Rezension zu Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen

trendinformationen für Führungskräfte der Sozialwirtschaft 04.14

Rezension von Susanne Bauer

Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen durch informelle Initiativen

Wie alle Organisationen verfügen auch Krankenhäuser über einen formellen Rahmen und über informelle Prozesse, welche die starren Strukturen umgehen und neue Spielräume eröffnen können. Diesen Mechanismus erforschen und beschreiben die Wissenschaftler María Crojethovic und Thomas Elkeles gemeinsam mit den Masterstudenten Sebastian Gütschow, Carolin Krüger und Tom Stender von der Hochschule Neubrandenburg in ihrer empirischen Studie »Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen«.

Die Studie an neun nordostdeutschen Krankenhäusern zeigt auf, wie sich bei Problemen und Herausforderungen im Klinikalltag informelle Initiativen herausbilden und welche Auswirkungen sie auf die Organisationsstruktur haben.

Die ersten drei Kapitel des Buches bilden den theoretischen Hintergrund der Untersuchung ab. Kapitel 1 liefert einen Überblick über den internationalen Stand der Forschung aus Sicht der Organisationssoziologie. Das zweite Kapitel beleuchtet die Theorie der Krankenhausorganisation, während das dritte sich deren Veränderung unter DRG-Einfluss widmet. Der zweite Teil der Publikation befasst sich mit der empirischen Untersuchung der Krankenhausorganisation in verschiedenen Kliniken. Kernstück des Buches ist das Kapitel 5, das auf rund hundert Seiten die Resultate der empirischen Untersuchung darstellt und erörtert. Im Folgenden werden die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt:

Die Untersuchung, die der Publikation zugrunde liegt, fand von Juni 2011 bis Dezember 2012 als gemeinsames Lehrforschungsprojekt der drei Masterstudiengänge des Fachbereichs Gesundheit, Pflege, Management der Hochschule Neubrandenburg in Kooperation mit dem Zentrum für Staats- und Gesellschaftsstudien in Buenos Aires, Argentinien, statt.

Die Daten wurden sowohl in Form von quantitativer Sozialforschung (standardisierter Fragebogen) als auch mittels qualitativer Sozialforschung (Experteninterviews) erhoben. Gegenstand der Untersuchung waren neun Krankenhäuser aus Mecklenburg-Vorpommern, die 30 Prozent der Plankrankenkrankenhäuser des Landes ausmachen und alle Trägertypen umfassen.

Der Fragebogen behandelte mögliche Probleme bei organisatorischen Gegebenheiten in den Abteilungen, Situationen in der täglichen Krankenhausarbeit sowie künftigen Herausforderungen und den damit verbundenen Veränderungsbedarf. Den Fragebogen beantworteten 338 Beschäftigte aus den neun Kliniken. Bei der qualitativen Erhebung mit ähnlichen Fragen wurden 24 Experteninterviews mit Ärzten und Pflegekräften aus sechs verschiedenen Krankenhäusern geführt.

Als vorrangige Probleme nannten die meisten Befragten den Zeit- und Personalmangel im Krankenhausalltag. Aber auch die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegepersonal, die ausufernden Dokumentationspflichten, der Mangel an Organisation und der betriebswirtschaftliche Druck wurden von vielen bemängelt.

Die Experteninterviews enthalten viele interessante Aussagen von Ärzten und Pflegekräften, die ihre persönliche Sicht der Probleme und Herausforderungen im Krankenhausalltag schildern. Eine Ärztin sagte beispielsweise zum Thema »Mehrarbeit«: »Das ist ja das Komische im Krankenhaus. Wir wollen Leute gesund machen und machen uns eigentlich selber krank, durch eine hohe Arbeitsbelastung« (S. 139).

Anhand des Datenmaterials sollte geklärt werden, ob als Folge der problematischen Situationen informelle Prozesse entstehen, welche die formalen Strukturen umgehen. Bei ihrer Datenerhebung haben die Forscher über hundert Initiativen gefunden, die darauf abzielen, »den durch vielfältige Probleme behinderten Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten« (S. 201). 61 Prozent der analysierten Handlungen waren informeller Natur, versuchten also, die Probleme außerhalb der bestehenden formalen Strukturen zu lösen. Die meisten Initiativen bezogen sich auf die Arbeitsorganisation, mit dem Zweck die Arbeitsabläufe möglichst effizient zu gestalten. Teilweise wird durch informelle Anpassungen versucht, die Dokumentationen zu vereinfachen und zusammenzufassen. In einem Krankenhaus gab es die informelle Absprache, dass Assistenzärzte einer Abteilung ihren Dienst früher beenden konnten, wenn genügend Personal da war und die Situation es erlaubte.

In acht Fällen wurden auch illegale Praktiken aufgedeckt, die aus der Not heraus geboren worden waren. Zum Beispiel verletzte eine Initiative die Grenzen des ärztlich vorbehaltenen Tätigkeitsfeldes, indem Pflegekräfte statt Ärzte über diagnostische präoperative Maßnahmen entschieden. In einem anderen Fall rief eine Ärztin für einen komplizierten Eingriff einen früheren Kollegen und jetzt niedergelassenen Kardiologen zur Hilfe, der letztlich die Operation selbst durchführte. Ein Haftungsschutz des Krankenhauses bestand für ihn dabei nicht.

Auch über »Upcoding«, also die Umcodierung einer Diagnose in eine höher vergütete Leistung, wurde in einem Fall berichtet. »Den Aussagen nach wurden die Assistenzärzte aufgefordert, eine solche Art von DRG-Kodierung durchzuführen; bei einer Verbesserung der Einnahmen werden diese dann mit Bonuszahlungen belohnt« (S. 191), heißt es in der Studie. Weitere informelle Regelungen verstießen gegen arbeitszeitrechtliche Bestimmungen, indem sie versuchten, den Personalmangel durch unerlaubte Mehrarbeit und das Einsparen von Pausen auszugleichen.

Darüber hinaus gab es 32 informelle Initiativen, die zwar nicht als illegal, aber als prekär eingestuft wurden. Ein Beispiel: »Aufgrund von Personalmangel und damit einhergehender Verdichtung des Arbeitsvolumens entwickelten Pflegekräfte als informelle Initiative eine Art Prioritätenliste ihrer zu erfüllenden Aufgaben nach Rangfolge der Dringlichkeit« (S. 197). Dabei kam es auch zur Modifikation, Verschiebung und Reduktion von Arbeitsprozessen. Unter Umständen könne dabei die Patientensicherheit leiden, so die Einschätzung der Wissenschaftler.

Mittel- bis langfristig können informelle Praktiken, die »selbst wiederum prekäre Situationen reproduzieren und nur höchst punktuell Abhilfe von drückenden Organisationsproblemen verschaffen« (S. 212), keine tragfähigen Lösungen für Probleme bilden. Bei den analysierten Initiativen zeigte sich nur wenig Innovationspotenzial, das auch auf andere Krankenhäuser übertragbar gewesen wäre. Echtes, langfristiges und positives Veränderungspotenzial für Krankenhausorganisationen konnte bei den informellen Initiativen nicht ermittelt werden, so das Fazit der Wissenschaftler.

Die Studie mit dem Titel »Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen. Formalität und Informalität in nordostdeutschen Krankenhäusern« (252 S., 29,90 €) von María Crojethovic, Sebastian Gütschow, Carolin Krüger, Tom Stender und Thomas Elkeles ist im Januar 2014 im Psychosozial-Verlag, Gießen, erschienen.

www.sozialbank.de

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