Rezension zu Wolfgang A. Mozart: Don Giovanni
PSYCHE 12.2006 60.Jg.
Rezension von Sandra Kluwe
Der präödipale Deutungsansatz Oberhoffs, der in vielen Punkten neue
und überraschende Perspektiven eröffnet, ist zunächst einmal eine
große Enttäuschung für all diejenigen Don-Juan-Freundinnen und
-Freunde, die den agilen, scheinbar so ichstarken und autonomen
Helden allemal attraktiver finden als den klebrigen Muttersohn Don
Ottavio, der sich, Oberhoff zufolge, symbiotisch an Donna Anna
klammert und mit der Rache für den Vater-Mann heillos überfordert
ist. Den Komtur, der in Inszenierungen ja auch schon mit Brüsten
dargestellt wurde, als frustrierende Mutter zu sehen, leuchtet
gleichwohl ein. Bedenken bleiben angesichts der völligen
Vernachlässigung der Triebpsychologie, die sich ja durchaus
selbstpsychologisch wenden ließe, nämlich insofern als Aggression
und Sexualität Don Giovanni als Medium des Sich-Fühlens dienen,
vergleichbar den Selbstverletzungen von Borderlinern. In diesem
Sinne wäre der aufgeblasene Phallus, den Leporello in der
Registerarie vor ihm herträgt, kein Selbstzweck, sondern eine
»Waffe für das um Abgrenzung kämpfende Selbst« (J. Benjamin, Basel
u. Frankfurt/M. 1990, S. 95).