Rezension zu Das Fremde im Film (PDF-E-Book)
Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 33, 2014
Rezension von Peter Scheinpflug
Theo Piegler (Hg.): Das Fremde im Film. Psychoanalytische
Interpretationen
Die Klassifikation des hier vorzustellenden Sammelbandes als
Herausgeberschaft birgt manches Potenzial für Irritationen. Der
Sammelband besteht aus einer Einleitung und elf psychoanalytisch
perspektivierten Filmlektüren. Von diesen zwölf Beiträgen wurden
sechs von Theo Piegler, fünf von Hannes König und lediglich ein
einziger von Gabriele Ramin verfasst. Wie zumeist bei den Autoren
solcher Sammelbände handelt es sich bei Theo Piegler und Gabriele
Ramin um praktizierende Ärzte, während Hannes König als
Studienassistent an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt tätig
ist. Allen drei Autoren – auch dies ist durchaus konform mit
vergleichbaren Publikationen – ist ihre persönliche Leidenschaft
für Filme deutlich anzumerken. Verstreut findet diese immer wieder
Ausdruck in normativen Randbemerkungen, durch die das theoretische
Gerüst der Lektüren nicht nur aufgelockert wird, sondern durch die
dem Leser die Autoren auch nie als gleichsam ›fremde‹ Spezialisten
erscheinen. Stattdessen verstehen sich alle drei vortrefflich
darauf, durch leicht verständliche Erläuterungen der für die
Lektüren herangezogenen psychoanalytischen Modelle und durch
ausführliche Darstellungen der Filminhalte ihre cinephilen Leser
immer wieder bei deren liebstem Zeitvertreib abzuholen. Dies gilt
bereits für die Einleitung, in der Theo Piegler mit verschiedenen
Figurationen des Fremden unter dem Vorzeichen der Psychoanalyse
bekannt macht. Diese Skizze ist breit angelegt und reicht von der
Interdependenz von Irritation und Faszination über das Fremde als
Projektionsfläche bis hin zu kulturtheoretischen Überlegungen über
kulturelle Strategien der Inkorporation des Fremden. Durch viele
filmische und literarische Beispiele bietet diese Einleitung auch
einem Leser ohne Vorkenntnisse eine sehr unterhaltsame und
vielseitige Vermessung des thematischen Feldes. Darauf folgen die
elf Lektüren, die sich jeweils einem einzigen Film oder aber einer
Filmserie widmen. Die Auswahl der Filme ist insofern sehr
ausgewogen, als jüngere Filme wie The Curious Case of Benjamin
Button/Der seltsame Fall des Benjamin Button (USA 2008), Gran
Torino (USA/BRD2008) oder Die Fremde (BRD2010) neben wohl bekannten
Klassikern wie The Exorcist/Der Exorzist (USA 1973) oder Casablanca
(USA 1942) stehen. Zudem fällt besonders leserfreundlich auch die
einheitliche Strukturierung der Beiträge aus, da den Lektüren stets
eine knappe Inhaltsangabe des jeweiligen Films vorangestellt ist,
die die Handlung und die Figuren in eben denjenigen Strukturen
fokussiert, die für die nachfolgenden Ausführungen relevant sind.
Dadurch werden die Beiträge selbst denjenigen Lesern, die den einen
oder anderen Film noch nicht gesehen haben mögen, leicht
verständlich sein und schnell von ihren Deutungen überzeugen.
Wie pointiert diese Lektüren ausfallen, kann paradigmatisch an
Hannes Königs Auseinandersetzung mit der Twilight-Serie (USA
2008–2012) gezeigt werden: Der Autor eröffnet seinen Beitrag mit
der spitzfindigen Beobachtung, dass die vampirischen Protagonisten
der Serie, die Cullens, zwar wiederholt explizit klagen, dass ihr
Leben von Entbehrungen und der Maskierung ihrer Existenz vor den
Menschen bestimmt ist. Zugleich ist ihr Kleidungsstil, ihr modernes
Haus, mithin ihr Lebensstil auffällig extravagant und ihr Auftreten
auffallend theatralisch. Der Literatur- und Medientheorie ist
dieser Blick darauf wohl vertraut, dass das, was gepredigt wird,
und das, was hingegen performiert wird, auseinanderfallen können.
Hannes König legt im Anschluss an diese Detailbeobachtung
überzeugend dar, dass die Vampir-Familie der Cullens ein Panoptikum
von Narzissten darstellt. Jedes Familienmitglied figuriert in
Königs Lesart einen narzisstischen Persönlichkeitstyp, wobei
insbesondere Edward Cullen einer eingehenden Analyse unterzogen
wird. So entlarvt der Autor die Cullen-Familie als idealtypische
Darstellung von Freuds Familienroman des Neurotikers, Edwards
Kultiviertheit als übersteigerte Triebsublimierung und seinen
Masochismus als Machtphantasie eines Narzissten. Dies ist insofern
eine überraschende Perspektive, als König damit sowohl die
Opposition von Vampiren und Werwölfen ausblendet als auch die
Protagonistin Bella Swan als Screenfigur für Edwards
Unzulänglichkeiten einerseits und als Mutterersatz andererseits
perspektiviert. König liest die Vampir-Serie damit pointiert gegen
den Strich: Erzählt wird nicht eine Fantasy-Teenie-Romanze mit
happy ending, sondern die Regression in einen infantilen
Narzissmus.
In der Einleitung hatte Theo Piegler noch über den Erfolg der
Vampir-Saga reflektiert und einen Bezug zur Debatte über die
»Ego-Gesellschaft« (S. 14) hergestellt. Doch dies löst die
Filmlektüre selbst nicht ein. Und dies ist bezeichnend für den
Band. So sensibel die Autoren für Details und Friktionen in der
Handlung der Filme sind, so legen sie doch leider in den meisten
Beiträgen die Figuren der Filme auf die Couch. Schade ist dies gar
nicht so sehr, da dieses Verfahren mit manchen Spekulationen über
die Figuren jenseits dessen einhergeht, was uns die Filme erzählen.
Schade ist dies aber vor allem, da die Auswahl der Filme durchaus
auf ein Gespür für kulturwissenschaftlich interessante Filme
erkennen lässt, deren Verhandlungen, Repräsentationen und auch
deren Spiel mit Konventionen aber zumeist nur randständig behandelt
werden. In zwei Beiträgen zeigen die Autoren, was jenseits der
Deutung der Figuren-Psyche möglich gewesen wäre: Hannes König spürt
im Zuge seiner Ausführungen zu The Exorcist dem Konnex von
Exorzismus und Psychoanalyse nach und zeigt dabei die Produktivität
fantastischer Filme im Hinblick auf eine Auseinandersetzung mit der
Geschichte und den Methoden der eigenen Disziplin. Im anderen Fall
nimmt sich Theo Piegler anhand des Films Die Fremde, der von dem
zum Scheitern verurteilten Ausbruch einer Deutsch-Türkin aus einer
konservativen Familienstruktur erzählt, hochaktueller
Themenkomplexe wie Migration, häusliche Gewalt, Emanzipation und
Ehrenmord an und demonstriert dadurch, dass sich die Psychoanalyse
bei aktuellen Debatten nicht zu verstecken hat, sondern gerade in
Fragen des kulturellen Umgangs mit Sexualität manche
Deutungs-Angebote aufbieten kann. Obgleich der Band damit einen
profunden Beitrag zu einer Auseinandersetzung mit gegenwärtigen
gesellschaftlichen und kulturellen Fragestellungen leisten könnte,
sind die meisten Beiträge auf die psychoanalytische Deutung der
Figuren fokussiert.
Bereits in der Einleitung kommt der ›Herausgeber‹ in der
Gesamtschau seiner eigenen Beiträge zu dem folgenden Schluss: »Mit
der Besprechung dieses Streifens [Die Fremde, P.S.] endet mein
Beitrag zum ›fremden Fremden‹, das, wie alle Interpretationen
einhellig zeigen (und wie es ja auch nicht anders zu erwarten war),
letzten Endes immer Ausdruck des ›eigenen Fremden‹ und damit
unserer Ängste vor dem uns Nicht-Bewussten ist (S. 18).« Obgleich
dieses Resümee, wie es von Resümees und Thesen nicht anders zu
erwarten ist, die Ausführungen in den einzelnen Beiträgen in seiner
Zuspitzung simplifiziert, wird darin doch der Mangel angezeigt,
dass die Beiträge trotz ihrer thematischen Nähe und ihrer
wiederholten Verzahnung weder ein eigenes Modell entwerfen noch
einer Systematik folgen, die das fraglos komplexe Themenfeld des
›Fremden‹ in seinem Facettenreichtum nachzeichnet. So konzentriert
und spitzfindig einzelne Lektüren auch ausfallen mögen, in ihrer
Aneinanderreihung sind sie letztlich ermüdend. Der Sammelband hätte
dem Leser weitaus mehr Lesevergnügen und Erkenntnisgewinn geboten,
wenn man statt einer ›Ko-Autorschaft unter Mitarbeit von Gabriele
Ramin‹ sich weitere kluge Geister mit Filmbegeisterung als Autoren
eingeladen hätte, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden.
Der Band wäre dadurch womöglich weniger rund ausgefallen, doch eine
Offenheit sollte eigentlich ganz im Sinne des Themas und einer
möglichst aufgeschlossenen Auseinandersetzung damit sein.
Peter Scheinpflug