits euphemistisch und
andererseits sind sie vielleicht gerade seine Strategie den Kopf
über Wasser zu behalten.
Fazit
Das Buch bietet eine gute Zusammenfassung der Entwicklung der
psychoanalytischen Affekttheorien und damit einen bündigen
Überblick zum Stand der Theorieentwicklung zu diesem wichtigen
Thema. Ansätze einer vertiefenden und problematisierenden
Diskussion dieser doch vielfach vor dem Hintergrund analytischer,
psychotherapeutischer bzw. beraterischer Erfahrung als ungenügend
empfundenen Konzepte findet man allenfalls in Ansätzen.
Rezensent
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg
Zitiervorschlag
Jochen Schmerfeld. Rezension vom 02.06.2014 zu: Hans-Dieter König:
Affekte. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2014. 140 Seiten. ISBN
978-3-8379-2249-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245,
http://www.socialnet.de/rezensionen/16574.php, Datum des Zugriffs
05.06.2014.
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