Rezension zu Karl Abraham (PDF-E-Book)

Psychologie Heute April 2014

Rezension von Wolfgang Martynkewicz

»Immer etwas abseits«
Karl Abraham war Psychoanalytiker der ersten Stunde. Freud war ihm jedoch nicht sonderlich zugetan

Er wollte der Musterschüler sein, höflich im Auftreten, strebsam in der Aneignung des Stoffes, bereit, sein Leben ganz der Idee des von ihm verehrten Lehrers zu widmen: Karl Abraham.

Im Sommer 1907, da war er noch Assistenzarzt am Burghölzli, nahm er Kontakt mit Freud auf. Am 15. Dezember besuchte er den Meister in Wien. Kurz zuvor hatte er sich in Berlin als erster Psychoanalytiker Deutschlands selbständig gemacht.

Freud nahm ihn in die junge Bewegung auf, aber er mochte den Musterschüler nicht wirklich. Darin war er sich mit C. G. Jung einig, der Abraham 1907 mit den Worten avisierte: »nicht ganz sympathisch«, »immer etwas abseits«, »intelligent, aber nicht originell«.

Freud und Jung gaben den Ton vor, in den dann viele einstimmten. Ist es nicht auch bezeichnend, dass es bislang keine umfassende Biografie über Abraham gab? Karin Zienert-Eilts hat es nun gewagt: Die Analytikerin trug zahlreiche Dokumente zusammen, führte Interviews mit den Nichten Abrahams und durchkämmte die Forschungsliteratur.

Sie möchte ein »mehrdimensionales« Bild entwerfen, was nicht ganz einfach ist, weil rundherum positive Äußerungen über Abraham eher selten sind. Zur rettenden Formel wird für Zienert-Eilts der Ausdruck »Ambivalenz«. In Freuds »ausgeprägter Ambivalenz« sieht sie so etwas wie die Basis aller ambivalenten Urteile über Abraham. Aber lassen sich Freuds Äußerungen wirklich ambivalent verstehen? Zweifellos, er nannte ihn »integer« und bezeichnete ihn als seinen »rocher de bronze« (ehernen Fels). Doch gleich nach Abrahams Tod schrieb er an Ernest Jones, er habe ihn nur »scherzhaft« so tituliert.

Der stets formell gekleidete Abraham, der sich selbst im Sommerurlaub in Sils Maria in Anzug und Krawatte präsentierte, wirkte steif und distanziert. Er kam aus »kleinen Verhältnissen«: 1877 wurde er in Bremen als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Zeitlebens kämpfte er gegen ein Unterlegenheitsgefühl an. Freud schien das schon nach dem ersten Brief zu ahnen: »Interessant wäre es übrigens«, schrieb er an Jung, »die privaten Verhältnisse, aus denen sich solch eine Reserve entwickelt, kennenzulernen.«

Doch es gab auch widersprüchliche Strebungen: Zu Freuds Verdruss sympathisierte Abraham mit dem einstmals vergötterten und dann verstoßenen Freund Wilhelm Fließ. Zu den Merkwürdigkeiten gehört auch, dass er sich – gegen den Willen Freuds – für den Film Geheimnisse einer Seele starkmachte. Dass schließlich ein Dandy wie der Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz sich von Abraham verstanden fühlte, passt auch nicht so recht in das Bild des reservierten Menschen. Die Tragödie Abrahams war, dass er sich im Machtspiel dem »König« verpflichtet fühlte, er schützte ihn, bis er selbst »geschlagen« und aus dem Spiel genommen wurde.

• Wolfgang Martynkewicz

Karin Zienert-Eilts: Karl Abraham. Eine Biografie im Kontext der psychoanalytischen Bewegung

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