Rezension zu Der Soundtrack unserer Träume
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Rezension von Klaus Ludwig Helf
Der Soundtrack unserer Träume. Filmmusik und Psychoanalyse
Buch will eine Lücke schließen und einen Diskussionsprozess
entzünden – Ein Muss auch für jeden Kino-Fan!
Rezension von Klaus Ludwig Helf
Zwar gibt es auf dem Büchermarkt eine Fülle durchaus erhellender
Bände über Psychoanalyse und Kino; diese konzentrieren sich aber
weitgehend auf die Handlung und auf die Figuren eines Films,
während der Sound eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die
Ursache hierfür liegt vor allem darin, dass Freud selbst und lange
auch seine Epigonen mit Musik und Film nicht viel anfangen konnten;
in ihrem Kontext der Psychoanalyse als Wissenschaft standen Ratio
und das Triebhafte im Vordergrund; Gefühle und das schwer greifbare
Sinnliche und damit auch Musik und Film blieben weit mehr als ein
halbes Jahrhundert für die klassische Psychoanalyse ein eher
randständiges Thema; erst mit der Konzentration der Psychoanalyse
auf pränatale und frühkindliche Störungen und mit der
»intersubjektiven Wende« sowie der Musiktherapie nahm die
Beschäftigung der Psychoanalyse mit Musik und Film ihre
Anfänge.
Der vorliegende Band will hier eine Lücke schließen und einen
Diskussionsprozess entzünden. Einer der beiden Herausgeber vertritt
die sicher zutreffende These, dass »nach wie vor in der
öffentlichen Wahrnehmung die entscheidende Bedeutung der Tonspur
für die Wirkung eines Films immer wieder« unterschätzt werde;
zugleich gäbe es neben ästhetisch und kreativ gelungenen Beispielen
des Umgangs mit der Tonspur aber auch aktuelle negative Trends in
der zeitgenössischen Film- und Fernsehkultur: »… zum einen die
permanente Musikberieselung, die keinerlei Stille zulässt und alles
zukleistert, zum anderen die Verwendung vorgestanzter
elektronischer Versatzstücke, die nur schematisch eingesetzt werden
und bar jeder künstlerischer Kreativität sind« (S.9).
Als »Wurmfortsatz der Handlung« habe dann die Tonspur (Filmmusik)
»keinerlei künstlerisches Eigenleben«; darunter leide letztendlich
auch das Bild selbst. Im Vorwort des Bandes erläutern die
Herausgeber ihre Intentionen und geben einen knappen Aufriss der
folgenden sechszehn Fach-Beiträge; abschließend werden biografische
Angaben zu den folgenden Autorinnen und Autoren aufgeschlüsselt:
Stephan Brüggenthies, Helga de la Motte-Haber, Christina Fuchs,
Konrad Heiland, Johannes Hirsch, Mathias Hirsch, Matthias
Hornschuh, Andreas Jacke, Irene Kletschke, Hannes König, Sebastian
Leikert, Theo Piegler, Enjott Schneider und Willem Strank; alle
sind anerkannte Musikwissenschaftler und/oder Psychoanalytiker.
Der inhaltliche Bogen zur Rolle und Funktion von Filmmusik spannt
sich von ihrer Komposition über deren Wirkung – auch der von Stille
oder Geräuschen – bis hin zu ihrer Rezeption im Rahmen des
audiovisuellen Gesamtkunstwerks; die Themen sind u.a.: Wirkung und
Funktion von Musik im Film/ Musik der Bilder/ ästhetische Formen
der Filmkunst/ Musik und Stille im Film/ Stummfilm als
audiovisuelles Medium/ das Unheimliche in der Musik/ Notwendigkeit
musikalischer Begleitung zum bewegten Bild; zur praktischen
Illustration und Darstellung werden zahlreiche Filmbeispiele
herangezogen und seziert wie z.B. Vertigo (Hitchcock 1958), The
Shining (1980), The Dark Knight (2008), Antichrist (2009) und
Melancholia (2011).
Viele Filmtheoretiker haben längst die Bedeutung der Tonspur
erkannt und gewürdigt. So weist Helga de la Motte-Haber in ihrem
Beitrag über Stummfilme nach, dass der Film »von vorneherein als
ein audiovisuelles Medium« (S.69) konzipiert worden sei; Mathias
Hirsch begründet dies damit, dass die bewegten Bilder wegen ihrer
Hyperrealität ohne Geräusche und/oder Musik irritierend und
peinlich gewirkt hätten: »Ton und Musik mildern die platte Realität
der Bilder, können andrerseits auch Spannung aufbauen, positive
Gefühle (z.B. erotische) und negative wie Bedrohung durch Gefahr
und Unheimliches ausdrücken oder ankündigen« (S.18).
So geht Siegfried Kracauer in seiner Filmtheorie davon aus, dass
Musik und Geräusche die unmittelbare Realitätswirkung des Films
abschwächen und dem Film einen Rahmen setzen, in dem er als ein in
sich völlig abgeschlossene Welt rezipiert werden kann. Woher kommt
das? Worin liegen die Ursachen für dieses Phänomen? In der
psychoanalytischen Filmtheorie wird in Analogie zu Platons
Höhlengleichnis der Zuschauer in der Dunkelheit des abgeschlossenen
Kinosaals – vom Alltag und von der Außenwelt abgeschottet – in
einen pränatalen Bewusstseinszustand quasi in den Uterus versetzt;
dort ist das Ungeborene einer ständigen Geräuschkulisse, einem
akustischen Basis-Kontinuum, ausgesetzt: Stimme und Töne der
Mutter, Geräusche aus dem Innereren des Bauchs (Herztöne, Blut- und
Säfte-Zirkulation, Magen, Darm u.a.) und von außen (Töne,
Geräusche, Stimmen, Musik u.a.). »Auf das Kino übertragen kann man
sagen, dass erst durch den Klang das Filmerlebnis an Körperlichkeit
gewinnt und Klang eben auch eine körperliche Beruhigung des Ich
ermöglicht. In der quasi intrauterinen Situation Kino wirkt Stille
beängstigend und unnatürlich fremd. Die Stille hat also nichts mit
einem Gefühl der Unheimlichkeit zu tun, das durch Entfremdung oder
Verdrängung hervorgerufen würde. Sie knüpft vielmehr an basale
Verlustängste der frühen Kindheit an« (S.58).
Musikbegleitung entspricht demnach einem inneren Bedürfnis des
Menschen. Akustik kann im Film Spannung aufbauen (z.B. im
Horrorfilm) oder auch zur Lösung von Spannung beitragen: »Musik im
Film kann ähnlich wie ein Übertragungsobjekt wirken. Beängstigende
Filmsituationen werden durch die Musik harmloser gemacht. Ähnlich
dem Phänomen des Pfeifens und Singens im dunklen Walde oder Keller,
mit dem man die Stille und die unheimlichen Fantasien vertreiben
möchte, lässt Musik die übergroße Realitätswirkung des Films
zurücktreten uns macht schmerzliche Verluste und Bedrohungen in der
Filmwelt erträglicher« (S.61).
Konrad Heiland analysiert in dem vorliegenden Band die Rolle der
Musik im Filmschaffen von Stanley Kubrick vor: »Im Film als
multimedialem Kunstwerk können wir mit den Augen hören und mit den
Ohren sehen. In den Filmen des Ausnahmeregisseurs Stanley Kubrick
spielt sie eine Hauptrolle. Seine perfektionistische Besessenheit
zeichnet sich auch dadurch aus, dass er sich seine Filmmusik nicht
auf einen Stoff hin zuschneiden lässt, sondern auf vorhandene
Kompositionen zurückgreift …«(S.165).
Wie das Kino auch zu einer körperlichen Erfahrung werden kann, wird
deutlich an Coppolas Vietnam-Epos »Apokalypse Now« (1979); die
wiederholten Hubschrauberklänge entfalten ein suggestives
Potenzial, das sich tief in unser Gedächtnis eingräbt: » … von
hinten rechts über hinten links nach vorne links und vorne rechts …
der eindringliche Klang der Rotoren. Durch den Surround-Effekt
umzingelt er den Zuschauer im Kino von allen Seiten; er ist von dem
Geschehen eingefangen … Der Herzschlag beschleunigt sich,
Vibrationen breiten sich aus, der gesamte Körper wird zur
Resonanzfläche« (S.145/146).
Der Saarbrücker Psychoanalytiker und Psychotherapeut Sebastian
Leikert vertritt in seinem exzellenten Aufsatz die These, dass der
Gehalt der Filmkunst von der Ästhetik der Filmsprache her und nicht
von der erzählten Geschichte aus erschlossen und beurteilt werden
könne; die Wirkung gehe – so sagt er zu Recht – von der »Gesamtheit
des Gewebes« aus; die Kunstfertigkeit der Filmproduktion bestehe
also darin, den ästhetischen Prozess so zu gestalten, dass sich
eine »möglichst enge zeitliche Synchronisierung« zwischen
ästhetischem Fluss der Bilder und zu erlebendem Rezipienten
einstelle; die Filmmusik habe dabei eine entscheidende Funktion:
»Sie bildet den emotionalen puls des Kunstkörpers, welche Bild und
Erleben mit dem unauffälligen Stichmuster ihres Rhythmus
aneinandernäht. Auf diese Funktion baut sich die Bildermusik des
Kinos auf. Erst wenn wir die Bedeutung des Filmschnitts und des
Bildrhythmus für die ästhetischen Ritualisierung Vorgänge des Kinos
begreifen, begreifen wir Kino« (S.51).
Dem möchte ich nichts hinzufügen. Der Psychosozial-Verlag hat
wieder einmal ein rundum gelungenes Buch veröffentlicht, das nicht
nur den wissenschaftlich Interessierten zugänglich sein sollte,
sondern auch den vielen Kino-Freaks, die sich hier mit den
unbewussten filmischen und musikalischen Aspekten und
Wirkungsweisen des Films auseinandersetzen wollen; der Band ist
trotz seines hohen fachwissenschaftlichen Niveaus sehr gut lesbar
und verständlich geschrieben; die vielen Filmbeispiele illustrieren
plastisch und eindrucksvoll die psychoanalytischen Thesen und die
Rolle der Tonspur. Das Lesen des Buchs macht wieder Laune, die dort
erklärten Thesen und Theorien im Kino selbst wieder zu testen und
sich dabei wieder die besprochenen Filme sinnlich »reinzuziehen«.
Ein Muss auch für jeden Kino-Fan!
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