Rezension zu Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen

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Rezension von Werner Vogd

Maria Crojethovic, Sebastian Gütschow u.a.: Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen

Thema
Krankenhäuser stehen unter Druck. Vielleicht gehören sie gar einem Organisationstypus an, der in diesem Sinne ständig in der Krise ist, da stetig zu wenig Personal vorhanden ist, um sich den Patienten in dem Maße zuzuwenden, wie es aus menschlichen, pflegerischen und medizinischen Gründen zu wünschen ist. Zudem wird die Behandlung der Kranken im Rahmen des DRG-Systems auch verschärft unter ökonomischen Gesichtspunkten beobachtet, sodass sich Zielkonflikte zwischen professionellen medizinisch-pflegerischen und wirtschaftlichen Werten ergeben. Aus dieser Perspektive liegt es nahe, dass die Innen- und Außenspannungen, welche das Krankenhaus erfährt, vom Personal in einer kreativen Weise bearbeitet werden müssen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten – und genau hier setzt die vorliegende Untersuchung an. Am Beispiel nordostdeutscher Krankenhäuser wird gefragt und untersucht, welche Potentiale die gekonnte Verbindung von Informalität und Formalität für die erfolgreiche Aufrechterhaltung des Krankenhauses birgt.

Neben der empirischen Untersuchung, die auf einer quantitativen und einer qualitativen Erhebung beruht, wird in einer organisationssoziologisch gut fundierten Weise die derzeitige Lage des bundesdeutschen Krankenhauses aufgearbeitet.

Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch beruht einerseits auf einem Lehrforschungsprojekt, das Thomas Elkeles an der Hochschule Neubrandenburg mit Studentinnen und Studenten der drei Masterstudiengänge Gesundheit, Pflege und Management durchgeführt hat. Anderseits ist es inspiriert durch die Zusammenarbeit mit María Crojethovic, die bereits in einem Krankenhaus in Buenos Aires eine thematisch ähnlich gelagerte Untersuchung realisiert hat. Hierdurch klingt (zumindest am Rande) eine Perspektive an, mit der sich die Bedeutung informaler Praktiken kultur- und länderübergreifend pointieren lässt.

Aufbau und Inhalt
Kap. 1. Die Dimension der Organisation. Das vorliegende Buch beginnt mit einer Einführung in grundlegende organisationssoziologische Perspektiven, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Beziehung von Formalität und Informalität gelegt wird. Schon hier wird deutlich, dass Informalität nicht einfach als kulturelles Randphänomen einer ansonsten rational agierenden Organisation angesehen werden kann, sondern viel tiefer in alle Prozesse des Organisierens eingelassen ist. Dies ergibt sich allein schon aus dem formal nie vollständig auflösbaren Spannungsfeld zwischen Bürokratie und der professionellen Autonomie in Expertenorganisationen. Da zudem Konflikte zwischen unterschiedlichen institutionellen Logiken unvermeidbar seien, würden die Mitarbeiter – so die Autoren – nur dann zu einer »persönlichen Bindung« zu ihrer Organisation finden können, wenn sie »eine gewisse Nichtübereinstimmung mit der Institution« empfänden. Außerdem würden Organisationsziele nicht immer auf dem formal geregelten Wege gelöst werden können, weshalb Informalität als ein konstituierender Bestandteil von Organisationen selbst gesehen werden müsse.

Kap. 2. Zur Komplexität einer Krankenhausorganisation. Im zweiten Kapitel wird in Referenz auf wichtige deutschsprachige Studien der aktuelle Stand der Diskussion um die Besonderheiten und Eigenarten des Krankenhauses beleuchtet. Dies geschieht auf einem hohen Reflexionsniveau. So werden etwa die wegweisenden Arbeiten von Johann Jürgen Rohde ausführlich aufgegriffen und in Hinblick auf neuere gesellschaftliche Lagerungen erweitert.

Kap. 3. Die Krankenhausorganisation unter DRG-Einfluss. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Konsequenzen der fallpauschalisierten Abrechnung von Krankenhausleistungen. Dabei werden die Konsequenzen für die Krankenhausentwicklung aufgezeigt. Ebenso wird die Problematik der Fehlanreize beleuchtet.

Mit den ersten drei Kapiteln wird auf 91 Seiten eine fundierte wie auch reflektierte medizinsoziologische Einführung in die Problematik des gegenwärtigen Krankenhauses geliefert, die auch ohne die nachfolgende empirische Untersuchung für sich stehen könnte.

Kap. 4. Daten und Methodik der empirischen Untersuchungen. Für die quantitative Erhebung konnten 9 Krankenhäuer aus Mecklenburg-Vorpommern gewonnen werden, von denen wiederum 338 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den Bereichen Pflege, Medizin und Verwaltung zum Ausfüllen der Fragebögen bewegt werden konnten. In der qualitativen Erhebung wurden anschließend 24 Interviews mit Pflegekräften und Ärzten aus sechs verschiedenen Krankenhäusern geführt.

Kap. 5. Ergebnisse. Schon die quantitative Untersuchung eröffnet vielfältige Einsichten in die Spannungslagen, denen das bundesdeutsche Krankenhaus heutzutage ausgesetzt ist. Als wichtige Problemfelder erscheinen unter anderem Personal- und Zeitmangel, ein Zuviel an bürokratischen Regeln, ein sehr hoher Verwaltungsaufwand sowie das Problem, dass die Kommunikation und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Funktionsgruppen unter diesen Voraussetzungen leidet. Die qualitative Untersuchung spezifiziert diese Problemlagen und lenkt darüber hinaus den Fokus auf das eigentliche Ziel der Untersuchung, nämlich die Frage, wie die Innen- und Außenspannungen des Krankenhauses auch im Rückgriff auf informelle Lösungen bewältigt werden. Dabei zeigt sich eine Reihe von formalen wie auch informellen Initiativen, die sowohl von unten als auch von oben ausgehen und es zum Ziel haben, einige der typischen Spannungslagen zu bewältigen. Die Untersuchung zeigt zudem auf, dass viele der Initiativen im sogenannten »grauen Bereich« liegen, also einen rechtlich prekären, wenn nicht gar illegalen Charakter haben. Die Autoren vermuten, dass sie damit nur bedingt für die Ausgestaltung einer nachhaltigen Krankenhauskultur geeignet sind.

Kap. 6. Zusammenfassende Diskussion und Ausblick. In der abschließenden Diskussion werden die Ergebnisse nochmals explizit in Beziehung zur Ausgangsfragestellung gesetzt.

Diskussion
Das vorliegende Buch erscheint für unterschiedliche Zielgruppen interessant. Zum einen für all jene, die einen (durchaus fundierten) Einblick in die aktuellen Problemlagen des Krankenhauses gewinnen möchten. Dabei ist das im qualitativen Ergebnisteil dargestellte Interviewmaterial besonders illustrativ. Zum anderen bietet das Buch einen gelungenen Einstieg in eine organisationstheoretisch gut reflektierte Krankenhausforschung. Die Autorinnen und Autoren haben gezeigt, dass all dies durchaus auch in Form von Lehrforschungsprojekten in anspruchsvoller Form erstellt werden kann.

Fazit
Die vorliegende Untersuchung lässt deutlich werden, dass Informalität keinen Störfaktor darstellt, sondern gewissermaßen konstitutiv für den modernen Krankenhausalltag ist. Oder anders herum gesprochen: Die vielfältigen und oftmals inkommensurablen Anforderungen an die Mitglieder der Organisation Krankenhaus lassen sich nur dann bewältigen, wenn diese sich (gelegentlich) von den offiziellen Regeln entfernen. Wo genau die Grenze zwischen Akzeptablem und nicht mehr Tolerierbarem liegt, ist eine andere Frage, die im Anschluss an das Buch noch ausführlicher zu erörtern ist.

Rezensent
Prof. Dr. Werner Vogd
priv. Universität Witten Herdecke Fakultät für Kulturreflexion – Studium fundamentale – Lehrstuhl für Soziologie

Zitiervorschlag
Werner Vogd. Rezension vom 08.04.2014 zu: Maria Crojethovic, Sebastian Gütschow, Carolin Krüger u.a.: Veränderungspotenziale in Krankenhausorganisationen. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2014. 252 Seiten. ISBN 978-3-8379-2359-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/16267.php, Datum des Zugriffs 08.04.2014.



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