Rezension zu »Wir haben Geschichte geschrieben« (PDF-E-Book)
Virginia Nr. 54, März 2014
Rezension von Claudi Pinl
»Wir haben Geschichte geschrieben«
Claudia Pinl über
Sibylle Plogstedt: »Wir haben Geschichte geschrieben«. Zur Arbeit
der DGB-Frauen (1945 – 1990). Psychosozial-Verlag 2013. 519 S., €
19,90
Die Soziologin und Journalistin Sibylle Plogstedt hat über die
Jahre die Ergebnisse mehrerer Forschungsaufträge, mit denen sie
betraut war, in Buchform veröffentlicht, darunter wegweisende
Arbeiten über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und über den
Funktionswandel von Frauenbetrieben. Jetzt legt die ehemalige
Mitherausgeberin der Frauenzeitschrift Courage einen über 500
Seiten starken Band zur Geschichte der bundesdeutschen
Gewerkschafterinnen vor. Es ist zugleich ein Stück sozial- und
gesellschaftspolitischer Geschichte Westdeutschlands von 1945 bis
1990. Denn es gibt kaum ein innenpolitisches Thema, vom
Mutterschutz bis zu den Notstandsgesetzen, mit dem die
Gewerkschafterinnen nicht befasst waren.
Die Autorin hat im Auftrag der gewerkschaftseigenen
Hans-Böckler-Stiftung Protokolle des DGB-Bundesfrauenausschusses
und zahlreicher Konferenzen von 1945 bis 1990 verarbeitet. Die
wissenschaftlichen Ansprüchen geschuldete Dokumentation der oft
jahrelangen Auseinandersetzungen um Nachtarbeitsverbot oder
Ladenschlusszeiten sind eher etwas für die historisch und
frauenpolitisch spezialisierte Leserin. Da Plogstedt aber auch
persönliche Nachlässe zur Verfügung standen und sie Interviews
mit Zeitzeuginnen führen konnte, gelingen ihr immer wieder
lebendige Porträts von Frauen wie der späteren stellvertretenden
DGB-Vorsitzende Maria Weber.
Die Gewerkschafterinnen der Nachkriegsgeneration waren oft selbst
Arbeiterkinder und kamen aus Elternhäusern mit antifaschistischer
Tradition. Als 1945 die Städte und Fabriken in Trümmern lagen,
kämpften diese jungen Frauen mit Millionen anderen um das nackte
Überleben.
Ruth Köhn, später im Vorstand der Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten, erzählt: »Mein Vater ... starb ein
Jahr nach Kriegsende in russischer Gefangenschaft. Meine Mutter
hat, weil sie nähen konnte, geschneidert. Ich habe ihr geholfen,
damit wir überhaupt was zu essen und zu trinken hatten.«
In den ersten von den Besatzungsmächten geförderten
gewerkschaftlichen Strukturen der Nachkriegszeit begannen viele der
späteren hohen Funktionärinnen ihre Karrieren als Schreibkräfte
für die männlichen Kollegen. In subalterner Position blieben sie
auch nach ihrem Aufstieg in die Funktionärsränge. Denn die
Frauenausschüsse, Frauenabteilungen und Frauenkonferenzen hatten
nach den Satzungen lediglich beratende und unterstützende
Funktion. In wichtigen Entscheidungspositionen wie Vorständen oder
Tarifkommissionen waren die Männer meist unter sich.
Der Frust, von den männlichen Kollegen immer wieder vertröstet zu
werden, wenn es zum Beispiel um die fundamentale Frage von gleichem
Lohn für gleichwertige Arbeit ging, führte bei den
Gewerkschafterinnen erstaunlicherweise nicht zu der Frage, ob frau
nicht mit autonomen Strukturen, sprich: einer Frauengewerkschaft,
besser bedient wäre. Plogstedt erklärt das mit der sozialen
Herkunft der Gewerkschafterinnen, die sich stärker der
traditionellen Arbeiterschaft verbunden fühlten als der eher
akademisch geprägten autonomen Frauenbewegung. Aber das Festhalten
am männerdominierten DGB und seinen Fachgewerkschaften hatte auch
ganz pragmatische Gründe. Bis in die neunziger Jahre hinein waren
die Gewerkschaften eine starke Kraft im bundesdeutschen
Politbetrieb. Anders als die neue Frauenbewegung waren sie präsent
in den Betrieben; und mit ihrer Hilfe ließen sich so manche
Verbesserungen auch für die erwerbstätigen Frauen durchsetzen,
von den vielen kleinen Siegen bei Rechtsschutzverfahren bis zu mehr
Frauenrechten im Betriebsverfassungsgesetz.
Der Feminismus hinterließ trotzdem Spuren. Ab den achtziger Jahren
begann man bei den Gewerkschaften ernsthaft über Quotierung
nachzudenken. Inzwischen ist es den Frauen im DGB unter heftigen
Kämpfen gelungen, aus ihrer gesonderten Position als
»Personengruppe« herauszutreten und sich ein ganzes Stück weit im
gewerkschaftlichen Mainstream der Vorstände und Tarifkommissionen
zu verankern. Leider erst zu einer Zeit, da die neoliberale
Umgestaltung der Gesellschaft die Gewerkschaften entschieden
geschwächt hat.
Claudia Pinl, geboren 1941, Journalistin und Publizistin, lebt in
Köln. Sie veröffentlichte 1977 »Das Arbeitnehmerpatriarchat«,
eine erste Auseinandersetzung mit der gewerkschaftlichen
Frauenpolitik aus feministischer Sicht.
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