Rezension zu Psychotherapie der Angst (PDF-E-Book)

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Rezension von Dr. Jeanne Rademacher

Egon Fabian (Hrsg.): Psychotherapie der Angst

Thema
Nachdem Fabian in seinem Vorgängerwerk »Anatomie der Angst« (vgl. die Rezension http://www.socialnet.de/rezensionen/13233.php) das Phänomen Angst in seiner Bedeutung für die Gestaltung des eigenen Lebens und als Ausdruck wichtiger individueller Bedürfnislagen beschrieben sowie seine klinischen Erscheinungsformen ausführlich begründet hat, begibt er sich nun als Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes auf den Weg, die theoretischen Grundannahmen zur Entstehung von Angst bzw. Angsterkrankungen um therapeutische Herangehensweisen zu bereichern. Diese legen das Hauptaugenmerk auf tiefenpsychologisch bzw. psychoanalytisch orientierte Behandlungskonzepte.

Entstehungshintergrund
Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um Vorträge im Rahmen einer Vortragsreihe zum Thema »Angst und Aggression«, die im Lehr- und Forschungsinstitut der deutschen Akademie für Psychoanalyse in München gehalten wurden und nun in Buchform publiziert wurden.

Aufbau
Das insgesamt neun Kapitel umfassende Buch beginnt mit einer Einleitung, in der Fabian den Leitgedanken des Sammelbandes sowie die einzelnen Beiträge überblicksartig skizziert. Alle in den Einzelbeiträgen präsentierten theoretischen Annahmen und therapeutischen Implikationen zeugen vom Verständnis existentieller Angst als Folge frühkindlicher Verlassenheitserfahrungen mit relevanten Bezugspersonen.

Beginnend mit einem Kapitel zur Bedeutung der Angst für die Psychotherapie der Frühstörungen stellt Fabian destruktive frühkindliche familiäre Beziehungsdynamiken als Traumatisierungen heraus und schlussfolgert daraus die praktische Bedeutsamkeit sowie Wirksamkeit gruppentherapeutischer Interventionen früh traumatisierter Personen.

Daran anschließend folgt ein Beitrag von Winkelmann, Witte & Weber zu ebenfalls gruppendynamischen Aspekten von Angst, der neben philosophischen, historischen und identitätstheoretischen Ausführungen des Angsterlebens Möglichkeiten der Nutzung gruppendynamischer Komponenten von Angst erörtert.

Die drei nächsten Beiträge beschäftigen sich mit der Beziehung zwischen Angst und Aggression: Fabian erörtert Hauptgründe dafür, weshalb sich in der frühen Entwicklung (vom Individuum) nicht verstandene bzw. (von den Bezugspersonen) nicht getragene Angst später als Aggression ausdrückt, Splete verweist in ihrem Beitrag auf die diagnostische Bedeutung von Träumen in der analytischen Gruppenpsychotherapie und stellt exemplarisch Traumberichte einer Patientin bzw. den Wandlungsprozess derselben anhand der Träume dar. Fabian und Thome diskutieren in ihrem Beitrag die in der Fachliteratur wenig Beachtung findende defizitäre Angst, die oftmals in Form von aggressivem Verhalten ausagiert wird. Sie betonen deren Bedeutung bei der Entstehung der sog. Antisozialen Persönlichkeitsstörungen und stellen in Fallvignetten die Wechselwirkungen zwischen unterdrückenden Beziehungsdynamiken in der Herkunftsfamilie, kulturellen Einflüsse und psychodynamischen Auslösemomenten dar, die im Sinne der Abwehr existentieller Angst destruktiv ausagiert werden und psychopathologische Verhaltensmuster befördern. Defizitäre Angst ist auch Hauptthema des nachfolgenden Beitrags von Fabian, hier jedoch in ihrer Bedeutung für die Arzt-Patient-Beziehung. Die Reflexion bzw. Analyse der in dieser Beziehung unbewusst ablaufenden Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse werde nach Aussage des Autors noch zu wenig in die medizinische Ausbildung integriert, wodurch das Risiko begünstigt wird, dass Ärzte mit eigener defizitärer Angst diese an ihre Patienten »delegieren«.

In zwei daran anschließenden Beiträgen werden dann explizit therapeutische Aspekte der Arbeit mit Angst in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt: Brück und Kaufmann illustrieren anhand zweier Fallbeispiele gruppendynamische Prozesse und therapeutische Entwicklungen einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen, deren Mitglieder destruktive Verhaltensmuster zeigen. Die Bedeutung der Therapiegruppe als Angstregulativ, Halt und Grenzen bietende sowie Identitätsentwicklung ermöglichende Instanz wird betont. Thema des Beitrags von Reitz ist die Bedeutung des Körpers in der Therapie von Angstsymptomen; sie beschreibt neben historischen Entwicklungen der psychoanalytischen Tanztherapie das besondere Setting, den Ablauf und die Indikation derselben, wiederum veranschaulicht durch ein konkretes Fallbeispiel. Abschließend zieht Fabian die Parallelen zwischen Angst und Depression sowie deren Genese und betont neben der Bedeutung des gruppentherapeutischen Settings sowie körperlichen Aspekts in der therapeutischen Kooperation erstmalig die der Ressourcen des Patienten.

Inhalt
Gemäß dem Untertitel des Buches »Theoretische Modelle und Behandlungskonzepte« widmet sich ein Großteil der Beiträge theoretischen Überlegungen zur Entstehung von Angstsymptomen bzw. Angsterkrankungen sowie sog. Persönlichkeitsstörungen.

Im ersten Kapitel zur Bedeutung von Angst für die Psychotherapie der Frühstörungen, in dem früheste Traumatisierungen wie physische bzw. sexuelle Grenzüberschreitungs- oder (emotionale) Verlassenheitserfahrungen als massive Verletzungen des Ur-Vertrauens und Quelle von Angst erläutert werden, konstatiert Fabian als wichtige therapeutische Aspekte die Reaktualisierung früher Angsterfahrungen in der interpersonellen Situation der Psychotherapie, die besondere Relevanz der Gruppentherapie als »therapeutische Wiederherstellung der Einbettung des Individuums in die alte historische Struktur der Gruppe« und die psychosomatische Bedeutung des Phänomens Angst, »die in der traditionell sprachlich betonten oder ausschließlich verbal verlaufenden Psychotherapie zu wenig berücksichtigt bleibt.«

Die Diskussion der Existenz konstruktiver Angst als Motor der Identitätsentwicklung und der Bedeutung der (Primär)Gruppe als identitätsstiftendes Moment leitet im zweiten Kapitel Keine Angst vor der Angst die Plausibilisierung der Angst als wesentlicher und unabdingbarer Bestandteil der »menschlichen Psyche« ein. Philosophische Überlegungen (Jaspers, Kierkegaard) zur Angst und deren Funktionen für das menschliche Dasein bilden den Hintergrund für die Bedingungsanalyse destruktiver bzw. defizitärer Angst als Ausdruck permanenter Ungeborgenheit und Unheimlichkeit in der Primärgruppe sprich Herkunftsfamilie. Ebenso wird die therapeutische Nutzbarmachung der gruppendynamischen Aspekte von Angst angerissen: die als Kind nicht erworbene Fähigkeit zum Erleben existentieller Angst wird in der (Therapie)Gruppe quasi nachholbar und somit kann aus abgewehrter oder defizitärer Angst (wieder) konstruktiv(e) (erlebte) werden.

In den nächsten drei Kapiteln werden Wechselwirkungen zwischen Angst und Aggression, deren kulturelle Wurzeln bzw. diese Beziehung moderierende patriarchalische Kulturtraditionen sowie Zusammenhänge zwischen Angst und (Dissozialer und Borderline-) Persönlichkeitsstörungen ausführlich diskutiert, wobei ein Kaptitel die Bedeutung von Träumen in der Therapie von Angst sowie Aggression thematisiert. Therapeutisch impliziert ist aufgrund der untrennbaren Verzahnung von Aggression und Angst der Fokus auf die defizitäre Angst, die nach diesem Verständnis hinter jeder Form der Aggression liegt und der sich der/die TherapeutIn jederzeit bewusst sein sollte, insbesondere vor dem Hintergrund der stattfindenden Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse. Dies macht allerdings erforderlich, dass der Therapeut sich seiner eigenen Ängste sowie der Abwehrmechanismen, die er im Umgang mit seinen Ängsten einsetzt, bewusst ist.

Die Relevanz unbewusster Prozesse als handlungsleitende Erwartungsmuster wird im Kapitel Angst und Aggression in Träumen näher beleuchtet. Die als Beziehungswissen im impliziten Gedächtnis gespeicherten frühen Beziehungserfahrungen/-muster, die in hohe Maße beziehungsgestaltend wirken, werden in ihrer Bedeutsamkeit für den therapeutischen Prozess dargelegt. Neben verschiedenen theoretischen Erklärungsmodellen (Träumen als Kontextualisierung von Affekten oder korrektive Entwicklungserfahrung usw.) wird die Analyse von Träumen als Ausdruck der unbewussten Dynamik von Primär- und aktueller Lebensgruppe in ihrer Funktion als wichtiges diagnostisches Werkzeug beschrieben und anhand eines konkreten Traumverlaufes erörtert.

Im dritten den Zusammenhang von Aggression und Angst explizierenden Beitrag »Defizitäre Angst, Aggression und Dissoziale Persönlichkeitsstörung« akzentuieren die Autoren das Verständnis der Verwobenheit ängstlicher und aggressiver Verhaltensanteile unter Rückgriff auf soziokulturelle Einflüsse, die über die Familie (z.B. Erziehungspraktiken) und direkt (gesellschaftlich anerkannte Rollenideale, Strukturmerkmale institutionalisierter Sozialisationsinstanzen, Medien) wirken und damit defizitäre Angst sprich letztlich destruktive Aggression quasi nähren. Im Beitrag Defizitäre Angst und die Arzt-Patient-Beziehung wird nochmals explizit die Verantwortung des Psychotherapeuten innerhalb der professionellen Kooperation zwischen Arzt und Patient begründet. Fernab der Betonung der eigenen Verantwortung des Therapeuten im Umgang mit den Ängsten der Patienten, die ein Bewusstsein über eigene Angstdynamiken voraussetzt, macht Fabian hier die zunehmende Demokratisierung dieser Beziehung zum Thema. Die sich hierdurch nach seinem Verständnis ereignende Verwischung von Grenzen sieht er als kritisch, da sie die Gefahr der Grenzenlosigkeit und des Verzichts auf »ödipale Auseinandersetzungen« birgt. Die Missachtung der unbewusst wirkenden Dimension, in der die »Vertikalität der Beziehung« weiterhin besteht, wird von ihm als »Verarmung der Beziehung« interpretiert.

Die beiden anschließenden Beiträge »Angst und Entwicklungsprozesse in der analytischen Gruppenpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen« sowie »Die therapeutische Arbeit mit Angst und Aggression in der analytischen Tanztherapie« sind neben dem Beitrag zur Nutzung von Träumen in der Therapie von Angsterkrankungen als genuine Beiträge im Sinne der Darstellung psychotherapeutischer Praxis zu betrachten. Vor dem Hintergrund kurz skizzierter entwicklungspsychologischer Aspekte von Angst (Bindungstheorie, Mentalisierungsfähigkeit) wird anhand von zwei Fallbeispielen der therapeutische Prozess des Begleitens von Kindern nachgezeichnet, jeweils ergänzt durch reflektierende Betrachtungen und schlussfolgernde Interpretationen. Abschließend werden therapeutische Grundhaltungen sowie Wirkfaktoren in der Gruppenpsychotherapie resümiert. Die Einbeziehung des Körpers in die therapeutische Arbeit als wichtigste Weiterentwicklung in der Psychoanalyse bildet den Kern des zweiten Beitrags, in welchem die Speicherung frühester Erfahrungen und somit auch Traumatisierungen im Körper und deren Auswirkungen auf eigenes Körpererleben und Körperselbst illustriert werden. Durch die Tanztherapie werden die Beeinträchtigungen in der eigenen Köperwahrnehmung nach einiger Zeit spür- und erlebbar und somit bearbeitbar.

Das Buch endet mit einem Beitrag zu »Angst und Depression aus tiefenpsychologischer Sicht«, in dem Angst und Depression als menschliche Phänomene beschrieben werden, die durch frühe Dynamiken gruppenabhängig entstehen und durch spätere Erfahrungen aktiviert werden sowie tiefe, unbewusste Konflikte beinhalten. Wichtige Grundaussage aller im Buch enthaltenen Beiträge ist einheitlich die elementare Bedeutung der dynamischen Einheit von Angst und Aggression und die Bedeutung der Beachtung derselben in der Therapie. Der hohe Stellenwert von Gruppentherapie wird ebenfalls in nahezu allen Beiträgen betont.

Diskussion
Der Haupttitel des Buches suggeriert, dass das Hauptaugenmerk auf der Therapie von Angsterkrankungen liegt. Auch wenn durch den Untertitel der Hinweis auf die Besprechung theoretischer Erklärungsmodelle gegeben wird, erwartet man auf den ersten Blick ein Buch für Praktiker. Das Buch widmet sich jedoch vorrangig einer theoretischen Herangehensweise ans das Thema Angst und bleibt was die therapeutische(n) Herangehensweise(n) anbelangt hinter den Möglichkeiten und auch Erwartungen zurück. Die relativ allgemein und eher unspezifisch gehaltene Art der Beiträge mag darin begründet liegen, dass es sich hier zumeist um Vorträge im Rahmen einer Vortragsreihe zum Thema »Angst und Aggression« handelt. So deuten die Beiträge meist nur an, in welche Richtung gearbeitet wird oder werden könnte. Ein echter Mehrwert des Buches im Sinne einer zielführenden und inspirierenden Darstellung des eigentlichen WIE der Therapie oder der Gestaltung der Beziehung zwischen TherapeutIn und PatientIn bleibt wenig erkennbar. Leider wird auch die aufgeworfene Frage danach, inwieweit eine therapeutische Kooperationsbeziehung auf Augenhöhe zwangsläufig mit Grenzlosigkeit einhergehen muss, an dieser Stelle nicht erschöpfend diskutiert, auch wenn dies ein durchaus guter Ausgangspunkt einer Diskussion der Psychotherapie von Angst wäre, die die besondere Bedeutung der Beziehungsebene zwischen TherapeutIn und KlientIn zum Thema macht. Es bleibt bei einer sehr einseitigen Beziehungsbeschreibung bzw. -dimensionierung und eine Gegenüberstellung bzw. Diskussion unterschiedlicher therapeutischer Grundhaltungen wie Direktivität und Transparenz im therapeutischen Prozess usw. bleibt außen vor. Bedauerlicherweise wird die Arbeit mit den Ressourcen des Klienten/Patienten an keiner Stelle näher ausgeführt, auch wenn sowohl im Kapitel zur Bedeutung der Träume die besondere Kraft unbewusster Prozesse als »kreatives Potenzial« betont und auch in Beiträgen des Herausgebers die Wichtigkeit der Arbeit mit den vorhanden Kompetenzen bzw. Ressourcen des Patienten erwähnt wird. Hier hätte eine vertiefende und konkretisierende Darstellung der Art und Weise der (Re)Aktivierung und Nutzbarmachung vorhandener Ressourcen durch konsequente Kompetenzfokussierung (wie z.B. in der systemischen Psychotherapiepraxis etabliert) eine neuartige Perspektive auf analytische Therapie geworfen. Insgesamt bleibt es in diesem Buch eher bei einer Zusammenschau thematisch ähnlicher Beiträge, die sich zwar stringent dem Thema Angst widmen, jedoch hinter der Erwartung einer umfassenden, tiefgründigen Betrachtung des Phänomens vor allem aus therapeutischer Sicht und daraus folgend konkreter Herangehensweisen zurückbleibt. In den einzelnen Beiträgen, selbst in den wenigen, die konkrete therapeutische Settings und Interaktionen erläutern, werden vorwiegend Entstehungs- sowie Aufrechterhaltungsmechanismen von Angstsymptomen dargelegt und ausführlich diskutiert. Statt einer inhaltlich aufeinander aufbauenden bzw. integrativen, kohärent wirkenden Betrachtung von Angst gelingt leider nur eine iterative Aneinanderreihung zwar teilweise recht interessanter, im Grunde aber oftmals sehr redundanter Ausführungen. Dies mag sicherlich dem Umstand geschuldet sein, dass es sich bei diesem Werk um eine einfache Verschriftlichung von Einzelvorträgen handelt, bleibt aber dennoch ein gewisses Manko des Buches.

Fazit
Insgesamt erfüllt der durch den Titel suggerierte Anspruch des Buches, die Psychotherapie der Angst zu illustrieren, möglicherweise nicht die Bedürfnisse eines an konkreten Herangehensweisen, Grundhaltungen, therapeutischen Methoden und Techniken interessierten Lesers. Vielmehr wird an den meisten Stellen das psychoanalytisch orientierte Vorgehen zwar als bedeutsam beschrieben, das genaue WIE und WOZU der therapeutischen Kooperation geschieht jedoch bis auf wenige Ausnahmen eher am Rande. So mag das Buch eigentlich am ehesten gewinnbringend sein für den an psychoanalytisch orientierten Erklärungsmechanismen von Angsterkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen interessierten Leser, aber weder für Insider der analytischen Community noch für Fachkollegen anderer therapeutischer Schulen, die wissen möchte, wie psychoanalytisch orientierte TherapeutInnen konkret arbeiten. Zusammenfassend lässt sich bilanzieren, dass für sich genommen interessante und ansprechende Beiträge vorliegen, so betitelt das Buch jedoch leider nicht ganz hält, was es verspricht.

Rezensentin
Dr. Jeanne Rademacher
Institut für Psychologie der Universität Magdeburg

Zitiervorschlag
Jeanne Rademacher. Rezension vom 14.05.2014 zu: Egon Fabian (Hrsg.): Psychotherapie der Angst. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2013. 143 Seiten. ISBN 978-3-8379-2299-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/15681.php, Datum des Zugriffs 15.05.2014.

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