Rezension zu Körper - Gruppe - Gesellschaft

Psychotherapeutenjournal 4/2013

Rezension von Jürgen Kriz

Thielen, M. (Hrsg.) (2013). Körper – Gruppe – Gesellschaft. Neue Entwicklungen in der Körperpsychotherapie

Dieser umfassende Band mit 32 Beiträgen von 29 Autorinnen und Autoren über Körperpsychotherapie entspringt einem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK), der im Spätherbst 2011 an der Freien Universität Berlin (FUB) stattfand. Wie auch durch viele andere Bände, welche in letzter Zeit das Thema »Körper« thematisieren, wird damit das stark gewachsene Interesse dokumentiert, das an einer Einbeziehung der körperlichen Prozesse in ein umfassenderes Verständnis von Psychotherapie (und ­pathologie) besteht. Es nimmt, wie Dirk Revenstorf in diesem Band betont, »nicht wunder, dass vornehmlich verbal orientierte Therapieformen wie Psychoanalyse, tiefenpsychologische Therapien und kognitive Verhaltenstherapie (...) zunehmendes Interesse zeigen, körperliche Zugänge zu Übertragung, Emotionalität, Abwehrmustern und unbewussten Inhalten suchen.« Haben doch jüngere Erkenntnisse der Evolutionspsychologie, Neurowissenschaft, Hirnforschung, Entwicklungspsychologie mit Babyforschung zu der Einsicht beigetragen, dass ohne essenzielle emotionale Beteiligung kaum etwas gelernt und behalten wird. Persönliche (sowie phylogenetische) Erfahrung wird zudem keineswegs nur im Zentralnervensystem gespeichert, sondern ist im gesamten Körper auf unterschiedliche Weise manifestiert und repräsentiert. Diese nicht neuronal repräsentierte Erfahrung interagiert und interferiert sowohl mit den neuronalen Prozessen und stellt z. B. auch für die Dynamik von bewussten und unbewussten Vorgängen andere Aspekte und Informationen bereit als das, was im deklarativen Gedächtnis vorliegt. Psychotherapie ohne starke Berücksichtigung dieser Zusammenhänge ist heute – zumindest auf internationalem Level – kaum mehr vorstellbar. Ein früherer Band des Herausgebers Manfred Thielen »Körper – Gefühl – Denken« (2. Aufl. 2010 im selben Verlag) stellt denn auch gezielt diese Aspekte mit dem Fokus auf die Selbstregulationsprozesse ins Zentrum, während im vorliegenden Band der Fokus auf Gruppenpsychotherapie – zumindest in den ersten elf Beiträgen – explizit gewählt wurde. Dieser ist für viele Leserinnen aber vielleicht besonders interessant, weil therapeutische Arbeit in der Gruppe hierzulande ebenfalls eher unterrepräsentiert ist.

Im ersten, gruppentherapeutischen Teil sei besonders der Beitrag von Ralf Vogt hervorgehoben, in dem es um körperorientierte Gruppenpsychotherapie mit komplextraumatisierten/dissoziativen Patienten geht – ein Setting und eine Vorgehensweise, die (im guten Sinne) »fragwürdig« erscheint, weil für diesen Patientenkreis Gruppenarbeit und zudem Körperpsychotherapie wohl selten empfohlen wird. Vogt, der zu dieser Arbeit bereits mehrere Bücher vorgelegt hat, zeigt aber, dass und wie so etwas möglich werden kann. Sein entwickeltes Konzept, durch »beseelbare« Objekte das Bedrohliche direkter menschlicher Konfrontation zu umgehen, lohnt sich jedenfalls, umfangreiche Aufmerksamkeit vom Fachgremium zu erfahren.

Mit sechs Beiträgen ist der Teil »Neue Entwicklungen in der Körperpsychotherapie« der zweitlängste. Die Relevanz der Befunde aus der neueren Säuglingsforschung für die Körperarbeit werden darin ebenso diskutiert wie Ansätze zur Exploration, Fragen der Indikation und Ergebnisse zur Wirksamkeitsforschung (deren aktuelle Position im deutschen berufspolitischen »Anerkennungskampf« am Ende des Bandes zwei weitere Beiträge darstellen).

Die beiden Teile »Körperpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen« und »Zur Repräsentanz des Weiblichen in der Körperpsychotherapie« mit je drei bzw. zwei Beiträgen greifen, wie die Titel sagen, spezifische Fragen und Anforderungen auf, die natürlich an jedes psychotherapeutische Verfahren zu stellen sind. Hier werden sie spezifisch auf die Körperpsychotherapie bezogen und so in den Diskurs eingebracht. Dazu passen ergänzend auch die drei Beiträge im Teil »Unterschiedliche methodische Zugänge in der Körperpsychotherapie«.

Unter dem Titel »Körperpsychotherapie im Kontext von gesellschaftlichem Wandel und Zeitgeist« spannen fünf Beiträge den Bogen zwischen der Geschichte des Dritten Reiches und seinen heute noch wirksamen »Täterintrojekten« (Tilman Moser) und den aktuellen Prozessen der inoffiziellen Einverleibung, aber offiziellen Ausgrenzung der Körperpsychotherapie, besonders durch die deutsche Richtlinienpsychotherapie (Dirk Revenstorf).

Insgesamt wird in diesem Band ein breites Spektrum aktueller Fragen und Befunde zur Körperpsychotherapie auf einem durchgehend hohen Niveau vorgestellt und diskutiert. Gleichwohl wird durch Hinweise auf Fallbeispiele, konkrete Handlungsansätze und therapeutische Übungen der Anforderung nach Praxisrelevanz eines Buches Rechnung getragen.

Wenn man etwas Kritisches anmerken will, dann die bei 32 Beiträgen wohl notwendige Kürze der einzelnen Texte: Manches hätte ich mir länger ausgeführt und breiter erörtert gewünscht. Und ein Register hätte den Informationswert nochmals erhöht.

Insgesamt dennoch ein gelungenes Werk, das hoffentlich dazu beiträgt, dass sich viele Psychotherapeuten auch in Deutschland stärker mit der Körperpsychotherapie auseinandersetzen.

Dr. Dipl.-Psych. Jürgen Kriz, Osnabrück

www.psychotherapeutenjournal.de

zurück zum Titel