Rezension zu Richard Wagner. Der Ring des Nibelungen

Wormser Zeitung vom 6. Juni 2013

Rezension von Christian Mayer

Wenn Wagner ausflippt
06.06.2013 - Worms
Von Christian Mayer

STUDIE Diplom-Psychologe erkennt im musikalischen Werk die gespaltene Persönlichkeit des Komponisten
Der Diplom-Psychologe Bernd Oberhoff war am Dienstagabend mit der Lesung aus seinem Buch »Der Ring des Nibelungen – eine musikpsychoanalytische Studie« zu Gast im Mythenlabor. Oberhoff kennt sich aus im Bereich der Psychoanalyse, er hat neben Wagner unter anderem auch Mozarts Musik analysiert.

Der Psychologe führte den Begriff des »frühen Trennungstraumas« ein. Dieses bringe eine beklemmende Angst, in Stücke zu zerfallen, mit sich. »Das kann in späteren Jahren zu einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Albträumen, Depressionen und dissoziativem Abdriften in andere Bewusstseinszustände führen«, erläuterte Oberhoff. Die Frage, ob Wagner dazugehöre, beantwortete er mit einem klaren »Ja«. Grund dafür sind die Umstände von Wagners Geburt. »Rund um Leipzig herrschte Krieg. Das kann kaum eine genügend gute Fürsorge erwarten lassen.« Als Wagner ein halbes Jahr alt war, ist sein Vater gestorben. »Die Mutter war schlicht überfordert mit der Lebenssicherung ihrer Familie«, folgerte Oberhoff. Dadurch war Richard Wagner die Erfahrung einer mütterlichen Fürsorge nicht vergönnt. »Diese Tatsache spiegelt sich eindrucksvoll szenisch und musikalisch in seinen Werken wider.«

Als Beispiel dafür lässt er aus der Oper »Walküre« eine markante Szene laufen: Als Brünnhilde sich aus Mitleid gegen des Vaters ausdrücklichen Wunsch auf Siegmunds Seite schlägt, wird Göttervater Wotan zornig. »Wotan gerät in eine Wut, die er nicht mehr beherrschen kann. Erst in einer Schweigeszene beruhigt er sich.« Nur mit musikalischen Mitteln schafft Wagner die Rückverwandlung vom rasenden Wolf zum liebenswürdigen Wesen. »Der Hintergrund: Brünnhildes Ungehorsam bedeutete die Aufkündigung ihrer symbiotischen Einheit mit Wotan«, erklärte Oberhoff. »Ein sogenannter Flashback, in den Wotan hineingeraten ist. Was hat Wagner dazu veranlasst, eine solche Szene auf die Bühne zu bringen? Ist ihm das wütende Abdriften etwa vertraut?« Die Antwort des Diplom-Psychologen lautete klar: Ja. »Wagner sagte einmal: Wotan gleicht mir aufs Haar.« Als Beleg nennt Oberhoff die Szene eines Besuches von Wagners Schwiegervater Franz Liszt. »Richards Frau Cosima schreibt in ihrem Tagebuch, dass sie große Wehmut angesichts des Wiedersehens mit Liszt überfällt. Richard verstimmt das sehr und er vergeht sich in leidenschaftlichen Ausbrüchen Cosima gegenüber.« Wagner sei, salopp gesagt, ausgeflippt. »Jeder normale Mensch würde diese Situation mühelos bewältigen. Nicht so ein Mensch mit frühem Trennungstrauma. Wagner kann es nicht verkraften, einmal nicht im Mittelpunkt zu stehen.« Oberhoffs Fazit: Der große Dramatiker und Komponist war eine gespaltene Persönlichkeit mit traumatischen Kindheitserfahrungen.

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