Rezension zu Sigmund Freuds erstes Land (PDF-E-Book)
psychosozial 36. Jg. (2013) Heft IV (Nr. 134)
Rezension von Emilio Modena
Anton M. Fischer: Sigmund Freuds erstes Land. Eine Kulturgeschichte
der Psychotherapie in der Schweiz
Ein Buchessay
Emilio Modena
Der stattliche Band mit dem dicken weißen Kreuz über einer roten
Schweiz in der Auslage der Genossenschaftsbuchhandlung neben dem
Zürcher Volkshaus hätte mich auf den ersten Blick nicht zum
Eintreten verführt. Reflexartig dachte ich eher an eine
rechtspopulistische Produktion und wäre weitergegangen – aber ich
war unterwegs zu einer Lesung meines langjährigen Kollegen »Toni«
Fischer aus dem Psychoanalytischen Seminar, der über sein Werk mit
meinem anderen langjährigen Kollegen und Mitstreiter Berthold
Rothschild diskutieren wollte. Diese Einladung hatte meine
Neugierde geweckt und ich bemerkte auf den zweiten Blick das
Freud’sche metapsychologische Schema, das über Schweiz und
Schweizerkreuz gestempelt war. Also doch eher eine fortschrittliche
Sicht auf die Geschichte meines Berufsstandes! Ich trat im
Volkshaus in einen außergewöhnlich vollen Saal ein und erfuhr bald,
dass sich der Autor tatsächlich die Mühe gemacht hatte, die
Wechselfälle der Psychoanalyse Sigmund Freuds (die dieser zu Beginn
seines Werkes als Psychotherapie entwickelt hatte) mit dem
schweizerischen psychiatrischen und psychotherapeutischen
Establishment bis zum heutigen Tage akribisch genau
nachzuzeichnen.
Zu Hause begann ich zu lesen und war von Anfang an von den genauen
und sorgfältig belegten Fakten fasziniert, die Anton M. Fischer aus
seinem Füllhorn von Psychologie, Philosophie, Soziologie und
Politologie ausbreitete. Das Buch war flüssig und gut lesbar –
trotz der vielen Namensnennungen und der verschiedenen Stränge,
die, abschnittsweise gegliedert, zu verfolgen waren. Und ich erfuhr
immer wieder Wesentliches, das ich in meiner Voreingenommenheit,
diese Geschichte bereits zu kennen, nicht erwartet hätte.
So war es zuerst nicht Carl Gustav Jung, sondern Eugen Bleuler als
Direktor der psychiatrischen Klinik »Burghölzli«, der Sigmund Freud
die ihm in Wien verschlossenen Tore der Psychiatrie in Zürich
öffnete. Bleuler war auf der Suche nach wirksameren und vor allem
auch rationaleren Behandlungsmethoden – man verfügte ja in den
Irrenhäusern noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben wenigen
starken Beruhigungsmitteln nur über die Methoden der Aussperrung,
Einschließung, Isolierung, Zwangsarbeit und die an Folterrituale
gemahnenden Kaltwasserkuren (später kamen noch die Insulinschock-
und die Elektrokrampftherapie hinzu). Obschon er selbst nie völlig
von den Freud’schen Gedanken überzeugt war, war es der Klinikchef,
der seinem genialischen und sehr ehrgeizigen Oberarzt die ersten
Fälle zur psychoanalytischen Behandlung überwies – darunter die
berühmt gewordenen Sabine Spielrein und Otto Gross. Mit einem
Lächeln auf den Stockzähnen erinnert uns Anton M. Fischer auch
daran, dass sich hinter dem Pseudonym Emmy N. in den Studien über
Hysterie die schweizerische Millionärsgattin Fanny Moser verbarg.
Sie habe Freud anlässlich ihrer Behandlung endgültig von Hypnose
und Suggestion abgebracht »indem sie sich energisch verbat, von ihm
unterbrochen zu werden, und ihn herrisch aufforderte, ihr einfach
zuzuhören« (S. 35). (Wie man weiß, war es die Breuer’sche Patientin
Berta Pappenheim, alias Anna O., die noch einiges früher ihrerseits
den Begriff der »Talking Cure« prägte.)
In seinem Buch geht es Anton M. Fischer jedoch nicht etwa um eine
Geschichte der Psychoanalyse sondern wohlgemerkt um eine
Kulturgeschichte der Psychotherapie. Indem der Autor von Anfang an
klarstellt, dass für ihn die Psychotherapie mit der Freud’schen
Psychoanalyse beginnt, hält er sich den Weg frei für die
nachfolgenden Erörterungen, die sich hauptsächlich um die
Abspaltungen von der Freud’schen Lehre und um die Veränderungen des
Freud’schen Denkens zentrieren. Eine ethnologische oder besser
ethnopsychoanalytische Diskussion der in vielen Völkern geübten
schamanistischen Praktiken oder der von den »Medizinmännern«
praktizierten hoch suggestiven Inszenierungen, die zugleich in die
familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse der Kranken
eingriffen, findet nicht statt. Ebenso wenig interessiert sich
Anton M. Fischer für die Frage, inwiefern sich die Psychoanalyse
als Freud’sches Erbe (d.h. nach ihrer vollen Entwicklung) nicht
primär als Selbsterfahrung »um der Wahrheit willen« an der
Lebensgeschichte des Subjekts sowie an der Vorstellung einer
allgemeinen Anthropologie orientieren könne – primär aus Neugierde
des Analysanden und nicht unbedingt aufgrund des Leidensdrucks von
Symptomen, die »wegtherapiert« werden sollen. Folgerichtig wird mit
großer Sachkenntnis im Detail berichtet, wie sich die Beziehung
zwischen Jung und Freud entwickelt, die sich bis zu einer Art
»Hochzeit« der »jüdischen« Wissenschaft (wie sie später von Jung
apostrophiert werden wird) mit dem arischen Kronprinzen steigert,
indem die Vatergestalt Freud unter Umgehung seiner früheren
Gefolgsleute den jüngeren Mitarbeiter zum Präsidenten der
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung kürt. Ebenso
spannend und detailreich ist die Erzählung vom Zerwürfnis und der
Scheidung der beiden Lichtgestalten der Tiefenpsychologie.
Im Untertitel des Buches wird dem Leser ehrlicherweise »eine«
Geschichte versprochen, das heißt die persönliche Sichtweise des
Autors auf die Entwicklung der Psychotherapie von ihren
psychoanalytischen Anfängen bis zur zeitgenössischen weit
aufgefächerten Situation. So ist nicht darüber zu klagen, dass sich
Fischer auf die ihm näherliegenden Themen konzentriert und andere
im Gegenzug vernachlässigt. Am Ende hat der Leser einen
hervorragenden Überblick über die Entwicklungsgeschichte sowohl des
Freud’schen, als auch des Jung’schen Denkens (mitsamt ihren
verschiedenen Organisationsformen) und darüber hinaus eine ebenso
genaue Darstellung der Daseinsanalyse – ausgehend von Ludwig
Binswanger über Medard Boss bis zu Gion Condrau – erhalten.
Anderseits erfährt man nicht viel über die Abspaltung Alfred Adlers
und über seine immerhin international prominent vertretene
Individualanalyse und wenig auch über die Freud’sche Linke oder die
Freudomarxisten mit Wilhelm Reich und Otto Fenichel an der Spitze.
Auch Melanie Klein und ihre Objektbeziehungstheorie (mit allen Vor-
und Nachläufern) und die Lacan’sche Bewegung werden stiefmütterlich
behandelt. Man erfährt zum Beispiel von der angelsächsischen
Aufspaltung in drei konkurrierende Richtungen, wird aber nicht in
die Lage versetzt, das Geschehen genauer zu verstehen. Natürlich
sind das alles keine schweizerischen Beiträge, sie sind aber schon
seit vielen Jahren in die Schweiz zurückgeflossen und haben die
Psychotherapieszene der letzten Generationen entscheidend
mitgeprägt. Anderseits erfährt man zum Beispiel von dem Kuriosum,
dass die kleine Genfer Gruppe der Schweizerischen Gesellschaft für
Psychoanalyse über ihre Verbindungen zu Paris wichtige
Hebammendienste zur Gründung der Société Psychanalytique de Paris
1926 geleistet hat. Fischer schreibt: »Ironischerweise werden es
die Mitglieder dieser von der Zentrale [der IPV, E.M.] beargwöhnten
Kleingruppe sein, die von Genf aus Frankreich für die Psychoanalyse
erobern und wesentlich an der Gründung der ersten französischen
Ortsgruppe […] beteiligt sind« (S. 223).
Wenn man also die Ausführlichkeit in der Darstellung gewisser
Akteure und die Kargheit der Information betreffend anderen
durchaus der Subjektivität des Autors überlassen kann
(Geschichtsschreibung ist notwendigerweise immer subjektiv), fehlt
mir doch in Bezug auf den »Utoquai«, das heißt die Gruppenpraxis
von Paul Parin, Goldy Parin-Matthey und Fritz Morgenthaler eine
wichtige Information. Diese Gruppe wird ja später nicht nur das
»Kränzli« begründen (die Arbeitsgruppe, aus der 1958 das
Psychoanalytische Seminar hervorgeht), sondern auch nach 1968 eine
wichtige Rolle in den Auseinandersetzungen spielen, die zur
Aussperrung des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ) aus den
Räumen der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse (SGP) und
zu seiner Neugründung als selbstverwaltetes Unternehmen führen
wird. Ich denke an die Tatsache, dass sie alle nach ihrer Rückkehr
von ihrem chirurgischen Einsatz zugunsten der Tito-Partisanen in
Jugoslawien sich der Psychoanalyse zuwenden und zu ein- und
demselben Psychoanalytiker – Rudolf Brun – auf die Couch gehen.
Fischer erzählt zwar eine Anekdote, die Goldy Parin-Matthey
zugeschrieben wird. Sie soll noch in Jugoslawien in der Neuen
Zürcher Zeitung, dem rechtsgerichteten Organ der Schweizer
Hochfinanz, den Verriss einer Arbeit des besagten Bruns gelesen und
daraufhin sinngemäß ausgerufen haben: »Zu diesem Analytiker müssen
wir hin!« Sollte es sich um einen einfachen Umkehrschluss gehandelt
haben: NZZ = rechts, folglich Brun = links? Das erschiene mir
reichlich naiv. Zudem war Goldy Parin-Matthey medizintechnische
Assistentin und Brun hatte sich seinerzeit anlässlich der Spaltung
der Zürcher SGP-Gruppe in Befürworter und Gegner der Laienanalyse
auf die Seite der Ärztefraktion geschlagen. Außerdem fehlte Bruns
Neurosenlehre 1946 der Einbezug der in der Zwischenzeit
entwickelten angelsächsischen und amerikanischen Theorien. Aber das
alles dürfte den Leuten vom späteren Utoquai durchaus bekannt
gewesen sein. Ich vermute, dass sie trotz allem Rudolf Brun als
ihren persönlichen Psychoanalytiker gewählt haben, weil er unter
den damals verfügbaren der fortschrittlichste war. Er hat sich
jedenfalls anlässlich des 1950 entbrannten Koreakrieges, als die
US-amerikanischen Streitkräfte nicht nur den Einsatz von Atomwaffen
erwogen, sondern auch real zur bakteriologischen Kriegsführung
griffen – und dies international bekannt geworden war –, öffentlich
dagegen ausgesprochen (er war als Neurologe und besonders als
Ameisenforscher für die Überprüfung dieser Frage besonders
qualifiziert). Die Neue Zürcher Zeitung hat ihn daraufhin prompt
als »fellow traveller« (als Kommunistenfreund) denunziert, wogegen
er einen langen, schlussendlich aber erfolglos verlaufenen
Verleumdungsprozess führte.
Anton M. Fischer verspricht aber nicht nur, seine Geschichte der
Psychotherapie in der Schweiz zu erzählen, sondern mehr: Es soll
eine »Kulturgeschichte« sein. Da kann man sich fragen, ob dieses
Ziel nicht von Anfang an zu hoch gesteckt war. Der Autor wird
diesem Anspruch zwar immer wieder gerecht, indem er einerseits
»Streiflichter« einsetzt, die deutlich von der Chronik abgehoben
sind, anderseits auch immer wieder während der ganzen Erzählung
kulturelle und kulturpolitische Bemerkungen einfließen lässt
(erfreulicherweise werden auch die ökonomischen Aspekte der
Psychotherapie immer wieder thematisiert). Manchmal sind es sogar
einzelne Sätze, die einem ganzen Abschnitt einen politischen Akzent
verleihen. Trotzdem kann man meiner Meinung nach insgesamt nicht
von einer Kulturgeschichte sprechen, die noch wesentlich mehr Raum
als die ohnehin schon beanspruchten über 600 Seiten des
vorliegenden Textes benötigte. Ich will nachfolgend nur einige
wenige kulturelle Aspekte aufzählen, die in ihrer Bedeutung für die
Psychotherapie zu berücksichtigen wären. Man denke zum Beispiel an
die Mehrsprachigkeit des Landes mit den großen
Mentalitätsunterschieden zwischen der deutschsprachigen Mehrheit
und der französischsprachigen Minderheit oder an die Besonderheiten
der schweizerischen Demokratie mit ihrer kantonalen Hoheit in
Erziehungs- und Gesundheitsfragen (26 Kantone!) und ihrer
Gemeindeautonomie. Oder an die liberalen Traditionen des
Bundesstaates und an ihrer Demontage im Zuge des Neoliberalismus
und der Globalisierung. Man denke auch an die hohen
Einwanderungsquoten als bewusste Wirtschaftspolitik der
herrschenden Machteliten seit den 1950er Jahren und an die dadurch
geschürte Xenophobie der weniger bemittelten Bevölkerung. Und an
das – zurzeit bröckelnde – Bankgeheimnis, das jahrzehntelang der
Schweiz den Zufluss ungezählter Milliarden aus aller Herren Länder
– blutigste Diktaturen inbegriffen – gewährleistete, was dem Land
zu einem unverhältnismäßigen Reichtum im Vergleich zu seiner realen
Größe verhalf. Man frage sich, wie Psychoboom, antiautoritäre
Jugendbewegung (1968, 1980) und die systematische Verbreitung
weicher, harter und von Party-Drogen zusammenhängen. Und was die
Gesundheitspolitik im Besonderen anbetrifft, so wären noch die
Besonderheiten des schweizerischen Krankenkassensystems, die
Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung, die Entwicklung der
Medizinaltechnologie (besonders auf dem Gebiet der Psychopharmaka,
der Genetik und der Neurowissenschaften) oder die Einführung der
Diagnose-Manuals DSM-IV und ICD-10 zu berücksichtigen …
Wenn wir nach diesem Exkurs zur Geschichte im engeren Sinne
zurückkehren, können wir nicht umhin festzustellen, dass die
Erzählung notwendigerweise in zwei Teile zerfällt. Denn sowohl der
Autor als auch der Rezensent waren ab Ende der 1960er/Anfang der
1970er Jahre keine einfachen Chronisten mehr, sondern beide
Protagonisten des Geschehens rund um die Psychotherapie, soweit
sich dieses auf die Psychoanalyse und das Psychoanalytische Seminar
auswirkte. Beide waren also in die Auseinandersetzungen um das
kommende Psychotherapiegesetz involviert. Wir können infolgedessen
für diesen Teil der »Geschichte« nicht mehr die Rolle von
Historikern beanspruchen, sondern müssen uns auf die Positionen der
»Oral History« zurückziehen. Zudem wird der Zeitdruck immer
spürbarer, die Erzählung zu Ende zu bringen. Die Ereignisse
überstürzen sich und können nicht mehr – wie noch die
Auseinandersetzungen zwischen Freud und Jung – in aller
Gemütlichkeit von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Obschon
es dem Autor trotz allem gelingt, ein stimmiges Gesamtbild der
Ereignisse der letzten Jahrzehnte zu entwerfen, fehlen meines
Erachtens doch auch wichtige Aspekte. So wird die Entwicklung und
Entfaltung der »Plattform«-Gruppe, die nach der Aussperrung aus den
Räumen der SGP zur Neugründung des PSZ als selbstverwaltete
Institution führen wird (1977) zu wenig berücksichtigt. Als ich
erstmals 1968 zum damaligen Seminar stieß, bestand zum Beispiel
bereits eine Gruppe von jüngeren und älteren KandidatInnen (u.a.
Marianna Bolko, Pedro Grosz, Berthold Rothschild, Judith Valk, Ilka
von Zeppelin), die unter der ideologischen Führung des aus Mailand
nach Zürich pendelnden Piero Gallis die autoritären Strukturen von
Seminar und SGP zu durchschauen und zu durchkreuzen begonnen hatte.
Galli hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine erste Analyse bei
Benedetti in Basel absolviert, hatte in Mailand eine berühmt
gewordene Gruppenpraxis gegründet, aus der zum Beispiel die
Zeitschrift Psicoterapia e Scienze Umane hervorging, und
absolvierte eine zweite Analyse bei Fritz Morgenthaler. Auch
später, nach dem gelungenen Gegenkongress zum IPA-Kongress in Rom,
als sich diese »Ur-Plattform« international vernetzte und zur
»Plataforma international« erweiterte, war die Gruppe ideologisch
und politisch alles andere als homogen, war sich aber einig im
Bestreben, die starren Strukturen des Seminars aufzubrechen und zu
demokratisieren. Die »Stiftung für Psychotherapie und
Psychoanalyse«, welche die »delegierte Psychotherapie« auf
gerichtlichem Wege erkämpfte, wurde erst zwei Jahre später
gegründet (1979). Wenn Fischer schreibt: »Die Krankenkassen nehmen
es zum Anlass, die freiwilligen Beiträge einzustellen, und bringen
so die bisher freien nichtärztlichen Psychotherapeuten in die
Abhängigkeit der Ärzte« (S. 536), so verwechselt er Ursache und
Wirkung, denn der Grund, nicht ärztliche PsychotherapeutInnen in
Arztpraxen einstellen zu wollen (und damit ihre Arbeit zu
Krankenkassentarifen abrechnen zu dürfen), war gerade die Tatsache,
dass die meisten Kassen – möglicherweise aufgrund der durch den
Psychoboom erhöhten Nachfrage – dazu übergegangen waren, keine
»freiwilligen« Beiträge mehr an frei praktizierende nicht ärztliche
PsychotherapeutInnen zu entrichten – es sei denn, die PatientInnen
verfügten über private Versicherungen.
Ich überspringe die Frage, warum der Autor die zweite große
gruppenanalytische Ausbildungsinstitution, die – neben der
erwähnten Arbeitsgemeinschaft für operative Gruppen – aus dem PSZ
hervorgegangen ist, die SGAZ (Seminar für Gruppenanalyse Zürich),
nicht erwähnt, oder warum er dem Szondi-Institut nur einen kurzen
Abschnitt widmet, obwohl dieses Institut eine weit über die
Schicksalsanalyse und den Szondi-Test hinausreichende Bedeutung
erlangte und jedenfalls die kleineren daseinsanalytischen Institute
überflügelte. Ich möchte aber zum Schluss die Tendenz des wiederum
akribisch über viele Seiten beschriebenen Canossaganges der
Psychologen- und Psychotherapeutenverbände zur staatlichen
Zulassung relativieren. Eine Mehrheit der Teilnehmerschaft des PSZ
hat stets alle Schritte bekämpft, die zur Einführung eines
Psychotherapeutengesetzes und damit zur Disziplinierung der
Ausbildung zuerst auf kantonaler und dann auch auf nationaler Ebene
führen sollten. Die Taktik der Mehrheitsfraktion bestand vielmehr
darin, immer nur gerade so viel dem Druck von außen nachzugeben,
dass die Selbstverwaltung und Selbstautorisierung der
PSZ-TeilnehmerInnen erhalten blieb. Erst als es sich politisch klar
abzeichnete, dass die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, der
für die ganze Schweiz eine Schrittmacherfunktion bezüglich der
Psychotherapie hatte, daran gehen würde, ein Psychotherapiegesetz
unter allen Umständen zur Abstimmung im Kantonsrat zu bringen,
reagierte die Teilnehmerversammlung eindeutig zugunsten einer
Lobbyarbeit. Unter der Führung des PSZ konstituierte sich eine
Interessengruppe, die sich »Arbeitsgemeinschaft für eine
vernünftige Psychotherapieordnung« nannte und an der sich außer dem
daseinsanalytischen alle tiefenpsychologischen Institute
beteiligten: Jung-, Freud- und Szondi-Institut sowie der Verband
der Absolventen des Biäsch-Institutes (SBAP). Wir setzten uns
direkt bei der Gesundheitsdirektion sowie bei den Kantonsräten für
die Erhaltung der Laienanalyse und für ein integrales Studium in
einer frei zu wählenden psychotherapeutischen Richtung ein und
verlangten mindestens je 200 Stunden Selbsterfahrung, Supervision
und Theorie. Wir konnten uns schließlich sowohl gegen die
Interessenvertretung der Verhaltenstherapeuten (die weit weniger
Selbsterfahrung wünschte), als auch der »eklektischen«
humanistischen Psychologen durchsetzen, scheiterten aber gegen die
Lobby der Universitätsprofessoren der psychologischen Institute,
die das alleinige Monopol für das Grundstudium beanspruchten. Damit
waren faktisch die Würfel gefallen und die Laienanalyse
abgeschafft. Das Gesetz trat 2002 in Kraft und das Jahre später
verabschiedete eidgenössische Gesetz folgte im Wesentlichen dem
Zürcherischen. Um angesichts dieser Gesetze handlungsfähig zu
bleiben, musste das PSZ eine »heilige Kuh« schlachten und sich dazu
bequemen, den Status einer »einfachen Gesellschaft« aufzugeben und
sich als Verein zu konstituieren.
So wurde – wie im Buch von Anton M. Fischer anhand der
Verbandsgeschichte dargestellt – zu guter Letzt die Psychotherapie
als Berufsstand staatlich anerkannt. Es bleibt mir nur noch, Autor
und Verlag für die spannende und trotz aller zum Teil recht
komplizierten Auseinandersetzungen (mit den entsprechenden
zahlreichen Namensnennungen) gut lesbaren Geschichte zu danken.
Einen dringenden Wunsch habe ich allerdings noch: Das umfangreiche
Werk sollte unbedingt noch mit einem Personen- und Sachregister
ausgestattet werden, um als Nachschlagewerk dienen zu können.
Hier finden Sie das psychosozial-Heft 134.