Rezension zu (Queer-)Feministische Psychologien (PDF-E-Book)
Freiburger literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 33, 2014
Rezension von Rolf Löchel
Anna Sieben und Julia Scholz: (Queer-)Feministische Psychologien.
Eine Einführung
Seit einigen Jahrzehnten wächst die Anzahl deutschsprachiger
Einführungen in queere und vor allem feministische Ansätze durch
diverse Wissenschaften, zwar langsam, aber doch stetig. So liegen
neben zahlreichen allgemeinen Grundlagenwerken zu feministischen
Theorien etwa Einführungen in die feministische
Geschichtswissenschaft, Politologie, Soziologie,
Rechtswissenschaft, Geographie, Philosophie, Theologie,
Kommunikationswissenschaft, Narratologie sowie in
Literaturwissenschaft und -theorie vor. Zu den Disziplinen, in
denen man bislang vergeblich nach einer solchen Einführung Ausschau
hielt, zählte die Psychologie. Dass nun auch diese Lücke
geschlossen wurde, ist Anna Sieben und Julia Scholz zu verdanken.
Gemeinsam haben sie einen Einführungsband in (Queer-)Feministische
Psychologien verfasst. Die Klammer im Titel des Buches zeigt an,
dass »[d]ie meisten der dargestellten Ansätze [...] präziser als
›feministisch‹ zu bezeichnen« sind (S. 7), wobei die Autorinnen
»queer-feministisch als eine bestimmte theoretische Ausrichtung des
Feminismus« (S. 17) und queere Ansätze als »Variante[n]« der
feministischen verstehen (S. 26), in denen dem »Konzept der
Heteronormativität« eine »zentrale Rolle« zukommt (S. 17).
Als Zielgruppen ihres Buches nennen Sieben und Scholz alle
»Interessierte aus den mit Geschlechtlichkeit und Sexualität
befassten Sozial- und Kulturwissenschaften« und natürlich
»Psycholog_innen« (S. 9). Der von ihnen verwendete Unterstrich ist
seit längerem in der Queer-feministischen Wissenschafts- und
AktivistInnen-Szene üblich. Meist wird er »als typographische
Umsetzung einer nicht eindeutigen Zuordnung zu einem Geschlecht«
eingesetzt (1) oder um mit dieser »Leerstelle zu symbolisieren«,
dass es »gegenderte Existenzen gibt, wie z. B. Intersexuelle oder
Transgender-People, die in dem dichotomen Zwangssystem keinen
anerkannten und begrifflich markierten Ort haben« (2). Sieben und
Scholz begründen die von ihnen ebenfalls präferierte Schreibweise
damit, dass der durch den Unterstrich betonte leere Raum zwischen
den beiden Buchstaben für das »Kontinuum zwischen Formen, die
klassisch als weiblich, und solchen, die klassisch als männlich
bezeichnet wurden«, steht (S. 9).
»Queer-feministische Psychologien«, erläutert das Autorinnen-Duo
im Vorwort, strebten zwar ausnahmslos die Ȇberwindung von
Ungleichheit und Unterdrückung, die an das Geschlecht und oder die
Sexualität einer Person geknüpft sind«, an, doch seien die
Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen wie in allen
Disziplinen so auch in der Psychologie »gravierend« (S. 7). Dass
dies keineswegs übertrieben ist, zeigt der im zweiten Teil des
Buches gebotene »Überblick über queer-feministische Psychologien«
der letzten vier Jahrzehnte (ebd.), in dem sich Sieben und Scholz
vor allem auf Forschungsansätze und deren theoretische
Hintergründe sowie auf »exemplarisch« vorgestellte empirische
Untersuchungen konzentrieren (S. 8), während sie nur gelegentlich
einen Blick auf die Praxisfelder queer-feministischer Psychologien
werfen oder einen Exkurs ins Gebiet der Psychoanalyse
unternehmen.
Diesem zweiten Teil ist ein dreigliedriger erster vorangestellt, in
dem die Autorinnen »das Feld queer-feministischer Psychologien
begrifflich, wissenschaftstheoretisch und institutionell« vermessen
(S. 10).
Die »[e]inleitenden Begriffsbestimmungen« (S.13–26) des ersten
Teils und die Anmerkungen zu den ihnen inhärenten Problematiken
sind weitgehend konzis. Eine Ausnahme mögen die Ausführungen zum
Postfeminismus bilden. Die Autorinnen übernehmen hier weitgehend
Angela McRobbies Verständnis, das allzu sehr auf eine
chronologische Abfolge von Feminismus und Postfeminismus abhebt.
Mit der Kulturwissenschaftlerin schlagen sie den Postfeminismus dem
»antifeministische[n] Diskurs« zu und lassen beide sogar zum
pluralen Terminus »anti/postfeministische[.] Diskurse« (S. 24)
zusammenschnurren. Instruktiver wäre es, ihn in Analogie zum
Verhältnis Moderne/Postmoderne als selbstreflexiven Moment des
Feminismus zu fassen, das kritisch über diesen hinausweist.
Im »Wissenschaftstheoretische Grundlagen« (S. 27–50) betitelten
Abschnitt stellen die Autorinnen mit Empirismus (vgl. S. 36–39),
Standpunkttheorien (vgl. S.39–41) und »Postmodernismus« (vgl.
S.41–45) »drei Ansätze feministischer Erkenntnistheorien« (S. 28)
vor und machen sich für die These stark, »dass politische
Wissenschaften – queer-feministische Psychologien im Speziellen –
wissenschaftstheoretisch durchaus zu begründen sind« (S. 27). In
einem eigens aufgenommenen Abschnitt befassen sie sich hierzu
ausführlich mit Max Webers 1904 erstmals erschienenem Text »Die
›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer
Erkenntnis« (vgl. S. 46–49) und versuchen ihn für die
feministische Psychologie fruchtbar zu machen oder doch zumindest
zu zeigen, in wie fern beide mit einander in Einklang zu bringen
sind.
Zu Beginn des zweiten Hauptteils weisen Sieben und Scholz auf die
»Vielfältigkeit der möglichen Verbindungen zwischen Feminismus
und Psychologie« hin und betonen, dass die Reihenfolge ihrer
Darstellung nicht wertend sei (S. 50). Gleichwohl sticht ins Auge,
dass die Kapitel zur »Psychology of Women« (S. 65–80),
»Feministische Forschung zu Geschlechtsunterschieden und
-gemeinsamkeiten« (S. 85–103) sowie »Sozialpsychologische
Kognitionsforschung und Geschlechterkonstruktionismus« (S. 105–121)
jeweils mit einer »Kritische[n] Einschätzung« zu deren Ansätzen
und Positionen enden (S. 75–80, 100–103 und 117–129). Nicht so
hingegen die Kapitel »Diskursanalytische,
sozialkonstruktionistische und dekonstruktivistische Ansätze« (S.
123–138) sowie »Queere Perspektiven in der Psychologie« (S.
139–159). Ersterer enthält stattdessen vielmehr sogar einen
Abschnitt »Dekonstruktion als Kritik« (S. 132– 136).
Wie bereits der erste Hauptteil vermag auch dieser zweite im
Wesentlichen zu überzeugen. Ebenso wie jenem ist ihm allerdings
auch die eine oder andere Schwäche eigen. So beanstanden die
Autorinnen etwa, dass die Psychology of Women die Kategorie Frau
verwendet, denn »[s]ie basiert auf der Annahme, dass es etwas gebe,
das alle Frauen gemein haben« (S. 76). Eine Kritik, deren
Begründung sich allerdings unter Zuhilfenahme auf Ludwig
Wittgensteins Konzept der »Familienähnlichkeit«, das auf ein
»kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten« zielt, »die einander
übergreifen und kreuzen« (3), trefflich entkräften ließe, legt
der Sprachphilosoph doch dar, dass »Erscheinungen«, für die
dasselbe Wort verwendet wird, »garnicht Eines gemeinsam« [sic!]
haben müssen, sondern »miteinander in vielen verschiedenen Weisen
verwandt« sein können (4). Davon abgesehen benutzen die Autorinnen
den von ihnen monierten Begriff selbst ein ums andere Mal. So etwa
nur wenige Zeilen vor ihrer Kritik an ihm, indem sie erklären, die
Psychology of Women sei »nicht nur eine Psychologie über Frauen,
sondern auch von Frauen« (S. 76), um einige Seiten weiter
allerdings auf den Unterstrich zu rekurrieren und von
»Vertreter_innen der psychology of women« zu reden (S. 79).
Trotz der Verwendung des kaum je völlig konsistent einzusetzenden
Unterstrichs und einiger, meist kleinerer Kritikpunkte haben Sieben
und Scholz eine insgesamt solide Einführung vorgelegt, die einen
weithin konzisen Abriss vor allem der wissenschaftstheoretischen
Grundlagen (queer-)feministischer Psychologien bietet und deren
wichtigste Forschungsrichtungen auf zwar wenigen, dafür aber
informationsgesättigten Seiten vorstellt.
Rolf Löchel
1 Christa Binswanger/Margaret Briges/Brigitte Schnegg/Doris
Wastl-Walter: Gender Scripts. Widerspenstige Aneignung von
Geschlechternormen. Eine Einführung, in: dies. (Hg.): Gender
Scripts. Widerspenstige Aneignung von Geschlechternormen, Frankfurt
am Main/New York 2009, S. 11–19, Zitat S. 13.
2 Katharina Walgenbach/Gabriele Dietze/Antje Hornscheidt/Kerstin
Palm: »Einlei- tung«, in: dies. (Hg.): Gender als interdependente
Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität
und Heterogenität, Opladen 2007, S. 7–22, Zitat S. 16.
3 Ludwig Wittgenstein: »Philosophische Untersuchungen«, in: ders.:
Tractatus logicus philosophicus, Tagebücher 1914–1916,
Philosophische Untersuchungen [= Werkausgabe Bd. 1], Frankfurt am
Main 1984, S. 225–580, Zitat S. 278.
4 Ebd., S. 277.