Rezension zu Macht - Kontrolle - Evidenz
PW-Portal – Portal für Politikwissenschaft
Rezension von Björn Wagner
Klaus-Jürgen Bruder / Christoph Bialluch / Bernd Leuterer
(Hrsg.)
Macht – Kontrolle – Evidenz
Psychologische Praxis und Theorie in den gesellschaftlichen
Veränderungen
Eine Publikation der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP)
Der Band dokumentiert einen Fachkongress der Neuen Gesellschaft für
Psychologie (NGfP) aus dem Jahr 2011. Ausgangspunkt der Tagung
waren die gegenwärtigen multiplen gesellschaftlichen Krisen‑ und
Prekarisierungsprozesse und darauf aufbauend die Frage, welche
Rolle die Psychologie im Rahmen dieser Veränderungen spielt
beziehungsweise spielen sollte. Klaus‑Jürgen Bruder legt dazu
einleitend dar, wie die Psychologie faktisch als Legitimations‑ und
Verschleierungselement politökonomischer Veränderungen dient: Der
politisch hergestellte „Krieg gegen die Bevölkerung“ (19) –
darunter werden beispielsweise Prozesse wie Intensivierung der
Arbeit, Individualisierung, Unsicherheit und Prekarisierung
verstanden – sei auch deswegen politisch durchsetzbar, weil die
Bearbeitung der gesundheitlichen Folgen dieser »sozialen
Krankheitsherde« (21) auf die Psychologie abgeschoben und die
sozio‑politischen Rahmenbedingungen und Ursachen der genannten
Entwicklungen damit verdeckt würden. Problematisch sei dies nicht
allein aus Sicht der Individuen, denen die alleinige Verantwortung
für psychosomatische Erkrankungen zugeschanzt werde, sondern
gleichermaßen für die Psychologie selbst. Unterstützt durch
offiziell vorgegebene und permanent kontrollierte
Qualitätsstandards der psychologischen Behandlung habe sich eine
Trennung von Psychologie und Soziologie durchgesetzt: Der
Zuständigkeitsbereich der Psychologie sei auf den Bereich der
Bearbeitung individueller Probleme reduziert worden, die
gesellschaftlichen Ursachen würden ausgeblendet. Dies erschwere zum
einen für die Psycholog_innen eine kritische Reflexion der sozialen
Rahmenbedingungen und somit zum anderen auch eine umfassende
Behandlung der Patient_innen. Was dies im Einzelnen bedeutet,
diskutieren die Autor_innen des Bandes am Beispiel zahlreicher
gesellschaftlich relevanter Themen, unter anderem
Gesundheitspolitik, Arbeitslosigkeit und Prekarität, Einwanderung
oder Fremdenfeindlichkeit. Deutlich wird vor allem auch die
gewichtige Rolle der Massenmedien in diesem Prozess der
Individualisierung von Verantwortung. Das Buch ist indessen nicht
in erster Linie eine Selbstbeschreibung der Psychologie. Vielmehr
steht die Frage im Zentrum, wie, in wessen Interesse und unter
wessen Kontrolle gesellschaftliche Veränderungsprozesse ablaufen.
Insofern stellt der Band eine Einladung an Forschende aus der
Psychologie, Politikwissenschaft und Soziologie dar, den
Gegenstandsbereich ihrer eigenen Disziplin kritisch zu
reflektieren.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität
Jena.
Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Klaus-Jürgen
Bruder / Christoph Bialluch / Bernd Leuterer (Hrsg.): Macht –
Kontrolle – Evidenz. Gießen: 2012, in: Portal für
Politikwissenschaft,
http://pw-portal.de/rezension/37072-macht--kontrolle--evidenz_43138,
veröffentlicht am 15.05.2014.
http://pw-portal.de