Rezension zu Supervision

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Rezension von Peter Schröder

Katharina Gröning: Supervision

Thema und Hintergrund
Das Beratungsformat Supervision hat sich in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte immer wieder neu ausgerichtet und dabei auf Zumutungen und Moden, auf neue Erkenntnisse und obligate Themen reagiert: Mal ging es eher um Psychohygiene, mal mehr um kritische Distanz. Mal mehr um rationales Verstehen, mal mehr um emotionales Einfühlen. Mal mehr um Gesellschafts- und Systemkritik, mal mehr um die Stärkung personaler Kompetenzen. Mal mehr um strategisches Intervenieren, mal mehr um ressourcenstärkendes Stützen. Mal mehr um ein therapeutisches, mal mehr um ein gruppendynamisches Setting. Schon diese – noch längst nicht vollständige – Aufzählung macht deutlich, dass Supervision auf den Linien formatimmanenter Polaritäten pendelt. Bekanntlich wirken Polaritäten energetisierend, wenn sie miteinander in Kontakt sind, statt dass einer der Pole ausgeschlossen oder auch nur abgewertet werden.

Andererseits ist die Geschichte der Supervision aber auch eine Geschichte interner Lagerkämpfe, die in der Tat um die Definition des gesamten Feldes geführt werden. Diese Kämpfe haben, wie Mitglieder der ersten Stunde berichten, auch die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Supervision begleitet, die als der größte Fachverband auch über die größte Definitionsmacht im deutschen Raum verfügt. Weiterführend waren und sind m.E. die Ansätze, die statt »oder« »und« sagen und eine begründete Integration miteinander kämpfender oder einander gleichgültig gegenüberstehender Ansätze leisten. Auch das vorliegende Buch versucht einen weiten Bogen zu spannen und unterschiedliche Ansätze reflektierend zueinander zu bringen. Das Grundinteresse des Buches ist aber, wenn ich es recht verstehe, weniger die Konzeptintegration als vielmehr das an einer weiteren wissenschaftlichen Reflexion von Supervision, die letztendlich der Professionalisierung im Sinne von »Professionswerdung« dient.

Autorin
Katharina Gröning ist Professorin für pädagogische Beratung an der Universität Bielefeld und Supervisorin (DGSv). Sie leitet den Studiengang Supervision und Beratung an der Uni Bielefeld und forscht seit 20 Jahren zu Themen von Supervision und Beratung.

Aufbau und Inhalt
Ein einleitender Abschnitt ist überschrieben mit »Warum dieses Buch?« Es ist inzwischen zwar seltsamer Usus, zunächst eine Begründung dafür zu geben, warum ein Buch geschrieben wird. Das legt den Verdacht nahe, diese Frage sei möglicherweise schwer zu beantworten. Bei Gröning aber hat dieser Passus durchaus nicht den Charakter einer vorauseilenden Entschuldigung für die Autorschaft, er dient vielmehr dem informativen Offenlegen des eigenen Forschungs- und Erkenntnisinteresses – weshalb er auch annähernd 30 Seiten umfasst. Sie nimmt gleich zu Anfang Bezug auf das Professionsverständnis von Ulrich Oevermann, das den Ort von Supervision zwischen einer therapeutischen und einer normativen Profession nahelegen würde. Die Merkmale einer Profession sind nach Oevermann Wahrheitsbeschaffung (z.B. Wissenschaftler), normative Konsensbeschaffung (z.B. Juristen) und Therapiebeschaffung (z.B. Ärzte).

Die große Nachfrage von Beratungsformaten wie Supervision hat auch die Kritiker auf den Plan gerufen. Eine Gruppe von Autoren hat in dem Sammelband »Das beratene Selbst« darauf hingewiesen, dass Beratung auch Anteil hat an der gesellschaftlichen Machtform der »Gouvernementalität« (Foucault). Diese Kritik paart sich mit einer anderen, nämlich der, Supervision sei (wie einige andere Beratungsformen auch) eine Form »trivialisierter Therapie«. Letztlich muss der gesellschaftliche Ort der Supervision (das heißt auch: deren gesellschaftliche Funktion) geklärt werden. Dazu dient die wissenschaftliche Reflexion (und Selbstreflexion) der Supervision. Darauf zielt dieser Band.

Ein erstes Kapitel ist überschrieben mit »Historische Dimensionen und Aspekte der Reflexivität in der Supervision« und zeichnet zunächst den Entstehungskontext von Supervision in der Sozialen Arbeit nach. Als die Supervision sich mehr und mehr von ihren amerikanischen und holländischen Protagonisten löste, betrat in Deutschland eine starke gruppendynamische Bewegung die Bühne. Es war vor allem Gerhard Leuschner, der die selbstverständliche Verwendung gruppendynamischer Konzepte in der Supervision kritisiert und in neuer Weise integriert hat. Auch hat Leuschner ein bis dahin weitgehend selbstverständliches Modell von Supervisionsausbildungen hinterfragt, nämlich das Meister-Lehrlingsmodell, das eine konzeptionelle Engführung bedeutet, eine quasi-pastorale Beziehung installiert und so eher zu Stagnation als zur Entwicklung in der Supervisionsausbildung beiträgt. Summarisch zeichnet Gröning im Folgenden weitere Punkte alter und neuer Beratungskritik und ihre Bedeutung für die Supervision nach.

Das zweite Kapitel beschreibt »Das Verhältnis von Beratung und Sozialreform und seine Bedeutung für die Supervision«. Auch dieses Kapitel nimmt eine historisch-reflektierende Perspektive ein: Anfang der 1960er Jahre erlebte die Soziale Arbeit einen enormen Aufschwung, gestützt durch Politik auf der einen und durch Wissenschaft auf der anderen Seite. Begleitet wird auch der Aufschwung der Sozialpädagogik durch eine zunehmende Bedeutung von Beratung.

Das dritte Kapitel heißt »Reflexion, Selbstreflexion und reflektierendes Denken« und reflektiert unterschiedliche Konzepte von Reflexion: John Dewey, Wilfred Bion, Zwiebel/Ritter, Max Weber, Oskar Negt und Michel Foucault, die je ihre eigene Bedeutung für das Konzept einer reflexiven Supervision haben.

»Habitus, Reflexivität und funktionalistische Vernunft als Problem der Supervision« ist das vierte Kapitel überschrieben. Gröning vermutet, dass der Bedeutungswandel, den die Supervision seit den 1970er Jahren erfahren hat, »dass der Supervision … die reflexiven Elemente tendenziell abhanden gekommen sind.« (S. 77) Es sind vor allem zwei Aufmerksamkeitsrichtungen, die Gröning der Supervision empfiehlt: Zu einen die Bedeutung des Wandels des Staatsverständnisses, der enorme Relevanz für das Verständnis von Sozialpolitik hatte, zum anderen die Hochkonjunktur systemischer und funktionalistischer Konzepte in der Beratung, die – gut systemisch gesagt – eben auch »nicht sehen können, was sie nicht sehen können«.

Es folgt mit dem Kapitel 5 eine »Dokumentarische Vertiefung« nämlich »Interviews zur Lebensgeschichte, Berufsgeschichte und Zeitgeschichte« mit zwei Protagonisten der Supervision in Deutschland, die wegen ihrer besonderen Verdienste von der Deutschen Gesellschaft für Supervision besonders geehrt worden sind: Gerhard Leuschner und Wolfgang Weigand. Beide werden interviewt zu den Themen: Supervision und Zeitgeist in den 1960er Jahren, Entstehungsbedingungen der Supervision im Kontext der betont gesellschaftskritischen sozialen Arbeit in Deutschland, Einfluss der Gruppendynamik (Tobias Brocher und andere) auf die Supervision, unterschiedliche Formen der Reflexivität (gruppendynamische Konfrontation, persönliche Konfrontation und Rechtfertigungszwang, politische Reflexion), Aspekte der Institutionalisierung und des sozialen Milieus von Supervision und schließlich deren zunehmende Professionalisierung.

Im folgenden sechsten Kapitel, »Reflexive Formen der Supervision aus beratungswissenschaftlicher Perspektive – eine Systematik«, vergleicht Gröning drei Grundkonzepte reflexiver Supervision: Psychoanalyse, Neuhumanismus und Gesellschaftskritische Ansätze. Alle drei Konzepte befragt sie auf drei Aspekte hin: die Ethik und den Theorierahmen, die Haltung des Beraters und die Merkmale des Beratungsprozesses und schließlich die verwendeten Interventionen und Methoden. Das Fazit lautet: »Zwischen den verschiedenen beraterischen Haltungen im vorgängigen Abschnitt lassen sich Spannungen, aber auch Übereinstimmungen ausmachen, die bisher theoretisch und konzeptionell nicht synthetisiert wurden.« (S. 130) Das klingt simpel, soll aber nicht über den Erkenntnisgewinn hinwegtäuschen, der sich durch die genaue Betrachtung der einzelnen Konzepte ergibt.

Ein siebtes Kapitel ist der »Praxis reflexiver Supervision« gewidmet und thematisiert verschiedene bewährte und praxisrelevante Aspekte und Konzepte supervisorischer Arbeit: das Diskursmodell von Habermas, die Bedeutung des Kontraktes bis hin zu einer dezidierten Kontraktethik, die Bedeutung von Übertragung, szenischem Verstehen und Gegenübertragung, die Beziehungsanalyse nach Thea Bauriedl, die Beschreibung des supervisorischen Prozesses, Macht- und Institutionsanalyse, die Habitusanalyse nach Pierre Bourdieu und schließlich »Supervision als Arbeit an der Gerechtigkeit«.

Ein abschließendes, sehr kurzes, achtes Kapitel gibt unter dem Titel »Das Beratungsverständnis des Neuhumanismus, der Kritischen Sozialwissenschaft und der Psychoanalyse und die Bedeutung für die reflexive Supervision« einen Ausblick auf zukünftig anstehende Forschungsfragen.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis ist dem Band nachgestellt.

Diskussion
Mit ihrem Buch benennt Katharina Gröning wesentliche Integrationsaufgaben, vor denen »die Supervision« heute steht. Die Diskussion um eine Professionsbildung wird schon länger geführt, einige deutliche Zeichen für eine entstehende Profession »Supervision« gibt es schon: Sie kann sich verorten im klassischen Professionsdreieck therapeutische – normative – wahrheitsbezogene Professionen, ist mit Ausbildungen im akademischen Kontext angekommen (was durchaus zwiespältig beurteilt wird) und ist Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung, die zunächst vor allem Fragen der Wirksamkeitsforschung im Blick hatte. Zugleich muss aber im Hinblick auf eine Professionsbildung die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz, genauer gesagt: nach dem gesellschaftlichen Nutzen von Supervision beantwortet werden, und zwar im Spannungsfeld des Vorwurfes, Supervision sei ein Reparaturbetrieb für Menschen in ungesunden Strukturen, und dem eigenen gesellschaftskritischen Anspruch. Ferner wird Supervision Nachbarschaften klären müssen: die zur Therapie ist intensiv diskutiert worden – und dennoch ist der Supervision der Vorwurf, sie sei eine »trivialisierte Therapie«, nicht erspart geblieben. Die Nachbarschaft zum Coaching ist nach wie vor ungeklärt, die Haltung reicht von Ablehnung bis zur Vereinnahmung. Eine eher ablehnende Haltung nehme ich bei Gröning wahr und habe den Eindruck, dass sie gegen ein Zerrbild von Coaching argumentiert: an mehreren Stellen packt sie Coaching in einen Container mit Organisationsberatung, Karriereberatung und Personalentwicklung – im Gegenüber zu Supervision, an einer Stelle schreibt sie sogar, Supervision werde derzeit von diesen Formaten »bedrängt«. Das spricht nicht für verträgliche Nachbarschaft.

Damit (vermutlich) zusammenhängend gibt es eine weitere, wie ich finde, wenig hilfreiche Front, nämlich die gegen lösungsfokussiertes und systemisches Arbeiten. Sie beschreibt das Eingehen ursprünglich sehr komplexer philosophischer (z.B. Buber) und psychologischer Konzepte (z.B. Rogers) in das Alltagsbewusstsein der Menschen, das freilich eine Reduktion der ursprünglichen Komplexität mit sich bringt. Und dann schreibt sie: »Die Trivialisierung und Verwässerung vor allem der ethischen Kerne von Beratung, heute jedoch zunehmend die Entwicklung des personenzentrierten Ansatzes in kurze lösungs- und ressourcenorientierte Strategien oder systemische Techniken sind hier zu nennen.« (S. 57) Diese Sicht taucht häufiger auf – und hier würde ich gern beginnen zu diskutieren, denn gerade der Passus über »Supervision und systemisches Beraten« lädt zu manchen Einwänden ein, denn seit Watzlawick ist die Diskussion und die Konzeptentwicklung auch in diesem Bereich durchaus weitergegangen, und auch Luhmanns grundlegende Arbeiten zur Systemtheorie sind inzwischen 30 Jahre alt und repräsentieren nicht mehr den Stand der Dinge im systemischen Beraten. Möglicherweise gehört auch das zu der Integrationsaufgabe der Supervision: die wertvollen Traditionslinien von psychoanalytischer Arbeit (deren sehr hilfreiche Sichten mir Gröning noch einmal sehr deutlich gemacht hat), von Gruppendynamik (deren durchaus zwiespältige Sicht auf den Menschen mir ebenfalls sichtbar geworden ist) und von neueren systemischen Konzepten so miteinander ins Gespräch zu bringen, dass Mehrwert statt Abwertung entsteht.

Sehr hilfreich finde ich die intensive Betonung der (auch ethischen) Bedeutung des Kontraktes: davon können Menschen, die eine Supervisionsausbildung machen, nicht genug zu hören bekommen! Und das Buch versteht sich auch als Lehrbuch des Studiengangs Supervision und Beratung (vgl. S. 27). Als Lehrbuch präsentiert es einen großen Reichtum an Perspektiven auf das Fach Supervision, die von sehr grundlegenden Fragestellungen bis hin zu Fragen der Haltung und der supervisorischen Praxis reichen. Supervision wird beschrieben als eine »reflexive Institution« – das Buch kann verstanden werden als eine Äußerung der (Selbst-)reflexion von Supervision, und dabei ist es der Autorin gelungen, sich auf das Wesentliche zu beschränken, ohne dabei zu simplifizieren. Ein Highlight des Buches ist für mich das Interview mit Leuschner und Weigand, weil es Entwicklungslinien – oder wie der Titel sagt: Traditionslinien – aufzeigt, die die Institutionalisierung und Profilierung von Supervision in Deutschland geprägt haben und deren Kenntnis durchaus auch zum Verständnis heutiger Debatten beitragen kann.

Fazit
Ein lehr- und hilfreiches Buch, das ich vor allem als eine Einladung zu eigener Weiterarbeit verstehe – Anregungen dazu gibt es wirklich genug! Und wenn die Bezeichnung »Lehrbuch« auch einen Ausbildungskontext nahelegt: Ich möchte das Buch allen (auch gestandenen) SupervisorInnen ans Herz legen – es kann einen gelungenen Beitrag dazu liefern, das eigene Fach noch besser zu verstehen!

Rezensent
Peter Schröder
Pfarrer, (Lehr-)Supervisor (DGSv), (Lehr-)Coach (DGfC), 1.Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Coaching e.V., Homepage www.resonanzraeume.de

Zitiervorschlag
Peter Schröder. Rezension vom 29.06.2013 zu: Katharina Gröning: Supervision. Psychosozial-Verlag (Gießen) 2013. 168 Seiten. ISBN 978-3-8379-2232-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, http://www.socialnet.de/rezensionen/14593.php
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