Rezension zu Die Scham, das Selbst und der Andere
demenz.Leben 20.2014
Rezension von MIchael Ganß
Jens L. Tiedemann: Die Scham, das Selbst und der Andere
Psychodynamik und Therapie von Schamkonflikten
»Wer kennt nicht das Gefühl, sich ›bis ins Mark‹ in Grund und Boden
zu schämen? (...) In solchen Momenten ist die Welt voller Augen,
die einen anstarren. Man fühlt sich wie unter einem
Vergrößerungsglas – den Blicken aller ausgesetzt. Und zwar nicht
als der, der man gerne wäre – sondern als der, der man in diesem
Moment ist: man fühlt sich allein, hässlich, unzulänglich,
ungeliebt und ohnmächtig.«
So beginnt Jens L. Tiedemann die Einleitung zu seiner umfangreichen
und spannenden Auseinandersetzung mit der Scham und beschreibt mit
dieser Aussage den Spannungsbogen, um den es geht. Das
Schamempfinden entsteht einerseits in der Auseinandersetzung mit
sich selbst, vielmehr aber entsteht es im zwischenmenschlichen
Beziehungsraum. Umso erstaunlicher ist, dass der Scham in
therapeutischen Zusammenhängen erst in jüngerer Zeit Bedeutung
zukommt.
Tiedemann gründet seine Betrachtungen auf die Psychoanalyse – sein
Plädoyer, therapeutische Prozesse als intersubjektives Geschehen zu
betrachten, gilt jedoch für alle therapeutischen und begleitenden
Professionen. Wie auch sein Augenmerk auf die Scham des
Therapeuten, die selten thematisiert wird. Den Praxisbezug stellt
er an vielen Stellen über kurze Fallvignetten her.
Michael Ganß